Indonesien ist Südostasiens Hotspot: Eine Coronawelle „wie ein Tsunami“
Indonesiens Regierung versucht, mit einem Teillockdown die rasante Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus zu bremsen.
Präsident Joko Widodo hatte den Teillockdown am Donnerstag verkündet. Schulen, Moscheen, Restaurants und Einkaufszentren müssen zunächst bis 20. Juli schließen. Mitarbeitende von Unternehmen sollen von zu Hause aus arbeiten, Schüler:innen online unterrichtet werden. Reisen sind nur noch jenen erlaubt, die mindestens eine Impfdosis erhalten haben.
„In den nächsten zehn Tagen, vielleicht zwei Wochen, können die Infektionen trotzdem noch ansteigen“, sagt Luhut Binsar Pandjaitan, der mit der Pandemiebekämpfung beauftragte Minister. Der Ex-General und frühere Stabschef Widodos ist eigentlich Koordinationsminister für Marine-Angelegenheiten. Mit den Restriktionen hofft er, die Neuinfektionen auf zunächst unter 10.000 pro Tag zu drücken.
In den letzten zwei Wochen hat es in Indonesien fast täglich neue Rekordwerte bei Infektionen und Toten gegeben. Die Infektionen haben sich im vergangenen Monat vervierfacht. Adib Khumaidi von der Medizinervereinigung nannte die aktuelle Welle einen „Tsunami“.
Zuletzt fast täglich neue Höchstwerte
Am Samstag wurden mit 27.913 Ansteckungen in 24 Stunden neue Höchstwerte verzeichnet, dazu gab es 493 Tote gegenüber 539 am Vortag. Offiziell wurden inzwischen 2,26 Millionen Ansteckungen gezählt. Doch geht auch die Regierung von einer hohen Dunkelziffer aus.
Bisher starben 60.027 Menschen an oder mit Covid-19. Indonesien ist damit das am stärksten betroffene Land Südostasiens. Einen vollen Impfschutz haben erst fünf Prozent der Bevölkerung; gut zehn Prozent haben die erste Dosis erhalten.
Viele Krankenhäuser sind bereits überlastet. Sie nehmen kaum noch PatientInnen auf und wenn, müssen sie diese zum Teil sogar in Zelten auf ihren Parkplätzen unterbringen. Bei einer Webseite der Gesundheitsverwaltung, die normalerweise freie Betten meldet, kommt das Personal mit der Aktualisierung nicht mehr nach.
Wie zuvor in Indien geschehen reicht jetzt auch in Indonesien der verfügbare Sauerstoff für künstliche Beatmungen nicht mehr. Über soziale Medien suchen Angehörige verzweifelt nach Sauerstoffflaschen für infizierte Familienmitglieder.
Laut Gesundheitsminister Budi Gunadi Sadikin würden jetzt drei Viertel der für die Industrie vorgesehenen Sauerstoffproduktion vorübergehend in den Gesundheitsbereich umgeleitet. „Wir haben von Indien gelernt“, sagt er.
In Indien um Rat gefragt
Berichten zufolge hatte Präsident Widodo den indischen Premierminister Narendra Modi um Rat gebeten. Denn Indien konnte seine hohen Infektionszahlen inzwischen stark senken.
Doch im Vergleich mit dem wesentlich ärmeren Indien sind in Indonesien die Testzahlen pro Kopf um zwei Drittel niedriger. Zurzeit fallen in Indonesien mehr als 40 Prozent der Tests positiv aus. In Indonesiens Krankenhäusern liegt auch die Zahl der Intensivbetten (insgesamt knapp 8.500) pro Kopf gerechnet um die Hälfte niedriger als in Indien.
Nach Meinung von Kritikern folgt Indonesiens Regierung nur halbherzig den Lehren aus Indien. „Der Lockdown hätte früher kommen müssen und dann nicht nur in Java und Bali, sondern im ganzen Land“, sagte etwa der Epidemiologe Irwan Muryanto der Nachrichtenagentur Reuters.
Die jetzigen hohen Infektionszahlen werden auf eine Reisewelle zum Ende des Fastenmonats Ramadan im Mai zurückgeführt, als über Familienbesuche das Virus verbreitet wurde. Deshalb sollen die jetzigen Einschränkungen auch erst nach dem dem 19. Juli, dem nächsten Feiertag mit traditionellen Familienbesuchen, gelockert werden.
In Jakarta dominiert die Delta-Variante
Eine weitere Ursache ist die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus, die wesentlich ansteckender ist. Laut Jakartas Gouverneur Anies Baswedan gehen in der Hauptstadt inzwischen 87 Prozent aller Anstecklungen auf die Delta-Variante zurück. Auf welchen Wegen sie ins Land kam, ist noch unklar.
Für den Fall, dass der jetzige Teillockdown verpufft, befürchtet der indonesische Epidemiologe Dicky Budiman von der australischen Universität Griffith bis zu 500.000 Infektionen und 2.000 Tote pro Tag.
Die Regierung hofft dagegen, bis Anfang 2022 180 Millionen Bürger:innen geimpft zu haben, schon ab August sollen eine Million Dosen täglich verimpft werden. Doch noch gibt es nicht genug Impfstoff. Bisher wurde vor allem das chinesische Vakzin von Sinovac verwendet. Es soll aber womöglich nicht ausreichend gegen die Delta-Variante schützen. Laut Gesundheitsminister Budi hatte bisher aber nur Sinovac zuverlässig geliefert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss