Inflationsfolgen in Hamburg: Stadtbeschäftigte fordern Zuschlag
Weil das Leben zu teuer ist, wandern Kräfte von Feuerwehr und Jugendamt ins Umland, warnen bei Ver.di organisierte Beschäftigte. Berlin zahlt mehr.
![Menschen in Kletterausrüstung hängen an Seilen vor der grauen Betonwand eines Fernsehturms Menschen in Kletterausrüstung hängen an Seilen vor der grauen Betonwand eines Fernsehturms](https://taz.de/picture/5993291/14/n3-abseilen-4sp-1.jpeg)
Dabei seien die rund 38.000 Angestellten eher arm. So verdienten im Jahr 2020 über 70 Prozent von ihnen weniger als den Medianlohn der Hamburger, gehörten also zur ärmeren Hälfte. Zugleich ist Hamburg aber teuer als das Umland. Die Stadt habe ein massives Fachkräfte-Problem, sagte Stempel. Ein Viertel der ausgeschriebenen Stellen sei unbesetzt.
Besonders dramatisch wirke sich dies bei der Feuerwehr und den Jugendämtern aus, die nicht einfach schließen können, ergänzte Ver.di-Sprecherin Anja Keuchel. Hätten die meisten Hamburger besinnliche Festtage vor sich, dürfte Weihnachten und Silvester für die Feuerwehr und die Jugendämter „alles andere als besinnlich werden“.
Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) im Stadtteil Süderelbe habe gegenüber 2019 ohnehin 40 Prozent mehr Fälle, berichtete die bei Ver.di organisierte Sozialarbeiterin Anneli Schröder. „Im ASD brennt die Hütte. Viele Kräfte wandern ab ins Umland.“
Wenig Geld, viel Arbeit
Süderelbe ist ein stark wachsender Stadtteil und liegt dicht bei Niedersachsen. In Schröders Team habe die Leitung bereits gekündigt, zwei weitere Kolleginnen gingen im Laufe des Jahres und eine vierte spiele mit diesem Gedanken. Das nahe Hittfeld biete zwei Urlaubstage mehr und einen Zuschlag.
Im Schnitt habe jetzt schon jede Kraft 60 bis 80 „Zuständigkeiten“. So schlecht besetzt sei präventiv zu arbeiten nicht mehr möglich, sodass das Risiko einer Inobhutnahme von Kindern steige. „Feiertage bringen Familien in Notlagen in zusätzlichen Stress“, sagte Schröder. „Da kommt es zu Eskalationen, auf die wir reagieren müssen.“
Ähnlich düster sieht es laut der Ver.di-Frau Alexandra Wastrack auch bei der Feuerwehr aus. Jede Woche meldeten Kollegen, dass sie ins Umland abwanderten. „Da bezahlen sie besser“, heiße es. Außerdem müssten Feuerwehrleute in Hamburg zusätzlich die Rettungseinsätze ins Krankenhaus fahren, was die Belastung enorm steigere.
Dienst bei Umlands-Feuerwehr attraktiver
Im Umland werde dieser Rettungsdienst von privaten Dienstleistern gefahren, was die Feuerwehr entlaste. Auch der Nachwuchs sei nicht zu halten. Zwei von drei Auszubildenden als Notfallsanitäter blieben nicht bei der Feuerwehr. Hinzu komme, dass gerade viele Kollegen in den Ruhestand gingen und sich die Zahl der Einsätze in den letzten Jahren verdoppelt habe, das Personal aber nicht, sagte Wastrack. Hamburg baue ganze Stadtteile neu, ohne die Feuerwehr mitzudenken. „Es gibt eine Auswertung, wo die Feuerwehr in der vorgegeben Zeit kommt und wo nicht“, sagte sie. „Da gibt es Bereiche, da können wir nicht rechtzeitig sein.“
Auch bei anderen Dienstleistungen erwarteten die Stadtbeschäftigen eine sofortige Entlastung durch eine „Hamburg-Zulage“, sagte Max Stempel. Das sei wichtig: „Wer in Hamburg arbeitet, muss sich Hamburg leisten können.“ Nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) wäre es möglich, „zum Ausgleich höherer Lebenshaltungskosten“ ein höheres Entgelt zu zahlen.
Finanzsenator Dressel verweise stets auf die bundesweiten Tarifverhandlungen im Herbst und argumentiere, ein Vorpreschen sei nicht möglich. Das sieht Ver.di anders. „Wir haben dazu extra eine rechtliche Stellungnahme vorgelegt“, sagt Stempel.
Zu den Vorhalten befragt, erklärte Dressel denn auch, ein Alleingang einzelner Länder komme „tarifrechtlich und tarifpolitisch“ nicht in Frage. Dressel: „Wir haben nicht ohne Grund eine Tarifgemeinschaft, um eben genau keinen Wettbewerb unter den Ländern zu haben“. Es stehe den Gewerkschaften natürlich frei, bei den Tarifverhandlungen auf Länder-Ebene im Herbst 2023 „entsprechende Forderungen zu formulieren.“
Doch bis da ein Tarifergebnis vorliegt, dauere es „mindestens noch ein Jahr“, hält Stempel dagegen. „Die Bereiche bluten jetzt aus, das dauert einfach zu lang“. Stempel: „Das ganze ist jetzt auch eine Frage des politischen Willens“.
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