Internationale Polizeimission für Haiti: Die Last der Fehler von früher

Die ersten kenianischen Polizisten sind in Haiti eingetroffen. UN-Experte William O'Neill erkennt die Risiken der Mission, sieht aber Chancen.

Drei uniformierte Männer

Die ersten 250 kenianischen Soldaten bei ihrer Ankunft in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince am Dienstag Foto: Pierre Marckinson/reuters

NEW YORK taz | Während in Kenia die Antikorruptionsproteste Nairobi erschüttern, sind am Dienstag die ersten 400 kenianischen Polizisten auf dem Flughafen in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince gelandet. Die vom UN-Sicherheitsrat Ende vergangenen Jahres für ein Jahr genehmigte internationale Sicherheits- und Unterstützungsmission zur Bekämpfung der Gangs hat nach einigen Verschiebungen tatsächlich begonnen.

Über Monate war der Einsatz in Haiti und in Kenia umstritten und schien bisweilen vollends fraglich, weil die Finanzierung nicht gesichert war. Im US-Kongress lehnten die Republikaner die Bewilligung von 200 Millionen Dollar ab, und die Biden-Administration musste auf anderen Wegen Gelder zusammenklauben. Jetzt ist der Einsatz wenigstens für ein halbes Jahr finanziert.

Seit Wochen landen Transportflugzeuge der US-Luftwaffe auf dem Flughafen, die unter anderem Ausrüstung, Militärgerät und mobile Krankenstationen nach Haiti transportiert haben sollen. Der haitianische Menschenrechtler Pierre Esperance kritisierte vor einer Woche in der US-Zeitschrift Foreign Policy allerdings, dass niemand in der Regierung, geschweige denn in der haitianischen Zivilgesellschaft wisse, was da geliefert werde.

Die Angst geht um, dass auch dieser Einsatz die Fehler aller internationalen Missionen seit dem Sturz des Diktators Duvalier wiederholen und sich gänzlich über die Köpfe der Haitianer hinweg abspielen könnte.

Die Gangs bestehen aus Jugendlichen ohne eigene Ideologie

William O'Neill, der vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte beauftragte unabhängige Haiti-Experte, kritisiert im Gespräch mit der taz solche Skepsis. Er sieht keine Alternative zum Einsatz der internationalen Truppe. Die könne man auch nicht mit dem 14 Jahre währenden UN-Minustah-Einsatz vergleichen, in dessen Rahmen sich von 2004 bis 2017 insgesamt 12.000 Soldaten und 3.000 zivile Mitarbeiter in Haiti aufhielten. Viele Haitianer empfanden die Mission als eine ausländische Besatzung.

In den vergangenen Monaten gelang es häufig nicht, Nahrungsmittel und Benzin nach Haiti zu bringen, der Waffenimport allerdings kam niemals zum Erliegen

„Jetzt geht es“, so der US-amerikanische Jurist, „um eine Polizeimission, die wirklich die Aufgabe hat, die lokale Polizei zu unterstützen.“ Dass es die nach wie vor gäbe, käme einem kleinen Wunder gleich. Immerhin haben die nationalen Polizeikräfte den Flughafen und den Präsidentenpalast erfolgreich verteidigt.

O’Neill geht davon aus, dass es durchaus gelingen könne, die Gangs zurückzudrängen. Sie hätten keine Ideologie und die meisten Mitglieder seien Jugendliche, die man in Programmen wieder in die Gesellschaft integrieren könne. Es gehe darum, die Köpfe vor Gericht zu stellen und zu verurteilen.

Auch O’Neill gibt zu, dass die Ausgangsbedingungen für die Polizeimission ungleich schlechter sind als beim großen internationale Hilfseinsatz nach dem Erdbeben 2010. Die von der internationalen Gemeinschaft 2011 erzwungenen und gefälschten Wahlen brachten Michel Martelly an die Macht, der das ganze System aus Korruption und Ganggewalt auf die Spitze trieb.

Die Antikorruptionsbewegung wurde im Stich gelassen

Martelly ist trotz internationaler Sanktionen immer noch einer der einflussreichsten Politiker in Haiti, der die Übergangsregierung unter dem langjährigen Unicef-Mann Garry Conille versucht unter Druck zu setzen. So verlangten seine Vertreter eine Generalamnestie für Politiker, die wegen Korruption und Unterstützung von Gangs angeklagt werden könnten.

Die internationale Gemeinschaft, so O’Neill, habe einen Riesenfehler begangen, als sie die Antikorruptionsbewegung um die Petrocaribe-Gelder 2018 in Haiti nicht unterstützte. „Wir haben damals alles versucht, um die US-Politik zu überzeugen, ihre Unterstützung für Martelly und seinesgleichen zurückzuziehen.“

Aber man müsse nicht nur die haitianischen Politiker dieser Zeit anklagen. Auch die Clintons hätten nichts zur Aufklärung über die verschwundenen und versickerten Erdbebengelder beigetragen. Hillary Clinton war zu dieser Zeit US-Außenministerin und ihr Ehemann Bill Clinton Haiti-Sonderbeauftragter der UN.

Die internationale Polizeimission, die mit Helikoptern und Drohnen aus US-Produktion hochgerüstet ist, bekämpft Gangs, die ebenfalls mit US-amerikanischen Waffen ausgestattet sind, die ungehindert aus Florida auf haitianisches Territorium gelangen. Die Waffenlobby in den USA hat es vermocht, noch jedes Waffenembargo gegen Haiti zu verhindern. In den vergangenen Monaten gelang es häufig nicht, Nahrungsmittel und Benzin nach Haiti zu bringen, der Waffenimport allerdings kam niemals zum Erliegen. Im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf tendieren die Aussichten, ein Waffenembargo durchzusetzen, gen null.

Für alle Kenner der haitianischen Katastrophe, auch O’Neill bestätigt das, ist klar, dass eine Polizeimission allein die Probleme keinesfalls lösen kann. Es braucht funktionierende staatliche Institutionen, vor allen Dingen eine funktionierende Gerichtsbarkeit, eine durch legitime Wahlen zustande gekommene Regierung und soziale Perspektiven. Die Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit müsste eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen, um die Gang-Gewalt nachhaltig zu bekämpfen. Das aber sind Prozesse, die Jahrzehnte systematischer internationaler Hilfe beanspruchen.

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