piwik no script img

Internationaler Gerichtshof in Den HaagIGH prüft Israels Besatzungspolitik

Montag beginnt eine weitere Israel-Verhandlung am Internationalen Gerichtshof. Es geht um die Besatzung und den Apartheid-Vorwurf.

Die Präsidentin des Internationalen Gerichtshofs, Joan E. Donoghue, und Richterkollegen in Den Haag Foto: Remko de Waal/ANP/imago

Freiburg taz | Am Montag beginnt am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eine mehrtägige Verhandlung, bei der erneut Israel im Mittelpunkt steht. Anders als zuletzt geht es aber nicht um den aktuellen Gazakrieg, sondern um grundsätzliche Fragen der Besatzung palästinensischer Gebiete. Anlass der Verhandlung ist ein Gutachtenauftrag, den die UN-Generalversammlung im Dezember 2022 auf Initiative der palästinensischen Autonomiebehörde beschloss.

Schon die Fragestellung der Generalversammlung zeigt die Brisanz der Verhandlung: „Welche rechtlichen Folgen ergeben sich aus der fortdauernden Verletzung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung durch Israel, aus seiner anhaltenden Besatzung, Besiedlung und Annexion des seit 1967 besetzten palästinensischen Gebietes, einschließlich der Maßnahmen, die darauf abzielen, die demografische Zusammensetzung, den Charakter und den Status der Heiligen Stadt Jerusalem zu verändern, und aus der Verabschiedung von damit zusammenhängenden diskriminierenden Gesetzen und Maßnahmen?“

Außerdem will die UN-Generalversammlung wissen, wie sich die israelischen Praktiken auf den rechtlichen Status der Besatzung auswirken und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus für alle Staaten und die Vereinten Nationen ergeben.

Konkret wird es vor allem um das Westjordanland und Ostjerusalem gehen. Aus dem Gazastreifen hat sich Israel 2005 zurückgezogen. Die aktuelle Militäroperation Israels gegen die Hamas war im Dezember 2022 noch kein Thema. Israel hatte die Gebiete 1967 besetzt, als es im Sechstagekrieg einem Angriff arabischer Staaten zuvorkam.

Seit Langem wird Israel von UN-Gremien immer wieder aufgefordert, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen und vor allem den völkerrechtswidrigen Bau jüdischer Siedlungen zu unterlassen. In Den Haag wird es nun aber auch um den Vorwurf rassistischer Diskriminierung in den besetzten Gebieten gehen. Israel wird vorgeworfen, dass in den Siedlungen keine Palästinenser wohnen dürfen, dass es auf den Straßen militärische Checkpoints nur für Palästinenser gibt und dass der Zugang zu Wasser ungleich verteilt ist.

Der IGH muss auch entscheiden, ob der palästinensische Vorwurf zutrifft, dass Israel in den besetzten Gebieten eine Form von „Apartheid“ praktiziere wie einst die weißen Buren in Südafrika. Apartheid ist im Statut über den Internationalen Strafgerichtshof als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eingestuft.

Im Vorfeld des Verfahrens haben 75 Staaten Stellungnahmen abgegeben. Israel hat sich nur knapp geäußert und der UN-Generalversammlung eine Vorverurteilung vorgeworfen. Deutschland hat auf eine Beteiligung verzichtet.

IGH-Gutachten haben politisches Gewicht

Die Verhandlung ist auf sieben Tage angesetzt. Am Montag wird laut IGH-Zeitplan zunächst der „Staat Palästina“ seine Sicht darlegen. Dann folgen 46 Staaten und mehrere internationale Organisationen. Israel wird wohl nicht an der Verhandlung teilnehmen. Das Gutachten wird einige Monate später veröffentlicht.

Ein Gutachten des IGH ist zwar rechtlich nicht bindend, hat aber großes politisches Gewicht, da der IGH das Gericht der Vereinten Nationen ist. Dem IGH gehören 15 Richter an, unter ihnen der deutsche Rechtsprofessor Georg Nolte. Seit Anfang Februar ist der Libanese Nawaf Salam Präsident des IGH.

2004 hat der IGH in einem Gutachten festgestellt, dass Israel seine Sperranlage zu den Palästinensergebieten nicht auf besetztem Grund bauen durfte. Israel ignorierte jedoch die IGH-Aufforderung, die Zäune und Mauern wieder abzubauen.

Ende Januar hatte der IGH Israel auf Antrag Südafrikas in einer Eilentscheidung aufgefordert, in Gaza keinen Völkermord zu begehen und die Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verbessern. Bis Ende Februar muss Israel dem IGH berichten, wie es die Vorgaben umgesetzt hat.

Anfang der Woche hat Südafrika beim IGH „weitere Maßnahmen“ beantragt. Anlass ist die von Israel angekündigte Militäroperation gegen die Grenzstadt Rafah, in der sich hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge aufhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wo haben denn IGH Urteile politisches Gewicht? Das Urteil zu den Mauern die Israel im Westjordanland errichtet hat wurde ignoriert, denn die Mauern stehen immer noch. Wer hat denn politisch etwas dagegen gemacht? Das vorläufige Urteil des IHG von Ende Januar wird auch ignoriert. Wenn man die Blockade von Hilfslieferungen anschaut könnte man sogar meinen es wird aktiv gegen die Anordnungen des Gerichts verstoßen (selbst amerikanische Hilfe liegt im israelischen Hafen fest und wird nicht weitergegeben odwohl es Bedingung der Amerikaner war). Unser Bundeskanzler hatte ein Urteil über das Verfahren gefällt bevor es überhaupt angefangen hat und selbst als er falsch lag und dem Antrag von Südafrika stattgegeben wurde, änderte sich nichts an seiner Haltung oder der der Regierung. Und die Medien sind auch nicjt sehr viel besser. Keine Aufklärung der Bevölkerung. Das ist eine Anklage wegen des schwersten verbrechens, man könnte zumindest die Bevölkerung über die Argumente und vorgelegten Beweise aufklären, so dass jeder eine informierte Sichtweise darauf bilden kann.

  • Vielen Dank für die guten Nachrichten!! Es liest sich wie Honig, Kriege sind nicht legitim und Annexion schon dreimal nicht.

  • Wenn mir eine kleine Korrektur erlaubt ist: um sich der Apartheid schuldig zu machen, muss ein Staat eben nicht so agieren "wie einst die weißen Buren in Südafrika"; die AKK definiert als Apartheid "unmenschliche Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken". Die konkrete Erscheinungsform von Apartheid muss nicht dem südafrikanischen Muster folgen, d.h. auch zu der Frage, ob Israel Apartheid praktiziert, trägt der Vergleich mit Südafrika nur bedingt bei.

    • @O.F.:

      Kommt drauf an wie man manches sieht. Wenn im isr. Recht (außerhalb der isr. Grenzen) zwischen Juden und Nicht-Juden unterschieden wird, oder eher Siedlern und Palästinensern. Ist das durchaus eine Form die es annehmen kann. Wenn isr. Siedlerkinder statt in Knast, beschützt werden wenn sie Palästinenser angreifen, kann man durchaus Formen darin sehen. Wenn die isr. Regierung ihre Siedler und Siedlermilizen bewaffnet, damit diese fast immer ohne Konsequenzen Palästinenser angreifen können oder beschützt werden während dessen, kann das durchaus eine Form sein. Denn z.B. Minderheiten wie die Drusen erhalten nicht diesen "Schutz". Also ist leider nicht so schwarz-weiß wie sie denken. Aber es täglicher Terror auf beiden Seiten.

      • @Chris Ehl:

        Das Wort "systematisch'" in der Definition ist das wichtigste.

        Willkürjustiz alleine reicht nicht aus. Es muss schon Willkürjustiz *als Staatsräson* sein, oder eine verfasste d.h. "offizielle" Ungleichheit der Staatsbürger*innen vor dem Gesetz.

        Aber dass das Ziel Netanyahus ist, Israel in einen vollumfänglichen Apartheidstaat umzuwandeln - und dass seine Koalitionspartner sogar noch weiter gehen und eine fundamentalistische Definition von "Juden" rechtsverbindlich machen wollen - d.h. die Hälfte der israelischen Mehrheitsbevölkerung zu Staatsbürger*innnen zweiter Klasse zu machen -, haben sie wieder und wieder offen zugegeben.

        Es sind eben die modernen Nachfolger der Kana'im.



        Und wie Jerusalem nach der Herrschaft der Kana'im aussah, kann man bei Josef ben Mattitjahu nachlesen:



        "Johannes von Giscala war ein Mann von großer Durchtriebenheit, und trug in seiner Seele eine große Leidenschaft für die Tyrannei, und [...] er tat so, als ob er die Volksmeinung verträte[.]"

        Mit anderen Worten, Netanyahus antiker Vorgänger.

  • "Aus dem Gazastreifen hat sich Israel 2005 zurückgezogen."

    Die israelische Blockade des besetzten Gazastreifens besteht in ihrer jetzigen Form seit Juni 2007, als Israel eine hermetische Land-, See- und Luftblockade über das Gebiet verhängte.



    Israel kontrolliert den Luftraum und die Hoheitsgewässer des Gazastreifens sowie zwei der drei Grenzübergänge; der dritte wird von Ägypten kontrolliert.



    Der Personenverkehr in den und aus dem Gazastreifen erfolgt über den Grenzübergang Beit Hanoun (den Israelis als Erez bekannt) mit Israel und den Grenzübergang Rafah mit Ägypten. Sowohl Israel als auch Ägypten haben ihre Grenzen weitgehend geschlossen und sind für die weitere Verschlechterung der bereits geschwächten wirtschaftlichen und humanitären Lage verantwortlich.



    Israel erlaubt die Passage über den Grenzübergang Beit Hanoun nur in "humanitären Ausnahmefällen, insbesondere in dringenden medizinischen Fällen".

    • @Des247:

      Und was hat Israel (und evtl. auch Ägypten) der palestinensischen Delegation gesagt, als diese angefragt hat, unter welchen Bedingungen man die Blockade auf lösen würde?

    • @Des247:

      Genau. Zudem errachtet die UN Gaza immer noch als besetztes Gebiet eben wegen den Zuständen die Sie hier beschreiben.

      • @Momo Bar:

        Was aber falsch ist. Der IGH hat aus anderem Anlass schon festgestellt, das lt. Völkerrecht nur jenes Gebiet als Besetztes betrachtet werden kann, wo eine feindliche Armee Herrschaft errichtet und diese auch ausüben kann.

        icj-cij.org/sites/...9-ADV-01-00-EN.pdf

        (Absatz 78)

        • @Socrates:

          Ein Dokument von 2004 ?



          Die israelische Blockade des besetzten Gazastreifens besteht in ihrer jetzigen Form seit Juni 2007, als Israel eine hermetische Land-, See- und Luftblockade über das Gebiet verhängte.

          • @Des247:

            Na und?

            Es geht um ein Völkerrechtliches Prinzip, hervorgehend aus den Haager Abkommen. Schon in der Haager Landkriegsordnung 1899 wurde festgelegt (Artikel 42):

            „Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es thatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres steht.



            Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann.“

            Ob das IGH-Dokument aus dem Jahr vor oder nach Blockadebeginn stammt, ist somit belanglos.

            Eine Blockade ist keine Besatzung.

            Soweit ich es verstanden habe, ist mit dem Rückzug aus dem Gazastreifen selbiges für Israel kein besetztes Gebiet mehr, sondern eines unter feindlicher Herrschaft. Warum sollte es das nicht unter Blockade halten, wo doch immer wieder Angriffe aus diesem Gebiet erfolgen?

            en.wikipedia.org/w..._2002%E2%80%932006



            (Weitere Jahreslisten sind verlinkt.) Seit dem Rückzug vergeht kaum ein Monat ohne mindestens einen Angriff auf israelisches Gebiet.

            Was soll unter diesen Umständen an einer Blockade zur Unterbindung von Waffenlieferungen unrechtmäßig sein?

            Selbst wenn es dadurch als besetztes Gebiet gelten sollte (was ich aber nicht glaube), besteht lt. IV. Genfer Konvention Art. 59 lediglich die Verpflichtung Hilfsgüter für die Bevölkerung durchzulassen; die Lieferungen dürfen aber durchsucht werden um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich nur dazu dienen, der Bevölkerung zu helfen, und nicht dem Gegner.

            Also nochmal die Frage an Sie:

            Was hat Israel der pal. Delegation gesagt, als diese angefragt hat, unter welchen Bedingungen man die Blockade auflösen würde? Es ist ja wohl kaum glaubhaft, dass sich die Pal. Seite überall und bei jedem über die Blockade beschwert, aber nie versucht hat sich mit Israel in dieser Frage zu einigen (z.B. Auflösung der Blockade im Gegenzug für Niederlegung der Waffen)?