Indiens komplizierte CO2-Reduktionsziele: Zwischen Armut und Klimakrise
Die indische Regierung hat ihr Klimaziel verschärft. Dass die Emissionen bis 2030 auch absolut sinken, verspricht sie nicht. Was heißt das?
Die Pläne waren international mit Spannung erwartet worden – und mit einer gewissen Ungeduld. Laut Pariser Weltklima-Abkommen wären sie eigentlich schon vor zwei Jahren fällig gewesen, spätestens aber im vergangenen November zur Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow.
Wie sich Indiens Treibhausgas-Emissionen entwickeln, ist fürs Weltklima wichtig. Das Land hat den weltweit dritthöchsten CO2-Ausstoß. Vor dem südasiatischen Land kommen im internationalen Ranking nur China auf Platz 1 und die USA.
Auf der anderen Seite stößt ein:e durchschnittliche:r Inder:in nur den Bruchteil dessen aus, was pro Kopf in diesen Ländern emittiert wird. Indiens Emissionen sind nur in absoluten Zahlen so hoch, weil das Land so viele Einwohner:innen hat. Diese leben im Einzelnen keineswegs besonders klimaschädlich: Indiens Bevölkerung macht 18,1 Prozent der Menschen auf der Erde aus, die Treibhausgas-Emissionen tragen aber nur 7 Prozent zum weltweiten Ausstoß bei. Diese Diskrepanz prägt Indiens Rolle beim globalen Klimaschutz.
Frage der Klimagerechtigkeit
Deshalb ist das Klimaziel, das sich Indien nun bis 2030 gibt, auch etwas komplizierter: Die Regierung setzt es ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Ein US-Dollar Bruttoinlandsprodukt soll im Jahr 2030 mit 45 Prozent weniger CO2-Emissionen verbunden sein als im Vergleichsjahr 2005. Das ist eine Verbesserung gegenüber dem, was Indien 2015 geplant hatte, als das Paris-Abkommen beschlossen wurde: Damals wollte das Land seine Wirtschaft nur um 33 bis 35 Prozent weniger CO2-intensiv machen. Zugleich lässt das Ziel offen, ob sich Indiens Emissionen 2030 nicht doch weiter aufwärts bewegen, wenn die Wirtschaft wie geplant wächst.
Im Paris-Abkommen ist im Prinzip auch geregelt, dass manche Länder beim Klimaschutz langsamer sein dürfen als andere. Wer historisch wenig Verantwortung für den Klimawandel trägt und ein armes Land ist – beides trifft auf Indien zu –, muss auch mehr Zeit bekommen. Die reichen Industrieländer müssen dafür Raum schaffen, indem sie ihre Emissionen umso schneller absenken.
Der Weltklimarat IPCC hat allerdings Anfang des Jahres in seinem Sachstandsbericht zur Klimakrise auch vorgerechnet: Insgesamt müssen die weltweiten Emissionen schon vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen, wenn die Erde sich nicht um mehr als 1,5 Grad erhitzen soll.
Beim Fossilausstieg ist mehr drin
Ein weiteres Versprechen der indischen Klimaziele ist, dass die Hälfte des Stroms 2030 „aus nichtfossilen Quellen“ kommen werden. Das hatte Modi bereits im November in Glasgow angekündigt. Aber ist das zu schaffen? Vibhuti Garg, Energiespezialistin am Institute of Energy Economics and Financial Analysis in Delhi, sagte der taz, es sei ein „sehr wahrscheinlich erreichbares“ Ziel. Indien könne auch mehr leisten. „Wir beziehen bereits 40 Prozent aus erneuerbaren Energien“, so Garg. Bis zur 50-Prozent-Marke ist es also kein großer Sprung mehr.
Allerdings muss man beachten, dass Indien nicht nur beim bisherigen Strombedarf auf andere Quellen umstellen muss – sondern zugleich auch immer mehr Strom bereitstellen will. Längst nicht jedes Dorf in Indien ist schon elektrifiziert, und auch in manchen Gegenden, die bereits am Stromnetz hängen, sind wöchentliche bis tägliche stromfreie Stunden eher die Regel als die Ausnahme.
Trotz dieser Herausforderung hofft Garg, „dass Indien dieses Ziel übertrifft“. Denn weltweit sei eben mehr Engagement nötig, um die Erderwärmung zu bremsen. Sie vermisst außerdem die Zusage, dass in den kommenden acht Jahren 500 Gigawatt Strom aus erneuerbaren Energien produziert würden. In Glasgow hatte Modi das noch in Aussicht gestellt. Geblieben ist dagegen Indiens Agenda, bis 2070 Netto-null-Emissionen zu erreichen. Das heißt: höchstens so viel Treibhausgas auszustoßen, wie der Atmosphäre gleichzeitig wieder entzogen werden, sei es auf natürlichem Wege durch Wälder oder durch Technologien.
Indische Verhinderer
Die Umstellung auf erneuerbare Energie dürfte Indien nicht leicht fallen. Auf der einen Seite ist das Land dabei, die Möglichkeiten auszubauen. Derzeit sind nichtfossile Kraftwerke mit einer Leistung von 170 Gigawatt installiert. Längst haben indische Riesen wie Adani, Reliance oder Tata Wind- und Solarenergie entdeckt, fördern hybride Energieparks und investieren in Technologien wie grünen Wasserstoff. Auf der anderen Seite ist Indien auch der zweitgrößte Kohleverstromer der Welt, produziert selbst und importiert viel Kohle.
In Glasgow verhinderte die Regierung zusammen mit China und dem Iran, dass es der Kohleausstieg in den Beschluss zum Abschluss der Konferenz schafft. Die Pflicht, Kohlekraftwerke im Sinne des Klimas und der Luftqualität zumindest durch Filter oder andere technische Vorrichtungen weniger schädlich zu machen, schob Delhi kürzlich erneut auf 2025 auf. Indiens Städte zählen zu den am stärksten verschmutzten der Welt.
Gerade seit Russlands Angriff auf die Ukraine habe das Kohle-Thema noch mal Aufwind bekommen, meint Energieexpertin Garg. Mit Blick auf europäische Länder wie Deutschland, die in der Gaskrise die Kohle quasi wiederentdecken, sagt sie: Die Industriestaaten könnten Indien nichts vorschreiben, was sie selbst nicht einhalten.
Der Umweltaktivist Yash Agrawal aus Mumbai blickt deshalb wenig optimistisch auf die aktuelle Entwicklung. Er sehe keine substanziellen Maßnahmen, um die nun erklärten Klimaziele tatsächlich zu erreichen, kritisiert er. „Die systematische Schließung von Kohlekraftwerken, ein Stopp neuer Autobahnen und der Abholzung von Wäldern für Infrastrukturprojekte wie Hochgeschwindigkeitszüge sollten umgesetzt werden“, meint der 26-Jährige. Er würde sich mehr Klimagerechtigkeit wünschen.
Wie andere Länder des Globalen Südens macht Indien sein Klimaziel zudem davon abhängig, dass die Industrieländer genug Hilfsgeld schicken. Das entspricht internationalen Vereinbarungen, es geht dabei aber schleppend voran. Schon vor mehr als zehn Jahren haben die Industriestaaten versprochen, ab 2020 gemeinsam 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen – und zwar jährlich.
Bislang ist diese Summe allerdings nie erreicht worden. Das beklagen nicht nur die armen Länder, die auf das Geld warten, oder Hilfsorganisationen wie Oxfam. Auch der Industrieländerclub OECD selbst kommt in seinen Berechnungen auf eine eklatante Lücke von fast einem Fünftel der Summe. „Wir wissen, dass mehr getan werden muss“, sagte OECD-Chef Mathias Cormann Ende Juli bei der Präsentation der Zahlen für 2020.
Von der indischen Regierung heißt es dazu: „Indien wird seinen fairen Anteil an solchen internationalen finanziellen Ressourcen und auch an technologischer Unterstützung brauchen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“