Instagram-Account „Femizide stoppen“: „Wollen unsere Follower politisieren“
Lilly S. und Saskia A. verloren eine Freundin durch einen Femizid. Auf Instagram machen sie seitdem auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam.
taz: Frau S., auf Ihrer Instagram-Seite mit mehr als 50.000 Followern zählen Sie Femizide in Deutschland. Wieso?
S.: Saskia und ich hatten eine gemeinsame Freundin aus der Schulzeit, Derya. Im November 2021 ist Derya Opfer eines erweiterten Femizids geworden. Ein Klassenkamerad hat sie getötet und mit ihr das gemeinsame Kind, den vierjährigen Kian. Das war für uns alle sehr schlimm. Wir wussten aber, dass wir nicht die Einzigen sind, die eine Freundin haben, die getötet wurde. Jeden zweiten Tag in Deutschland wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Aus dieser Not heraus haben wir die Seite gestartet. Wir wollten Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Das Konzept haben wir uns von österreichischen und chilenischen Aktivist:innen abgeguckt. Schon mit Beginn des Jahres 2022 haben wir zu berichten angefangen.
taz: Wie haben Sie den Umgang der Behörden mit dem Mord an Derya wahrgenommen?
S.: Von der Polizeiarbeit waren wir positiv überrascht. Da zu Beginn niemand wusste, wer der leibliche Vater von Kian ist, war nicht direkt klar, wer der Täter ist. Er konnte aber durch einen Indizienprozess rechtmäßig verurteilt werden. Am vorletzten Prozesstag gestand er dann. Wir hatten zuerst Sorge wegen der Richterin, da sie in der Vergangenheit bei einem Femizid sehr mild geurteilt hatte. Der Täter bekam dann aber die Höchststrafe: Er wurde wegen zweifachen heimtückischen Mordes aus niedrigen Beweggründen und wegen besonderer Schwere der Schuld zu lebenslanger Haft verurteilt.
taz: Sie zählen deutschlandweit Femizide. Recherchieren Sie all diese Fälle selbst?
S.: Wir haben einen Google-Alert für verschiedene Begriffe eingerichtet, bekommen also eine Benachrichtigung, wenn beispielsweise der Begriff Femizid oder „Frau getötet“ irgendwo neu auftaucht. Mittlerweile bekommen wir auch viele Fälle von Followern zugeschickt. Wir übertragen erst mal alles in eine Liste und prüfen dann, ob es sich um eine geschlechtsspezifische Tötung handelt.
taz: Das Bundeskriminalamt zählte 2023 insgesamt 155 Frauen, die durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet wurden. Sie aber haben nur 119 für das letzte Jahr gezählt.
Lilly S. (l.), 27 Jahre alt, betreibt mit ihrer Schulfreundin Saskia A. (r.) den Instagram-Account „Femizide stoppen“. Sie wuchs in Köln auf und studiert Medizin in Würzburg.
S.: Das liegt vor allem am Zugang zu Informationen. Wenn über einen Mord nicht berichtet wird, erfahren wir auch nicht davon. Wenn berichtet wird, sind die Informationen nicht immer ausreichend. Wir stufen eine Tötung zum Beispiel als Femizid ein, wenn es sich bei dem Täter um den Partner oder Ex-Partner handelt – das Opfer-Täter-Verhältnis und das Motiv sind aber nicht immer klar. Ohnehin arbeiten wir ja mit Mutmaßungen, denn zum Zeitpunkt der Medienberichte gab es in der Regel noch keine Verurteilung. Wenn wir einen Fall nicht posten, bedeutet das also nicht, dass wir ihn nicht als Femizid werten, sondern meist, dass wir einfach nicht genügend Informationen haben. Wir müssen einordnen können, da wir den Begriff Femizid nicht verwässern und möglichst seriös berichten wollen.
taz: Sie zählen auch Fälle, in denen die Täter noch nicht verurteilt sind. Ist das nicht eine Form der Vorverurteilung?
S.: Es gab öfters mal Kommentare von Leuten, die uns darauf hingewiesen haben, dass es sich nicht um Täter, sondern um mutmaßliche Täter handelt, und uns Vorverurteilung vorwarfen. Das ist eben der Unterschied zu einer journalistischen Quelle: Wir betreiben Aktivismus, unbezahlt in unserer Freizeit. Unser Ziel ist es, die Aufmerksamkeit für das Thema zu steigern. Oft berichtet nur die lokale Presse über Femizide, und es bekommt darüber hinaus niemand mit. Wir wollen Solidarität zeigen, unsere Follower politisieren und ein Bewusstsein für die Vorstufen der Gewalt schaffen.
taz: Wie viel Ihrer Zeit fließt in den Account?
S.: Viel zu viel wahrscheinlich, ich will es gar nicht wissen. Täglich auf jeden Fall mehr als eine Stunde. Allein schon die ganzen Zusendungen und Nachrichten von Betroffenen zu lesen dauert.
taz: Was macht das mit einem, ständig mit Gewalt und Tod konfrontiert zu sein?
S.: Am Anfang war es eine Art Coping, um nicht untätig zu sein und uns aus dem Gefühl der Ohnmacht zu befreien. Mittlerweile ist es fast Normalität geworden. Dadurch, dass wir jetzt so viele erreichen und ihnen die Information und Solidarität geben, die uns damals gefehlt hat, gibt die Arbeit jetzt aber sehr viel Positives zurück.
taz: Wie ist die Geschlechterverteilung auf Ihrem Instagram-Account?
S.: Uns folgen 85 Prozent Frauen und 15 Prozent Männer.
taz: Ihre Instagram-Seite besteht aus Kacheln, auf denen Sie Femizide zählen. Zuletzt haben Sie aber auch inhaltliche Posts gebracht, etwa zu dem Fall Anys, die von ihrem Ex-Partner, dem Youtuber Mois, Gewalt erfahren hat und öffentlich bedroht wird. Warum hat Sie gerade dieser Fall zu einem Statement bewegt?
S.: Femizide sind die höchste Form der patriarchalen Gewalt. Die baut aber auf anderen Gewaltformen auf. Dort muss man bereits ansetzen. Schon psychische Gewalt als Vorstufe von Femiziden muss bekämpft werden, da sie sonst weiteren Formen der Gewalt den Weg ebnet. Im Fall von Anys wird das sehr deutlich. Deshalb war es uns wichtig, hinzuschauen und auf den Fall aufmerksam zu machen.
taz: Was müsste politisch passieren, damit Frauen wie Anys besser geschützt sind?
S.: Es braucht grundsätzlich ein gesellschaftliches Umdenken, das beginnt schon in der Kindheit. Männer müssen verstehen, dass sie nicht über Frauen verfügen. Dann aber muss die Istanbul-Konvention konsequent umgesetzt werden. Es braucht mehr Frauenhausplätze, die Polizei muss besser geschult werden. Auch am Wohnraum muss angesetzt werden. Wenn es keine verfügbaren und günstigen Wohnungen gibt, dann fehlt Schutzraum für gewaltbetroffene Frauen.
taz: Sollte aus Ihrer Sicht der Femizid ein eigener Straftatbestand werden?
S.: Wir sind keine Juristinnen und halten uns daher an die Forderungen des Deutschen Juristinnenbundes von 2021 – etwa „geschlechtsspezifische Beweggründe“ als Merkmal in die Strafzumessungserwägungen aufzunehmen. Er fordert außerdem eine intensive Tatursachenforschung und auch, dass eine intime Beziehung zwischen Opfer und Täter sich nicht strafmildernd auswirken darf. Hinzu kommen Instrumente zur Risikoeinschätzung, Fortbildungen in Polizei und juristischem Apparat zu häuslicher Gewalt sowie bessere rechtliche Möglichkeiten, gewalttätige Männer von Betroffenen fernzuhalten.
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