In der Jahrmarktwirtschaft: Ein Heer von Gauklern
In der Wirtschaftpolitik kommt man sich mitunter vor wie unter MarktschreierInnen. Hauptsache laut, Hauptsache zum Staunen.
W er an der Marktwirtschaft zweifelt, sollte mal auf meinen Wochenmarkt kommen: „Schöne, schööne Erdbeeren hier“, gibt es da oder „Sparjel und heimischet Jemüse, lecker und jesund!“, den Stand von Pide und Pasten mit Migrationshintergrund und dann noch den Blumenhändler mit den unglaublichen Angeboten: „Ich muss verrückt sein!“
Nur ein paar Gedankenschritte weiter lande ich schnell bei der Jahrmarktwirtschaft. Da steht gleich am Anfang ein ehemaliger Kohlehändler aus dem rheinischen Revier. Bis vor einer Woche verkaufte er noch Kruppstahl-Handbremsen gegen den Klimaschutz und niedliche Schaufelbagger für große Sandgruben. Jetzt hat er umdekoriert: Höhere CO2-Preise und mehr Ökostrom, beides früher Ladenhüter. „Klimaneutral deutlich vor 2050“ ist sein neuer Werbeslogan, auch wenn das Modell „2050“ bisher noch gar nicht geliefert wurde.
Daneben macht sich das vornehm-kühle hanseatische Handelshaus breit, das in der Vergangenheit gern mal schmallippig „Nö!“ sagte, wenn ein Kunde nach Klimaschutz fragte. Jetzt brüllt und gestikuliert der oberste Verkäufer: „Ziele haben ist schön, zu sagen, wie es geht, noch viel schöner!“, sagt es dann aber doch nicht. Im Keller wird gerade noch ein Transparent seiner Ex-Chefin versteckt: „Keine Blutgrätsche gegen die Braunkohle“.
Ich gehe weiter und komme zu meinen Lieblingen, den Magiern und Gauklern. Breitbeinig steht da der Fantastische Franke und trötet in die Menge: „Klimaneutral bis 2050? Wir sagen 2045 – ach, egal, 2040! Wer will noch mal, wer hat noch nicht?“
Neue Taschenrechnerspielertricks
Neben ihm der liberale Robin Hood und Wortakrobat, mit seinem neuen Taschenrechnerspielertrick beschäftigt: Wie teuer ist der höhere CO2-Preis für die Armen? Leider verrechnet er sich in der Eile immer wieder. Ein Doppelwesen aus dem GrünSchwarzwald verspricht, sogar schon bis 2030 bei Null-Emissionen zu sein. Dem Publikum steht vor Staunen der Mund offen. Deshalb vergisst es, dass das Wesen bisher mit leeren Händen dasteht. Es bestaunt lieber einen fliegenden Händler, der seine saarländische Windmaschine anpreist: So neuartig beschichtet, dass alle Schuldzuweisungen abprallen.
Am Ende des Weges steht die junge Bio-Frau und verkauft ruhig ihre Ware. Der Kohlehändler kommt von hinten und schreit: „Achtung, das sind alles Fliegenpilze da! Schön anzusehen, aber giftig“, und schwenkt eine CDU-interne Anweisung. Aber die KundInnen kaufen weiter wie besessen. So ist das in der Marktwirtschaft. Ich muss verrückt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu