Initiative „Justice for Nelson“: „Wir sind Freiwild! Und die Gesellschaft schaut weg“
Der Tod eines 15-jährigen Schwarzen Teenagers in der JVA Ottweiler im Saarland ist kein Einzelfall. Die Initiative „Justice for Nelson“ will Aufklärung.
Nach Mouhamed Dramé und Lorenz A. starb nun innerhalb kürzester Zeit auch Nelson im Kontakt mit deutschen Behörden: Der Schwarze Teenager wurde am 1. August tot in einer Zelle der JVA Ottweiler im Saarland aufgefunden, wenige Tage nachdem er sich in Haft eingefunden hatte. Er soll Suizid begangen haben. Die Umstände seines Todes werfen Fragen auf.
Über ein Dutzend Mithäftlinge protestierten in der JVA. Ein Wärter soll Nelson kurz zuvor geschlagen haben, am nächsten Tag trat der Beschuldigte dennoch seinen Dienst an. Eine erste Obduktion der Staatsanwaltschaft geht von einem Tod ohne Fremdeinwirkung aus.
Nelsons Leichnam wurde ohne Terminabstimmung mit der Familie eingeäschert, sagen die Angehörigen. Sie fordern Gerechtigkeit sowie eine lückenlose Aufklärung. Damit reiht sich Nelson in eine Serie dokumentierter Todesfällen von rassifizierten Personen in justiziellem oder staatlichem Gewahrsam in Deutschland ein. Ein Ermittlungsverfahren und ein Vorermittlungsverfahren laufen gegen zwei Beamte der JVA.
Glenda Obermuller und Mzee Maat Onyango, engagieren sich beide für Schwarze Communitys in Deutschland. Die beiden haben wenige Tage nach dem gewaltsamen Tod des 15-jährigen die Solidaritätsgruppe „Justice for Nelson“ ins Leben gerufen, stehen mit Nelsons Vater im Austausch und organisieren die Trauerfeier, die nun am 1. September öffentlich in Saarbrücken stattfindet.
taz: Nelson, ein Schwarzer Teenager, starb am 1. August in einer Zelle der JVA Ottweiler. Ein großer öffentlicher Aufschrei blieb bislang aus. Sie haben daraufhin die Initiative „Justice for Nelson“ ins Leben gerufen, was steckt dahinter?
Glenda Obermuller: Wir sind ein Zusammenschluss an Menschen, die sagen: Wir müssen etwas tun. Wir sind auf Social Media laut, organisieren Demos und unterstützen die Familie, also gerade Nelsons Vater, in dieser schweren Zeit.
Haben Sie den Verdacht, an Depression zu leiden? Oder haben Sie sogar suizidale Gedanken? Andere Menschen können Ihnen helfen. Sie können sich an Familienmitglieder, Freund:innen und Bekannte wenden. Sie können sich auch professionelle oder ehrenamtliche Hilfe holen – auch anonym. Bitte suchen Sie sich Hilfe, Sie sind nicht allein. Anbei finden Sie einige Anlaufstellen.
Akute suizidale Gedanken: Rufen Sie den Notruf unter 112 an, wenn Sie akute suizidale Gedanken haben. Wenn Sie sofort behandelt werden möchten, finden Sie Hilfe bei der psychiatrischen Klinik oder beim Krisendienst.
Depression und depressive Stimmung: Holen Sie sich Hilfe durch eine Psychotherapie. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe kann Ihnen ferner Hilfe und Information zum Umgang mit Depression bieten.
Kummer: Sind Sie traurig und möchten jemanden zum Reden haben? Wollen Sie Sorgen loswerden und möchten, dass Ihnen jemand zuhört? Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr besetzt. Die Telefonnummern sind 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222. Sie können auch das schriftliche Angebot via Chat oder Mail in Anspruch nehmen.
Onlineberatung bei Suizidgedanken: Die MANO Suizidprävention bietet eine anonyme Onlineberatung an. Wenn Sie über 26 Jahre alt sind, können Sie sich auf der Webseite registrieren. Sollten Sie jünger sein, können Sie hier eine Helpmail formulieren.
Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern: Die Nummer gegen Kummer hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern zu helfen. Kinder erhalten dort Unterstützung unter der Nummer 116 111, Eltern unter 0800 111 0 550, und bei der Helpline Ukraine unter 0800 500 225 0 finden Sie auch Hilfe auf Russisch und Ukrainisch.
Hilfsangebot für Muslim:innen: Die Ehrenamtlichen des Muslimischen Seelsorgetelefons erreichen Sie anonym und vertraulich unter 030 443 509 821.
Bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention können Sie nach weiteren Seiten und Nummern suchen, die Ihrem Bedarf entsprechen.
Mzee Maat Onyango: Der Machtlosigkeit müssen wir etwas entgegensetzen. Als ich das erste Mal mit Nelsons Vater sprach, sagte dieser, er fühle sich komplett alleingelassen. Er braucht Gerechtigkeit. Viele Medien nehmen die Geschichte von Nelson gar nicht wahr.
taz: Sie sind mit den Angehörigen also in engem Austausch?
Obermuller: Gerade dem Vater geht es natürlich sehr schlecht. Die Angehörigen sind traurig wegen der Situation und auch aufgebracht wegen der Ungerechtigkeit.
Onyango: Als wir über eine Freundin der Familie in Kontakt mit dem Vater kamen, stand dieser ganz alleine da. In seiner Trauer, aber auch beim Thema Geld: Eine Beerdigung sollte 10.000 Euro kosten, hieß es. Wir haben dann eine Go-Fund-Me-Kampagne eingerichtet und innerhalb 24 Stunden 11 000 Euro eingesammelt.
taz: Das heißt, zumindest die Beerdigung kann nun so ablaufen, wie es sich die Familie wünscht?
Onyango: Nelson wurde eingeäschert. In vielen afrikanischen Kulturen ist das nicht üblich. Viel schlimmer ist aber, dass die Einäscherung durchgeführt wurde, ohne der Familie den Termin zu nennen. Sie konnten sich nicht von Nelson verabschieden. Ein zweites Gutachten durch eigene Anwälte konnte dadurch nicht so erstellt werden, wie gedacht. Die Reaktion des Vaters hat sich mir tief eingebrannt. Er sagte: Ich habe meinen Sohn ein zweites Mal verloren.
Obermuller: Er war ein Kind. Mein eigener Sohn ist 22 Jahre alt. Wer selbst Kinder hat, sollte das nachfühlen können. Ich verstehe dieses Schweigen der Gesellschaft zu Nelsons Tod nicht.
taz: Die Trauerfeier ist am Montag, dem 1. September, ist öffentlich. Was ist dabei geplant?
Obermuller: Die Familie will, dass Nelson endlich seine Ruhe findet. In afrikanischen Kulturen trauern wir gemeinsam, wir feiern aber auch das Leben des Verstorbenen. In dieser Tradition ist geplant, mit Musik, Poesie und Essen von Nelson Abschied zu nehmen und sein viel zu kurzes Leben zu ehren.
Onyango: Das Wichtigste ist, dass niemand mehr wegschauen kann. Man sagte mir, sei froh, dass du nicht in den USA bist. Dort würden Sie mir „du wertloser N****“ ins Gesicht sagen. In Deutschland passiert dieser brutale Rassismus auch. Nur scheinheiliger. Unsere Körper sind in Staatsgewahrsam nicht sicher.
taz: Sie haben daraufhin im Fall von Nelson selbst juristische Unterstützung eingeschaltet.
Onyango: Genau. Wir haben zwei tolle, Schwarze Anwälte gefunden: Dr. Oliver Ofuso-Ayeh und Blaise Francis Ndolumingo. Diese erstellen gerade ein Gutachten und vertreten den Fall von Nelson. Das zeigt auch, dass wir das Ganze nun selbst in die Hand nehmen.
Obermuller: Wir brauchen auch den Druck durch die Gesellschaft. Erst wenn sich Behörden und Politik unter Druck fühlen, sind sie bereit, etwas zu ändern. Das hat die Vergangenheit oft genug gezeigt.
taz: Mouhamed Dramé mit 16 Jahren, Lorenz A. mit 21 Jahren und nun ist mit Nelson, ein 15- jähriger, im Kontakt mit Behörden ums Leben gekommen. Wie fügt sich das zusammen?
Onyango: Wir sind Freiwild! Und die Gesellschaft schaut weg. Es passiert nicht seit gestern, nicht mal seit vorgestern, sondern schon viel zu lange. Ich saß selbst in Haft und habe Misshandlungen erfahren. Ich weiß von anderen Afrikanern, bei denen es auch so war. Das sind Orte, an denen niemand genau hinschaut, dir niemand helfen kann.
Obermuller: Schwarzes Leben zählt nicht so wie anderes Leben in Deutschland. Wir hoffen, dass Nelsons Leben hier ein Zeichen setzt.
taz: Eine Kampagne, die von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) mitverantwortet wurde, zeigte bereits, dass es zwischen 1990 und 2021 mindestens 182 Todesfälle rassifizierter Menschen in polizeilichem oder justiziellem Gewahrsam gab. Was passiert als Nächstes?
Onyango: Die beiden Strafverteidiger sind in Nelsons Fall dran. Es heißt, bei der Staatsanwaltschaft gebe es drei weitere Fälle von Körperverletzung durch Wärter der JVA. Wir wollen jetzt natürlich aufklären, was mit Nelson genau passiert ist. Inwiefern es da ein größeres Problem gibt, das auch möglicherweise Nelson getroffen hat.
Obermuller: Es muss ein Ende dieser Gewalt geben.
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