piwik no script img

Internationale WirtschaftsverflechtungenEs hapert an der Umsetzung

Gastkommentar von Helena Peltonen-Gassmann

Replik zum Gastkommentar „Neue europäische Handelsagenda“ von Robert Habeck und Katharina Dröge in der taz vom 21. Mai 2022.

„Handelsfremde“ Werte in einer globalisierten Welt: Containerterminal im Hamburger Hafen Foto: Daniel Reinhardt/dpa

A nlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos haben Wirtschaftsminister Robert Habeck und Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge erklärt, wie sie sich die künftige EU-Handelspolitik vorstellen. Sie setzen damit einen wichtigen Impuls und erinnern zu Recht, dass die Welt auch vor Pandemie und Krieg weder intakt noch sicher war.

Die mangelnde Kohärenz unserer Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik einerseits und der internationalen Wirtschaftspolitik andererseits trägt zu fatalen Abhängigkeiten und der Stärkung autokratischer Kleptokraten weltweit bei. Die Glaubwürdigkeit unserer propagierten Werte leidet, hierzulande wie im Globalen Süden.

Die Klarheit der Aussage von Habeck und Dröge, dass es keine Rückkehr zur alten vermeintlichen Normalität geben wird, ist daher wohltuend. Sie hat das Potenzial, die lähmenden Phänomene der Ignoranz einerseits und der Zukunftsangst andererseits überwinden zu helfen und sie in Mut und Lust zur kollektiven Kreativität umzuwandeln. Allerdings muss diese Lagebestimmung von allen Ressorts kohärent vertreten werden, um ihre Wirkung zu entfalten.

Was Habeck und Dröge als Leitgedanken für eine neue Handelspolitik anführen, bedarf einiger Präzisierung. Es geht um die Umsetzung der globalen Prinzipien der Vereinten Nationen, zu denen sich fast alle Staaten dieser Erde verpflichtet haben – allen voran die Menschenrechts­charta (193 Staaten), die völkerrechtlich verbindlichen Sozial- und Zivilpakte (160 bzw. 167), die 17 Nachhaltigkeitsziele (197), das Pariser Klimaabkommen (194), die verbindlichen ILO-Kernarbeitsabkommen (183) und die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC, 189).

Bild: privat
Helena Peltonen-Gassmann

ist seit Juni 2019 stell­vertretende Vorsitzende von Transparency International Deutschland. Darüber hinaus ist sie Mitglied im Vorstand von „Mehr Demokratie LV Hamburg“ und Kuratoriums­mitglied des Deutschen Netzwerkes für Wirtschafts­ethik (dnwe).

Reform der WTO-Regeln

Nichts davon setzen die WTO oder unsere Investitions- und Handelsabkommen mit anderen Staaten durch. Diese mühsam ausgehandelten Werte wurden bisher als „handelsfremd“ deklariert und bestenfalls in Präambeln erwähnt, während der grenzüberschreitenden Wirtschaft mächtige Instrumente zur Durchsetzung ihrer Interessen mitgegeben wurden. Es ist eine Parallelwelt der Wirtschaft entstanden.

Die WTO-Regeln bedürfen also dringend einer Reform. Ungewiss ist, wann dies gelingen wird. Die Corona-Impfstoffpolitik des Westens hat den Einigungswillen des Globalen Südens nicht gerade gefördert. Die laufenden E-Commerce-Verhandlungen tragen alle Zutaten, die alte Politik der Wirtschaftsmacht fortzusetzen, diesmal mit Daten als Rohstoff.

Wichtige Bausteine neuer Handelsregeln müssen Transparenz, Partizipation sowie die Bekämpfung von Korruption, Geldwäsche, organisierter Kriminalität und illegitimer Finanzflüsse sein, die alle feste Bestandteile der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und des UN-Nachhaltigkeitsziels 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ sind.

Warum dies so entscheidend ist, das wird angesichts der Auseinandersetzungen mit Russland überdeutlich. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bezeichnet das Ziel 16 als Schlüsselziel zur Erreichung der anderen Ziele, vom Klima- und Umweltschutz bis hin zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Denn einen fairen Handel und ein level playing field können wir nur erreichen, wenn korrupte Konkurrenten den Wettbewerb nicht verzerren. Kaum ein anderes Ziel der Agenda 2030 kann so wirksam und so breit zur Nachhaltigkeit beitragen.

Daher ist eine Sorgfaltspflicht für Korruptionsbekämpfung ein Muss für eine gute Handelspolitik und ein effektives EU-Lieferkettengesetz. Auch handfeste Sanktionen im Falle korrupter Handelsgeschäfte dürfen kein Tabu sein. In ihrer Sondersitzung zur Korruptionsbekämpfung im Juni letzten Jahres rief die UN-Vollversammlung die UNCAC-Vertragsstaaten auf, ihre Hausaufgaben zu machen.

Zeitenwende auch im Handel

Auf die Mängel bei der juristischen Verfolgung von Straftaten im internationalen Handel weist Transparency in den „Exporting Corruption“-Berichten regelmäßig hin, eine aktuelle Recherche von Correctiv bestätigt dies auch für Deutschland. Angesichts der vielen Skandale hat Deutschland allen Grund, an sich selbst zu arbeiten und Integrität im Handel auch im Rahmen der G7-Präsidentschaft, innerhalb der WTO sowie der EU bei einzelnen Handelsabkommen voranzutreiben.

Habeck und Dröge erklären, dass man auch keine Scheu vor unilateralen Vereinbarungen haben sollte. In diesem Kontext muss es konkret etwa beim europäisch-kanadischen Handelsabkommen CETA möglich sein, zwischen befreundeten Demokratien wie Kanada und der EU eine Einigung für fairen Handel zu finden, die klare Maßnahmen gegen Korruption beinhaltet. Zwischen Kanada und den USA ist das der Fall.

Die EU hingegen hat zum Beispiel mit den transpazifischen Staaten Handelsabkommen ohne umfangreiche Antikorruptionsklauseln abgeschlossen. Außerdem darf es keine Schiedsgerichte entsprechend dem „ISDS-Modell“ geben, durch die wirtschaftliche Akteure überzogene Interessen außerhalb der nationalen Rechtsordnungen gegen einzelne Staaten durchsetzen können. Denn so wird dem Primat der Politik der Teppich unter den Füßen weggezogen. Folgerichtig schwindet dann das Vertrauen in faktisch entmachtete demokratische Institutionen.

Die Zeitenwende muss auch im Handel Einzug halten, die beste Orientierung dafür bieten die Vereinbarungen im Rahmen der Vereinten Nationen. Diese Grundsätze müssen ihren robusten Niederschlag in der Handelspolitik finden. Die Billigwirtschaft ist an ihrem Tiefpunkt angelangt. Die Zukunft der Investitionen und des Handels liegt in einem fair und nachhaltig regulierten Handelsregime, das zur Resilienz des Friedens, der Demokratie und der Wirtschaft beiträgt. Interessen und Werte müssen miteinander in Einklang gebracht werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    "Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bezeichnet das Ziel 16 als Schlüsselziel zur Erreichung der anderen Ziele, vom Klima- und Umweltschutz ...Denn einen fairen Handel und ein level playing field können wir nur erreichen, wenn korrupte Konkurrenten den Wettbewerb nicht verzerren...".

    Träumen Sie weiter!



    Der Begriff Nachhaltigkeit ist im deutschen "Polit-Gefasel" nur noch ein Pseudo-Platzhalter für Nullen:

    Deutsche Klimaziele...



    1. utopisch,



    2. der CO2-Ausstoß weltweit (China, USA etc.) weiterhin eine Katastrophe,



    3. und daher ein für die Bevölkerung richtig teurer Tropfen auf den heißen Stein.

    Korruption "verbannen" — wohl der "Witz des Jahrhunderts". Solange es Öl gibt, wird es verkauft werden, wird CO2 in die Luft gepustet, daran wird eine Pseudo-Agenda, nett gemeint, ganz sicher nichts ändern...

    Dieser Vortrag von Prof. Sinn verdeutlicht meine Ansicht youtu.be/z5trsBP9Cn4.

  • Ich finde die Auseiandersetzung zwar wichtig und interessant, aber sie geht am Kern der Problematik vorbei: Der Welthandel wie die industrielle Entwicklung basiert von vornherein auf einer Ungleichheit: Besitzende setzten Kapital und Machtmittel ein, um ihren Einfluss/Profit zu mehren. Solange es genug zu verteilen gibt, sind Absprachen, wie sie eine WTO verkörpert, für alle Seiten sinnvoll, vor allem, um ein gemeinsames Terrain zu verteidigen. Heute haben wir als Ergebnis eine 'reiche' Welt unterschiedlicher Blöcke wie dem US-Einfluss, aber auch einem sich daraus verselbsständigten EU-Interesse (aus dem sich einige wie z.B. Deutschland oder Frankreich, aber auch von US-Investoren gepamperte Staaten des ehemaligen Ostblocks nationale Rechte ableiten) , ein aufstrebendes Russland, das auch als Rohstofflieferant nützlich war, neuerdings China mit der Bereitschaft, Waren billiger produzieren zu können und dem in Abhängigkeit gehaltenen globalen Süden, der dem Welt'handel' unterworfen wurde. Solange diese Ungleichheiten nicht verstanden und behandelt werden, darf von einem fairen Miteinander 'unter Gleichen' nicht ausgegangen werden, siese Lage provoziert Verteilungskriege und weitere Ungerechtigkeiten. Eine 'westliche' und jetzt eine aufstrebende chinesische oder indische Einflußnahme ist weiterhin Schmarotzertum, die eine Hälfte der Gesellschaften lebt auf Kosten der Armen, denen sie dazu noch als erste durch die gemeinsam zu tragende Klimakatastrophe ein Überleben versagen. Globaler 'Handel' zerstört das Zusammenleben, das müssen Habeck und Dröge grundsätzlich erst einmal verstehen, bevor sie sich ans Werk machen, ohne weiter zu improvisieren.