piwik no script img

„Internationale“ beim SPD-ParteitagRechter Kontertenor

Da stimmt SPD die „Internationale“ an. Das heißt aber nicht, dass gleich das Abendland untergeht, sondern nur, dass grad viele Jusos im Saal waren.

Keine Revolution: Esken und Walter-Borjans halten die Hände, statt die Fäuste zu recken Foto: reuters

Wer hätte das gedacht: Die trutschige deutsche Sozialdemokratie ist wieder in der Lage, Erregungsstürme auszulösen! Jetzt haben es die Delegierten auf dem SPD-Bundesparteitag doch tatsächlich gewagt, die „Internationale“ zu singen. Was für ein Skandal!

Als hätte nicht schon die Entscheidung der Parteibasis zugunsten von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ausgereicht, um die Contenance zu verlieren. Bereits das Votum für „die beiden SPD-Querulanten“ (Neue Osnabrücker Zeitung) sorgte für einen Wust an empörten Schlagzeilen. Das kommt davon, wenn die Mitglieder unverschämterweise nicht das wählen, was nicht nur das Parteiestablishment, sondern auch der Großteil der Hauptstadtjournalist:innen erhofft und erwartet hatte.

Wie die neuen SPD-Vorsitzenden zu revolutionären Umstürzlern hochstilisiert wurden, trug mehr als absurde Züge. Esken hat mit Rosa Luxemburg nun wirklich gar nichts gemein. Und das Vorbild von Walter-Borjans ist nicht Karl Liebknecht – sondern Johannes Rau. Dessen Motto war „Versöhnen statt spalten“. Nachdem sich der SPD-Parteitag vom Wochenende wenig überraschend gegen ein baldiges Ende der Großen Koalition ausgesprochen hat, könnte also nun auch im Politfeuilleton der Republik eigentlich wieder etwas Gelassenheit eintreten.

Wenn die Delegierten nur nicht die „Internationale“ gesungen hätten! Denn die sei, so klärt der rechtsgestrickte Publizist Roland Tichy auf, „das mörderische Kampflied der Sozialisten“ – was genauso unsinnig ist wie die Behauptung des früheren Wirtschaftswoche-Chefredakteurs, die SPD habe das Lied zum Abschluss ihres Parteitags am Sonntag zum Besten gegeben. Da wurde nämlich ein anderes traditionsreiches Arbeiterlied gesungen: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“.

Sympathische Unterschiede

Die „Internationale“ wurde hingegen nur auf dem Parteiabend am Samstag intoniert – und zwar vor allem von den zahlreich erschienenen Jungsozialist:innen. Die kennen in der Regel den Text, weil sie das Lied stets zum Abschluss ihrer Bundeskongresse singen. Das haben die Jusos mit der Linkspartei gemeinsam. Warum auch nicht? Während die Union und die AfD auf ihren Parteitagen das „Lied der Deutschen“ anstimmen, singen sie: „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.“ Ein sympathischer Unterschied.

Die Internationale ist der Ruf zum Kampf für ein besseres Leben

Die „Internationale“ ist DAS Lied der Arbeiterbewegung – entstanden lange vor ihrer historischen Spaltung im Ersten Weltkrieg. Den französischen Originaltext verfasste der Transportarbeiter und Dichter Eugène Edine Pottier nach der blutigen Niederschlagung der Pariser Kommune 1871, die bekannteste deutsche Fassung hat der Bierbrauer und Gewerkschafter Emil Konrad Luckhardt 1910 geschrieben. Es ist der Ruf zum selbstbestimmten Kampf für ein besseres Leben: „Es rettet uns kein höh’res Wesen / kein Gott, kein Kaiser noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir nur selber tun!“

Die „Internationale“ hat es nie zur SPD-Parteihymne geschafft. „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ und vor allem „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ standen stets höher im Kurs. Ende der 1980er Jahre beauftragte die damalige Parteiführung den Musikproduzenten Diether Dehm, eine neue Hymne zu schreiben. Heraus kam eine Neufassung seines Schlagers „Das weiche Wasser“. Darin verwurstete Dehm, der heute für die Linkspartei im Bundestag sitzt, auch eine Zeile aus der „Internationalen“: „Wir sind die stärkste der Partei'n“. Er fügte hinzu: „und sind wir schwach und sind wir klein“. Das gefiel den Genoss:innen dann doch nicht so gut.

Und noch ein heutiger Linksparteiler bediente sich in seiner sozialdemokratischen Zeit der „Internationale“. Die SPD habe „nicht in erster Linie immer Nationalhymnen gesungen“, tönte Oskar Lafontaine auf dem legendären Mannheimer Parteitag 1995, „nein, es gab die ‚Internationale‘, und die hieß eben: Alle Menschen werden Brüder!“ Die Zeile stammt jedoch von Friedrich Schiller. Den großen Jubel auf dem Parteitag schmälerte das nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Ich bin froh, dass es die SPD gab, gibt und geben wird. Als ich mit 14 meine Lehre als Schlosser begann(1962) gab es die 42 Woche, das hieß für uns Samstagsarbeit und wenn man eine Aufbauschule besuchen wollte Sondergenehmigung beantragen. Die Gewerkschaften standen an der Seite der SPD. Bildungsoffensive für Bildungsferne, das hat in den 60er und 70er Jahren die SPD durchgesetzt und nicht 68er, denen waren wir egal, wichtiger war Vietnam, Pol Pot und der Kampf gegen den USA- Imperialismus. Verglichen mit der damaligen Zeit regnet es jetzt Rosen. Die Kinder dürfen 10 Jahre zur Schule gehen, ohne zu arbeiten und bekommen sogar noch Schülerbafög. Nicht die Kinder sind arm, sondern die Alten und Eltern bekommen es nicht auf die Reihe . Hier muss der Staat ansetzen wenn Sie das Geld der Kinder verballern. Den Eltern muss man auf die Füße treten. Wenn jemand alleinerziehend ist, dann sollte der Staat Mutter und Vater unterstützen( aber nicht mit Geld) sondern mit Ganztagesplätzen wo die Kinder auch bis 20.00 bleiben können.



    Ich bin mit meinen Geschwistern alleine aufgewachsen, an der Armut lag es nicht. Gerettet haben uns die Sozen, dafür bin ich dankbar. Die Grünen und Alt 68er haben zwischenzeitlich den Marsch durch die Institutionen angetreten(in der warmen Badewanne des öffentlichen Dienstes) und haben Angst, dass jetzt die Kinder aus bildungsfernen Schichten Ihren Plagen die Arbeitsplätze streitig machen. Das ist der Grund warum die SPD totgeredet wird. Guckt doch mal nach Baden-Württemberg oder Hamburg was passiert wenn Einheits- oder Ganztagesschulen gefordert werden, die Grünen tauchen ab oder stellen Forderungen die nicht erfüllbar sind, oder sie machen nix wie in BaWü.

  • Rosa Luxenburg hat den refrain der internationale ,der übrigends nicht von ihrem verfasser sondern von der ersten internationale stammt anders und richtiger übersetzt als Emil Konrad Luckhardt







    "Die Internationale wird die Menschheit sein"

    "l internationale sera le genre humain"

    ein weiterer übersetzungfehler im deutschen text ist darin zu sehen dass mit "lutte finale" der klassenkampf des proletariates gegen die bourgeoisie ,der auch einen zivilen charakter haben kann gemeint ist und nicht ein "letztes gefecht" .dass dem wortlaut nach etwas militärisches wäre.

    Eugen Potier hat das kampflied der arbeiter*innen klasse zur melodie der marseillaise -der französischen nationalhymne verfasst.



    mit dieser sollte es also auch gesungen werden:

    desweiteren sollte zumindest hin und wieder der text des verfassers indem ursprüglich nicht von den "verdammten dieser erde "sondern von der "seele des proletariates " die rede war gesungen werden

    beide varianten ,die der partei,die in der tat den anspruch hat alle verdammten dieser erde zu organisieren und die des dichters der sich an die seele des proletariates wendet haben ihre berechtigung

  • Die SPD blinkt ein wenig links, aber sie bleibt eine Partei der Regierung. Nun ja, das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche massenhaft in bitterer Hartz-Armut leben, Arbeitslose und Arme nicht mehr auf ein normales Level kommen, aber die Show, die Show war gut. Sehr gut - sie hat mal wieder Wärme und Herz ausgestrahl, das einzige Problem ist, dass wenig dabei rausgekommen ist und wohl auch wenig rauskommen wird, denn die SPD braucht für ihre Ideen Partner, die CDU/CSU wird nicht dabei mitmachen. Und was bleibt dann?



    Nicht viel. Die SPD hat ihre Chancen 1998-2005 verspielt. Und zwar ganz bewusst, man war machtgeil und zufrieden. Und nun ist da ein Scherbenhaufen und viele Opfer. Kurz: Die SPD wird dadurch auch nicht wieder nach oben kommen.

  • Make SPD sozialdemokratisch again!



    youtu.be/RD4r1pHyxlE

  • Herrlich. Danke. Wat höbt wi lacht. 🥳

    unterm—- als Anhänger von Marx - doch doch -



    Aber Groucho - “ nie würde ich in einen Verein.



    Eintreten - Der mich als Mitglied akzeptiert!“



    Sorry. Kann ich mir die Reminiszenz denn doch nicht verkneifen:



    “ Da wurde nämlich ein anderes traditionsreiches Arbeiterlied gesungen: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“.…“ Na da schau her.



    &



    Weil ich davon locker doch - in später richterlicher Runde. 🍻🍺 🍻



    In Westfälisch Sibirien - doch doch - Alle drei Strophen locker - Mitschmetterte.



    Wollte mich der SPezialDemokratische Kollege Vorsitzender.



    & klar - auch -



    Glühender Verehrer von Bruder Johannes.



    Unbedingt in seiner Kammer haben - (obwohl alles präsi-hinterbracht!;)(

    (ps - Bei den Volkszählungstischen - remember?!! - schaffte ja dann schlußendlich. - 🧐



    Erst Karlsruhe - Übergeraschung!! - mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht.



    Schlußendlich - Fein Klarheit. 😎 - & Ollen Heusner sei‘s - unvergessenen - Gedankt!



    de.wikipedia.org/w...rmann_Heu%C3%9Fner 🗽 🗽 🗽



    —- & nochens —👺



    Auch wenns - wie passend - exIM Präsi “Benda Ha Ha Ha - Wir kommen!“ 👻 👻 👻



    “Rache ist Blutwurst!“ (Nù - CDU/CSU - 👹) - den EuGH-Präsi gekostet hat! 👿



    &



    Alle! Aber auch Alle! - IMs bis heute mit Schaum vorm Mund.



    Darob - In dero Tischkanten beißen! - 😈 -

    Na Mahlzeit - Bonne Appétít

  • Nun denn, Armutsmimikry im Jahr 2019 von Männern und Frauen mit Wohlstandsbäuchen in einer "Beamtenpartei" (ca. 25 % der Mitglieder) oder Pensionäre und Rentner (über 30 %) und dagegen Arbeiter weniger als 10 % der MItglieder. Ich weiß nicht!



    Zu Zeiten von 60 Stunden Wochen und (quasi null) Arbeitnehmerrechten gedichtet in FR? Blocksiedlungen und allenfalls einem WC pro Etage? Ich vermute die damaligen Arbeiter würden nach Zeitmaschinenreise zu uns glauben, sie wären im Paradies bei Bosch, Daimler oder BMW.



    Aber der Gruppendruck heiligt den Zweck; weil es die Genossen zusammenschweißt.



    Ich nehme an die Bauern singen demnächst Befreiungslieder aus dem Jahr 1500 oder so um in Berlin auf niedrige Milchpreise aufmerksam zu machen.