Insektizid-Einsatz per Notfallzulassung: 34.000 Hektar Todeszone für Bienen

Die Aussaat von Zuckerrüben in Niedersachsen beginnt. Dank Notfallzulassung darf die Nordzucker AG dabei längst verbotene Insektizide nutzen.

Zuckerrübenhaufen vor einem Mähdrescher

Damit die Ernte gut wird, kommt Gift mit in die Aussaat: Zuckerrüben Foto: Philipp Schulze/dpa

Hamburg taz | Der Brief, den Ulrich Raschkows­ki vor wenigen Tagen erhalten hat, sei „ärgerlich und macht uns alle wütend“. Raschkowski ist im Vorstand des Kreis­imkervereins Wolfsburg und der besagte Brief kommt von der Nordzucker AG. Der Braunschweiger Zuckerproduzent teilte den Imkern darin mit, dass in diesen Tagen die Aussaat der Zuckerrüben in der Region beginne.

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Das wäre soweit keine Nachricht, wenn das Saatgut diesmal nicht mit einem eigentlich bereits EU-weit verbotenen Pflanzenschutzmittel gebeizt wäre. „Dabei sind das anerkannterweise hochgefährliche Insektizide und für Wild- und Honigbienen schädigend“, sagt Raschkowski. Die Imker befürchten nun einen Einbruch der Populationen.

Eine Notfallzulassung erlaubt es dem Unternehmen, das Pflanzenschutzmittel zu verwenden. Dabei ist der Einsatz des sogenannten Neonikotinoids EU-weit seit 2018 verboten. Neonikotinoide sind eine Gruppe hochwirksamer Insektizide. Eines davon, Thiamethoxam, ist als Wirkstoff in der Beize „Cruiser 600 FS“ enthalten, das nun verwendet wird. Es dient den Saatkörnern als Schutz vor der grünen Pfirsichblattlaus. Diese ist Hauptüberträger des Rübenvergilbungsvirus, der hohe Ertragsverluste zur Folge haben kann.

Ein großes Problem sind diese Insektizide für Bienen. Selbst kleine Mengen, die die Tiere nicht direkt töten, schaden ihnen: Neonikotinoide können zu einer Beeinträchtigung der Gehirnprozesse der Bienen führen und auf diese Weise ihre Kommunikation und Orientierungsfähigkeit einschränken. „Sie finden dann nicht mehr zurück zum Bienenstock“, sagt Raschkowski.

Notfallzulassung durch den Bund

Die Notfallzulassung hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erteilt, weil das Vergilbungsvirus sich zuletzt in vielen Anbaugebieten der EU ausgebreitet und auch in Deutschland regional zu „gravierenden“ Pflanzenschäden und Ertragsverlusten geführt habe. Neben Niedersachsen gilt die Erlaubnis auch in Schleswig-Holstein und in fünf weiteren Bundesländern. Bis Ende April darf Nordzucker in Niedersachsen das Pflanzenschutzmittel vorerst benutzen.

Ulrich Raschkowski, Imkerverein Wolfsburg

„Aus Sicht des Bienen- und Insektenschutzes ist das ein Teufelszeug“

Begrenzt ist es allerdings auf „Hotspots der Vertragsgebiete von den in der Zulassung angegebenen Zuckerfabriken“. Die Landwirtschaft in Niedersachsen baut auf einer Fläche von knapp 100.000 Hektar Zuckerrüben an. Besonders im westlichen Niedersachsen überwiegt der Zuckerrübenanbau. Ausbringen dürfen das Saatgut nun diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die Nordzucker mit Zuckerrüben beliefern. Insgesamt beträgt die zugelassene Fläche 34.000 Hektar.

„Es ist aus Sicht des Bienen- und Insektenschutzes ein Teufelszeug“, sagt Raschkowski. Vor einigen Jahren starben nach der Beizung von Raps am Oberrhein mehr als 11.000 Bienenvölker. Bei der Zuckerrübe ist die Gefährdung allerdings geringer: Die Pflanzen werden geerntet, bevor sie blühen und Bienen anlocken. Dennoch bleibt die Gefahr durch andere Übertragungswege – wie etwa über das Wasser oder den Boden – weiterhin bestehen.

Nordzucker teilt betroffene Äcker nicht mit

Immerhin hat Nordzucker dem Imkerverein nun mitgeteilt, dass im Landkreis das gebeizte Saatgut genutzt werde. „Aber niemand weiß genau, welche Äcker betroffen sind“, sagt Raschkowski. Ärgerlich sei das, weil auch die Imker vor Ort ein Monitoring zur Beobachtung möglicher Umwelteffekte durchführen wollen.

Auf Nachfrage der taz kam von der Nordzucker AG ebenfalls keine detaillierte Antwort. „Wir stehen in direktem Austausch mit den Imkerverbänden und halten diese für eingehend informiert“, sagt ein Sprecher des Konzerns, der im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Euro gemacht hatte.

Auch der Landesverband der Imker hofft noch auf weitere Informationen. „Die Angst vor diesen Mitteln ist groß bei unseren Mitgliedern“, sagt Jürgen Frühling, Landesvorsitzender der Imker:innen. „Wir können nur hoffen, dass es bei einer einmaligen Zulassung bleibt.“

Diese Hoffnung besteht bei Frühling auch, weil es in den vergangenen Jahren in Niedersachsen auch schon Notfallzulassungen für Insektizide, damals im Kartoffelanbau, gab. „Doch die Einwände der Lebensmittelvermarkter, die die behandelten Kartoffeln nicht abnehmen wollten, haben dazu geführt, dass die Behandlung nicht stattgefunden hat“, sagt Frühling.

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