piwik no script img

In der Krisenwelt an Schönes denkenBlues und Bäume

Die ökologische, die politisch-soziale und die kulturelle Katastrophe verstärken einander. Kann man da noch an etwas denken, was einfach schön ist?

Einfach schön? Mensch und Hund an einem kalten Wintertag in Chalet-a-Gobet bei Lausanne Foto: Denis Balibouse/reuters

W orüber könnte man nicht alles sinnieren und sprechen in dieser Welt! Zum Beispiel von einer neuen Generation von afroamerikanischen Bluesmusikern, die eine traumhafte Balance zwischen Tradition und Aktualität finden: King Solomon Hicks, Christone Kingfish Ingram, Buffalo Nichols oder auch – white female soul – Veronica Lewis. Oder, ganz was anderes, über kulturelle Vagina-Repräsentationen jenseits von pfui und geil, im „Einfach schön“-Modus vielleicht.

Da könnte man sich einen Abstecher in die Legende eines Gemäldes leisten, welches das Arbeitszimmer von Sigmund Freud geschmückt haben soll, aber beständig verhangen werden musste, zumal, wenn weibliche Besucher zu empfangen waren: Gustave Courbets „Der Ursprung der Welt“ aus dem Jahr 1866, mit 46 mal 55 cm nicht eben eine Miniatur zum Verstecken – und auch der Titel ist ein späterer Euphemismus, während man das Gemälde so beschnitten hat, dass das Gesicht der Frau verloren ging … Welch ein mytho-poetischer Horrorslapstick!

Die Trennung des Geschlechts vom Menschen, die mehr oder weniger gewaltsame Allegorisierung und dann dieses panisch-komische Spiel von Ver- und Enthüllungen im Geburtshaus der Psychoanalyse – als Symptom, vielleicht, der phallomanischen Moderne des mitteleuropäischen Bürgertums. Schließlich könnte man über Gegenwärtigkeit als Kunst-Ziel nachdenken. In unserer Kunst, in Literatur und Film wird die Gegenwart scharf angesehen, doch sie schaut als etwas Fremdes und Fernes zurück. Als wäre der Preis für genauere Darstellung der Gegenwart der Verzicht auf Gegenwärtigkeit.

So führte vielleicht ein Schlenker über Virginia Woolf oder James Joyce – womöglich auf weniger ausgetrampelte Pfade zu Erkenntnis und Glück. Aber ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so. Wir leben, wieder einmal, in finsteren Zeiten. Und in denen müssen sich Themen wie diese den Vergleich mit den Bäumen aus Bert Brechts Gedicht gefallen lassen, von denen zu sprechen fast einem Verbrechen gleichkommt, weil es ein Schweigen über so viel anderes bedeutet. Wir leben in einer dreifachen Katastrophen-Erzählung, und kaum einem Gedanken kann und darf es noch gelingen, sich von der Bindung an dieses unheilige narrative Dreieck zu trennen:

Dreiklang der Katastrophe

Die ökologische Katastrophe. Unabwendbar. Offenbar nicht trotz, sondern noch beschleunigt durch eine Teilnahme der Grünen und ihrer Klientel an Regierung und Diskurs. Ist es noch fünf nach zwölf oder doch schon zehn nach? Die politisch-soziale Katastrophe. Offensichtlich ebenfalls unabwendbar. Der Aufstieg der populistischen Autokratien einschließlich ihrer Gewalt- und Kriegslüsternheit und die furchtbare Allianz von Neoliberalismus, Populismus und „Post“-Faschismus … Wenn man sich in Italien umsieht, weiß man nicht, was erschreckender ist, der Aufstieg der Rechtsextremen zur Regentschaft, der desolate, wenn nicht suizidale Zustand der Linken oder die narzisstische Ignoranz der Mainstream-Gesellschaft.

Diesseits der Alpen haben wir statt Meloni, Berlusconi und Salvini ein Trio infernale von Lindner, Söder und Merz, und die Linke … reden wir von was anderem, nämlich von der kulturellen Katastrophe. Das ist eine Bildungskatastrophe, eine semantische Katastrophe und eine Katastrophe der kulturellen Infrastruktur. Die Ver-Bild-ung und Verdschungelcampung hat längst auf die einstigen „bürgerlichen“ Leitmedien übergegriffen, auf die demokratische Utopie vom Zugang zu Bildung, Kultur und Kritik für alle ist das populistische Marketing von Verblödung für alle gefolgt.

Wechselwirkungen

Der Trick der Dreifach-Katastrophe liegt in ihren Wechselwirkungen. Auf der einen Seite verstärkt jede der Krisen die beiden anderen. Verblödete Menschen sind nicht in der Lage, die ökologische oder politische Krise zu bearbeiten; angstzerfressene Menschen sind nicht in der Lage, Kultur als Medium der sozialen Verbesserung zu begreifen; Prekarisierung macht allenthalben erpressbar. Und zum anderen führt jeder Fortschritt an einer der Katastrophen-Fronten, wie es scheint, automatisch zur Verschlechterung der Lage an den anderen. Mit jedem ökologischen oder kulturellen Fortschritt, und sei er noch so bescheiden, lockt man weitere Kräfte von der „konservativen“ auf die faschisierte Seite; für jeden noch so bescheidenen Schritt der sozialen Gerechtigkeit verlangt die politisch-ökonomische Agentur des Kapitals ein ökologisches Opfer.

Bei allem Respekt für Menschen, die sich gegen die eine oder die andere der Katastrophen zur Wehr setzen, und bei allem Zorn auf die „Konservativen“, die sich durch deren Kriminalisierung bei ihren (gar nicht mehr so post-)faschistischen Verbündeten in spe und ihren kapitalen Finanziers beliebt machen wollen: Wenn eine Katastrophe nicht mehr die Form eines dramatischen Ereignisses, sondern die eines Systems angenommen hat, dann gibt es wohl nur eine einzige Hoffnung auf Verbesserung, nämlich die Forderung nach einem fundamentalen Systemwechsel.

Ein bisschen Lust am Leben

Horcht man indes in sich hinein, was man durchaus gelegentlich tun sollte, dann tönt es mal verzagt, mal auftrumpfend zurück: Ja, aber … Und spätestens dann könnte man begreifen, dass die Katastrophe kein äußeres Geschehen allein ist, sondern sich auch im Inneren abspielt. Dort wo sich kampfpanzerartige Gedanken mit Testergebnissen von veganen Grillwürsten und Nachrichten von der Zinsgestaltung der EZB im Kreis jagen.

Wie wäre da noch an was zu denken, was „einfach schön“ ist? Beim Bächlein helle nicht zugleich an die Verschmutzung, bei Bäumen nicht an Rodungen für den nächsten Wachstumswahn, beim Himmel nicht an Drohnenangriffe? Sollen wir uns wehren aus Angst vor dem Sterben, oder wenigstens ein bisschen noch aus Lust am Leben? Manchmal ist es vielleicht doch nicht schlecht, sich einen unausgetrampelten Pfad zu Erkenntnis und Glück zu suchen. Und wenn’s aus Trotz ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Schönheit wahrzunehmen hat etwas Beruhigendes, es zeigt einem „dass es möglich ist“...

  • Wieso überhaupt Kultur? Anders gesagt: wieso die Bäume von Brecht und nicht die aus dem Wald? Dann hat man schon mal die erste gegenseitige Verstärkung unterbrochen. Der Pfad im Wald muss auch gar nicht unbedingt unausgetrampelt sein, Originalität und Individualität wird generell überschätzt, meistens taugen sie nur dazu bewiesen werden zu müssen, glückstiftend ist dergleichen ganz sicher nicht. Kultur gerät immer mehr zur Aufgabe der Verortung und Meinungsbildung, also zur Pflicht. Oder zu Unterhaltung und Konsum und damit zum abnutzungssicheren Ausweis von behaupteter Lebensqualität. Der Spaziergang ist übrigens a



    kein Weggucken, einfach weil Hingucken an sich von sehr zweifelhaftem Wert ist. Jedenfalls soweit daraus kein Handeln folgt. Es spricht ja jetzt gar nichts dagegen gut gelaunt Pakete für die Erdbebenopfer zu packen. Oder zu spenden. Wer braucht dafür schon eine "Katastrophen- Erzählung", wer braucht die gefühlte Betroffenheit? Und schon wieder hat man den "Dreiklang" gestört. Bei der systemischen Katastrophe kann man natürlich schon depressiv werden. Nur sind wir dort in einem Zustand, der zu unseren Lebzeiten sowieso nicht mehr zu beheben ist. Selbst bei maximaler Anstrengung ist die Klimakatastrophe höchstens etwas zu mildern, unsere eigene Befindlichkeit kann einfach nicht dauerhaft von solchen Entwicklungen abhängig sein. Und Depression macht ja auch nicht aktiver. Also weg damit. Und die Suche nach Glück ist übrigens auch längst nicht so egoistisch und egozentrisch wie viele glauben. Der Dalai Lama hält individuelles Glück ja nicht zufällig für den Königsweg. Ach ja: wenn man nicht glücklich ist, bitte nicht den äußeren Umständen die Schuld geben. Und: Glück ist, wenn man nicht drüber reden muss.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Danke dafür!



      Ja! Es sollte nicht nur "nicht schlecht" - und darf gerne auch Trotz sein, diesen Pfad und das Glück zu suchen.



      Dieses Konzept ist unsere einzige Chance, den Katastrophen etwas entgegenzusetzen und sie sogar zu transformieren.



      Je glücklicher ich bin, und je mehr Erkenntnis ich habe, desto mehr wird mein innerer auch zu einem äußeren Frieden, wird meine auch zu der Freiheit des Anderen: Das ist die fundamentale Basis unserer geistigen und materiellen Existenz, ohne Wenn und Aber.