Inklusion in Hamburger Schulen: Gespart wird am Kind

Viele Kinder mit Förderbedarf sind ohne Schulbegleiter, weil die Schulbehörde mit den Anträgen nicht hinterher kommt.

Haben Förderbedarf, aber keine Schulbegleiter: Kinder in Hamburg Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Eigentlich geht Julius gern zur Schule. Und mit der richtigen Hilfe kann der schwerbehinderte Junge den Alltag in der Klasse auch gut bewältigen. Doch seit das neue Schuljahr begonnen hat, geht es dem 8-Jährigen nicht gut. Julius ist gereizt, seine Haut wird schlechter, er verliert an Gewicht. „Ein Zeichen dafür, dass er nicht mehr so gut mitkommt beim Essen in der Schule“, sagt Julius Mutter, Berend Hellmann.

Sie ist besorgt um ihr Kind – und wütend auf die Hamburger Schulbehörde. Dort können Eltern und Schulen Helfer für förderbedürftige Kinder beantragen, „Schulbegleitung“ nennt sich das Konzept. Doch in diesem Jahr stapeln sich die Anträge auf Schulbegleiter, rund 400 Fälle sind noch nicht bearbeitet.

In der Schulbehörde gibt man sich überfordert. Warum die Zahl der Anträge angestiegen ist – 2012 waren es noch 305, in diesem Jahr sind es 488 – sei „unerklärlich“ und „nicht absehbar gewesen“, sagt Schulsenator Ties Rabe. Stefanie von Berg, bildungspolitische Sprecherin der Hamburger Grünen, sieht das anders: „Es ist ein Skandal, dass viele Kinder auch nach Beginn des Schuljahres noch ohne Betreuung dastehen.“ Normalerweise würden etwa acht Wochen bis zur Bewilligung eines Antrags vergehen, so bliebe Eltern und Schulen schon vor den Sommerferien genug Zeit, geeignete Begleiter zu suchen. „Die Schulbehörde hat wohl verschlafen“, sagt von Berg.

Die Folge: Überforderte Kinder, Eltern, Lehrer. Wie in der Schule am Hirtenweg, die Julius besucht. Sie ist speziell für körperbehinderte Kinder ausgerichtet, die etwa noch Hilfe beim Umblättern eines Buches oder beim Essen in der Kantine benötigen. Bisher waren dafür 15 Schulbegleiter angestellt, diese werden auf die Klassen verteilt, meist kümmern sie sich um mehrere Kinder zugleich. Jetzt fehlen neun Helfer. Und die Arbeitsverträge der noch angestellten Schulbegleiter laufen im Oktober aus. „Dann herrschen hier dramatische Zustände. Unterricht und Therapie werden für viele Kinder ganz ausfallen müssen“, heißt es aus dem Lehrerkollegium. Zwar sei einzelnen Kindern nun endlich eine Schulbegleitung bewilligt worden, jedoch nur für einen Zeitraum von zwei bis sechs Monaten. Dafür Personal zu finden, sei schwierig, sagt von Berg: „Schulbegleiter sind überwiegend Jugendliche, die ein freiwilliges soziales Jahr ableisten – die suchen eine Anstellung für ein Jahr und haben ihre Stellen schon gefunden. Außerdem brauchen Kinder einen langfristigen Betreuer, ständige Wechsel tun ihnen nicht gut.“

Für die Eltern ist das Vorgehen der Schulbehörde vor allem Ausdruck eines verfehlten Inklusionskonzepts. Denn der gestiegene Bedarf an Schulbegleitern hat einen Grund: Seit 2010 haben Kinder in Hamburg das Recht, eine Regelschule zu besuchen. Hamburg rühmte sich damals, die UN-Konvention als eines der ersten Länder im Schulgesetz verankert zu haben. Doch drei Jahre später fällen Eltern ein hartes Urteil: „Das ist keine Inklusion, sondern ein Sparprogramm“, sagt Hellmann, die Mitglied des Elternrats der Schule am Hirtenweg ist. „Körperbehinderte Kinder haben ganz andere Ansprüche als solche mit emotionalen Störungen – doch alles wird in einen Topf geschmissen. Die Regelschulen sind darauf nicht vorbereitet und ohne Helfer umso mehr überfordert. Diese Politik schadet nur den Kindern.“

Ihrem Sohn Julius wurde nun zwar eine Förderung bewilligt – jedoch auf sechs Monate begrenzt, die Gesamtkosten wurden deutlich reduziert. „Es gibt keinen Grund dafür – Julius geht es nicht besser, er sitzt im Rollstuhl, hat weiterhin einen hohen Förderbedarf.“ Mit ihrer Kritik steht Hellmann nicht allein da: Auch in anderen Hamburger Förderschulen formieren sich Elternräte zum Protest und diskutieren über Möglichkeiten, den Rechtsweg einzulegen.

Die Schulbehörde hat nun erste Konsequenzen gezogen: Um die vielen Anträge zu bearbeiten, helfen vorübergehend Mitarbeiter aus anderen Abteilungen aus. Auch eine Vergrößerung des zuständigen Referats sei geplant, sagte Sprecher Peter Albrecht.

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