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Integrationslotsin droht AusweisungBehörde im Abschiebewahn

Als Angestellte des Berliner Senats unterstützt Simran Sodhi Migranten. Sie soll abgeschoben werden, weil sie zu wenig verdient.

Muss wohl zu den Besserverdienenden gehören, wenn sie in Deutschland bleiben will: Simran Sodhi. Tabelle: http://www.change.org

BERLIN taz | Der Anspruch an Integrationspolitik ist das eine die Realität deutscher Ausländerpolitik etwas ganz anderes. Diese Erfahrung muss im Moment Simran Sodhi machen: Die 27-jährige gebürtige Inderin ist die erste Integrationslotsin des Berliner Bezirks Treptow-Köpenick, soll aber nach dem Willen der Ausländerbehörde Ende Mai das Land verlassen.

Seit Jahresbeginn unterstützt die studierte Ethnologin Migranten im Bezirk bei der Bewältigung ihres Alltags, bei Behördengängen oder der Wohnungssuche. Ihr Arbeitsplatz beim Projektträger offensiv’91 wird finanziert durch ein Landesprogramm, das für die langfristige Integration von 60 Lotsen und Stadtteilmüttern in den Arbeitsmarkt insgesamt 4,4 Millionen Euro zur Verfügung stellt.

Wenn es jedoch nach der Ausländerbehörde geht, soll Sodhi in ihr Geburtsland Indien zurückkehren. Weil ihr Aufenthaltstitel 18 Monate nach Abschluss ihres Studiums auslief, musste sich Sodhi um eine erneute Arbeitserlaubnis bewerben. Sie tat dies, wie sie der taz erklärte, mit Unterstützung der stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin Ines Feierabend (Linke), der Senatsverwaltung für Integration sowie der Alice-Salomon-Hochschule und der Humboldt-Universität. Alle sprachen sich für einen Verbleib von Sodhi in Berlin aus und betonten die integrationspolitische Bedeutung ihrer Tätigkeit.

Doch all das half nichts – die Ausländerbehörde lehnte das Ersuchen am 5. Mai endgültig ab. Es lägen keine besonderen Gründe für eine Verlängerung des Aufenthalts vor, hieß es, außerdem sei Sodhi überqualifiziert. Oder, je nach Perspektive: unterbezahlt.

Intervention

Nach eingehender Prüfung der Aktenlage hat Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) die Ausländerbehörde angewiesen, sich erneut mit dem Fall zu befassen. „Aus meiner Sicht besteht ein hohes Interesse, dass eine Lösung für die Betroffene gefunden wird. Das muss jedoch im Einklang mit der geltenden Rechtslage erfolgen“, sagte Henkel am Dienstag. Der Senator spricht in einer Mitteilung von einem „falschen Signal, wenn der Eindruck erweckt würde, dass Berlin Qualifikation und öffentliches Engagement sanktioniert“.

Unterstützung erhielt die Betroffene am Dienstag auch durch einen offenen Brief, der durch zahlreiche Vertreter aus Politik, Projekten und Wissenschaft unterschrieben ist. Die Initiatoren des Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick fordern den Verbleib ihrer Mitarbeiterin und schreiben: „Der Schaden für das Land, den Bezirk, den Verein und nicht zuletzt die Menschen, die die Dienste der Integrationslotsin in Anspruch nehmen, wäre groß.“

Die 1.200 Euro netto, die sie mit ihrer 69-Prozent-Stelle monatlich verdient, reichen der Behörde nicht. „Von einer Master-Absolventin werden 3.000 Euro gefordert“, sagt Sodhi, die von der Abweisung völlig überrascht wurde. „Ich habe einen durch den öffentlichen Dienst geregelten Job. Daher habe ich mit so einer Entscheidung nicht gerechnet“, sagt sie. Auch ein Schreiben zweier Ethnologie-Professoren der HU, die ein Einstiegsgehalt in der geforderten Höhe für Geisteswissenschaftler für unrealistisch halten, hatte keinen Erfolg.

Öffentliches Interesse

Dabei lässt das Aufenthaltsgesetz durchaus einen Ermessensspielraum bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis zu, sofern ein „öffentliches Interesse“ an der Beschäftigung besteht. Dass genau dies der Fall ist, erklärt das Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick in einem offenen Brief: So gehört zu Sodhis Aufgaben auch die Unterstützung von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen. Das sei insbesondere in einem Bezirk wichtig, der „im Vergleich zu anderen Regionen eine deutlich sichtbare und aktive rechte Szene“ hat.

Zwei Wochen vor der anberaumten Abschiebung gerät die Ausländerbehörde, die bei der Senatsverwaltung für Inneres angesiedelt ist, zunehmend unter Druck. In einer Petition, die am Montag bereits 15.000-mal unterschrieben wurde, wird ein Umdenken ebenso gefordert wie in einem offenen Brief, der am Dienstag veröffentlicht wird und von zahlreichen Politikern unterschrieben wurde.

Auch aus der Regierungspartei SPD kommt scharfe Kritik. Aziz Bozkurt von der AG Migration und Vielfalt erklärte: „Die Entscheidung spiegelt den Geist in der Behörde wider und ist einfach nur unfassbar.“ SPD-Fraktionschef Raed Saleh bezeichnete den Vorgang als „absurd“.

Ob sich die Ausländerbehörde davon beeindrucken lässt, ist ungewiss. Gegenüber der taz wollte sich niemand zu dem Fall äußern. Sodhi selbst hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie freut sich über die breite Unterstützung und sagt: „Ich bin optimistisch.“

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9 Kommentare

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  • Was hat das mit "Abschiebewahn" zu tun?

     

    Dies wäre doch nur dann der Fall, wenn die entsprechende Stelle durch keine andere in Berlin lebenden Person ausgefüllt werden könne. Gibt es in in der Hauptstadt keine arbeitslosen Akademiker mit Migrationhintergrund mehr? Ich denke nicht.

     

    Es gibt Regeln und Gesetzte. Eines davon besagt, dass zum Erlangen einer dauerhaften Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung ein Bruttogehalt von mindnestens (ca.) 3000 € erwirtschaftet werden muss. Unter diesem Gesetz haben viele Privatunternehmer, besonders im chronisch unterbezahlten Pflegebereich zu leiden. Und ausgerechnet der Staat, der solche Gesetzte zu verantworten hat, soll davon abweichen dürfen? Allein diese Forderung ist eine Frechheit!

    • @Cerberus:

      wie wäre es denn, statt der menschen bescheuerte gesetze+regeln 'in die wüste zu schicken'?

      • @christine rölke-sommer:

        Wer will denn entscheiden, welche Gesetze und Regeln bescheuert sind? Ich persönlich halte dieses Gesetz durchaus für sinnvoll, das mind. Bruttogehalt für angemessen.

        Letztendlich sind es die Menschen, die ihre Volksvertreter wählen, die wiederum die Gesetze verabschieden. Wenn das Volk es will, kann es also

        die Gesetze ändern, ganz legal ohne Revolution.

        • @MRO:

          Sie müssen überlesen haben, dass ich mich mit 'bescheuert' auf die kritik meines vorredners an der 3000 juronen-regelung bezog.

          diese gilt für blue-card-aspirantinnen. und da darf man schon mal fragen, wem, außer der großen industrie, die nutzt.

          ansonsten reichte es bislang immer aus, ein einkommen zu erzielen, das ermöglicht, unabhängig von sozialhilfe zu leben. das ist bei 1.200 netto der fall. und da frau Sodhi 2/3 der regelarbeitszeit arbeitet, könnte sie sogar noch ... falls sie nicht lieber in ihrer freizeit erst in der bib sitzt und danach tanzen geht.

          was man natürlich weiter fragen könnte, ist, wieso gemessen an MINT humanities chronisch unterbezahlt sind. wirkt hier ein naturgesetz?

  • Lieber Autor, würden Sie bitte noch einmal die in Ihrem Artikel erwähnte Gehaltsgrenze von EUR 3.000,- netto prüfen. Ich gehe davon aus, dass es brutto heissen sollte. Als alleinstehender Hochschulabsolvent EUR 3.000,- netto im Monat zu verdienen, dürfte in den meisten Berufen schwierig sein, selbst als Ingenieur. Nach der Blue Card Regelung liegt die Gehaltsgrenze bei mind. EUR 46.400,00 im Jahr (brutto), in Mangelberufen bei EUR 36.200,-. Diese Regelung gilt übrigens unabhängig davon wo oder als was man beschäftigt ist, daher verstehe ich diese Aufregung nicht.

  • Wenn schon, dann bitte richtig: Ines Feierabend ist STELLVERTRETENDE Bezirksbürgermeisterin von Treptow/Köpenick.

  • http://www.zentrum-für-demokratie.de/

     

    Hier finden sich die folgenden Aussagen:

     

    "Das von Senatorin Dilek Kolat ins Leben gerufene Landesrahmenprogramm hat sich zum Ziel gesetzt, die derzeit 60 regelfinanzierten und in allen Bezirken Berlins eingesetzten Integrationslots/innen und Stadtteilmütter langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren."

     

    Es handelt sich folglich um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Frau Sodhi!

     

    "Für Treptow-Köpenick ist die Tätigkeit der Integrationslotsin absolute „Pionierarbeit“. Der Bezirk hat bisher weder Erfahrungen mit Integrationslots/innen, noch kann er auf eine ähnlich breite Projekt- und Angebotslandschaft im Bereich Integration/Migration zurückgreifen wie andere Bezirke. Die Tätigkeit von Frau Sodhi im Rahmen des Projektes verlangt daher besonders hier nicht nur viel qualifiziertes Eigenengagement und Geduld ab. Dies spiegelt auch die bisherige Presseberichterstattung wieder"

     

    Wie will man beurteilen ob die Sache funktioniert wenn es bisher keine Erfahrungswerte gibt? Woher weiß man ob Frau Sodhi die dafür notwendigen Qualifikationen hat wenn bisher noch keine Erfolgskontrolle statt fand?

     

    Wie wird dieses "öffentliche Interesse" begründet? Doch nicht mit diesen Aussagen vom Zentrum für Demokratie?

    • @Fragen über Fragen:

      Nach der Logik wäre jeder öffentlich finanzierte Arbeitsplatz ja eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

       

      Sozialarbeiter, Lehrer, Polizisten, Richter, all die sind auch langfristig in den Arbeitsmarkt integriert. Aber wahrscheinlich sollte man die auch alle abschieben....

       

      Übrigens: 3000 Euro netto für einen Berufsanfänger? Das ist nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern auch für Ingieneure und Naturwissenschaftler unrealistisch.

    • @Fragen über Fragen:

      es handelt sich um was? eine arbeitsbeschaffungsmaßnahme für 1 person?

      irrtum. es handelt sich um ein neues berufsfeld/bild im rahmen aufsuchender sozialarbeit. und zwar um eines, welches neben dem einen und anderen studienabschluß (näheres entnehmen Sie bitte der petition) inter-kulturelle kompetenz erfordert.

      im übrigen "funktioniert die Sache", wenn die klientele zufrieden ist und à la longue ohne lotsin auskommt.