Intel plant Halbleiterfabriken im Osten: Goldgräberstimmung in Magdeburg
Intel will in Sachsen-Anhalt Chipfabriken bauen. Vor Ort stößt das auf wenig Vorbehalte. Nicht nur viele neue Arbeitsplätze locken.
Der US-Konzern, der einen globalen Marktanteil von 12,5 Prozent hat und im Vorjahr einen Gewinn von 73 Milliarden US-Dollar einfuhr, will mit dem Projekt der weltweiten Chipknappheit begegnen und den europäischen Produktionsstandort stärken. Der Bau der Fabrik soll 2023 beginnen, vier Jahre später könnte die Produktion starten. Im folgenden Jahrzehnt dürften weitere Fabriken folgen, bis zu 80 Milliarden Euro Investitionen sind geplant. 3.000 dauerhafte Hightech-Arbeitsplätze sollen entstehen, weitere 10.000 Stellen bei Zulieferern und Partnern.
Intel hatte schon im vergangenen Jahr mehrere Standorte in Europa und Deutschland sondiert, mit einer Entscheidung aber auf den sogenannten European Chips Act gewartet. Mit diesem Förderprogramm will die EU-Kommission den Anteil Europas an der weltweiten Halbleiterproduktion von zehn auf zwanzig Prozent steigern, 43 Milliarden Euro Subventionen stehen insgesamt zur Verfügung.
Wie viele der Milliarden nun in das Magdeburger Großprojekt fließen, ist derzeit ein wohlgehütetes Geheimnis. Das Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts sieht sich auf Anfrage zu keiner Auskunft in der Lage. Auch der Höchstfördersatz ist nicht bekannt.
Knappe Gewerbeflächen
Ausschlaggebend bei der Entscheidung für den Standort in Sachsen-Anhalt war offenbar das Flächenangebot. Zu den deutschen Konkurrenten zählte die bayerische Kleinstadt Penzing und vor allem Dresden, das als „Silicon Saxony“ lange als eines der wichtigsten europäischen Halbleiterzentren galt. Immerhin 380 Hektar Platz benötigen die beiden Fabriken, so viel wie etwa 500 Fußballfelder. Die Wirtschaftsförderung Sachsen bestätigt indirekt, dass trotz hervorragender Wissenschafts- und Forschungsstruktur in Dresden die Bereitstellung von Gewerbeflächen ein heikler Punkt gewesen sei. Kommunen allein seien mit steigenden Anforderungen leicht überfordert, deshalb müssten sie mit Land und Bund zusammenarbeiten.
Am Südrand von Magdeburg, beim Übergang zur Magdeburger Börde, trifft Intel nun auf die sprichwörtliche grüne Wiese. Aber ganz rücksichtslos kann Intel sein Konzept hier auch nicht umsetzen. Hecken und Nistplätze seien auch zu berücksichtigten, gibt der Landesvorsitzende des Umweltverbands BUND, Ralf Meyer, zu bedenken.
Meyer hat grundsätzlich Verständnis für die „Goldgräberstimmung“. „Bei allen stehen jetzt die Dollarzeichen in den Augen“, scherzt er. Aber auch wenn in Magdeburg nicht so große Wasserprobleme wie bei der Ansiedlung der E-Autofabrik von Tesla im Südraum Berlin zu erwarten sind, müssten doch andere Naturschutzbelange mitkalkuliert werden. Meyer fordert, dass zum Ausgleich für die große Flächenversiegelung an anderen Stellen etwa Industriebrachen entsiegelt werden. 61 Vogelarten, darunter 20 bedrohte und streng geschützte, bräuchten neue Lebensräume. Gleiches gelte auch für den vom Aussterben bedrohten Feldhamster.
Begleitkonzepte in Arbeit
Für den erwarteten starken Pendlerverkehr verlangt der BUND ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, also eine Erweiterung des ÖPNV, Radwege und mehr Elektrofahrzeuge. Bei den anstehenden Anhörungen im Planfeststellungsverfahren will man sich mit Schwesterorganisationen wie dem Nabu abstimmen.
Die sozialen Folgen für die Stadtgesellschaft deutete Oberbürgermeister Trümper bereits an. Magdeburg könnte um 30- bis 40.000 Einwohner wachsen, würde sehr viel internationaler. Kindergärten und Schulen müssten gebaut, Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden. Die neuen Arbeitsplätze im Hochlohnsektor werden die Schere bei den Einkommen weiter öffnen: Dass die Grundstückspreise steigen, wird allgemein erwartet.
Versöhnliche Töne kamen nach der „Niederlage“ von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Er gratulierte und lobte Magdeburgs „tolles Angebot“. Die Ansiedlung sei ein „großer Erfolg für den Industrie- und Technologiestandort Ostdeutschland“ insgesamt, ging Dulig über den regionalen Horizont hinaus. Er sprach von einem Hightech-Dreieck Dresden-Magdeburg-Jena und hob hervor, wie wichtig europäische Technologiesouveränität sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles