In Westafrikas Sahelzone: Gewalt verbreitet sich wie Buschfeuer

Ausnahmezustand in Burkina Faso und Niger, Erfolge für Boko Haram in Nigeria, neue ethnische Konflikte in Mali: Es brennt allerorten.

Viele Leute mit Schildern und Transparenten

Fulani (in Mali Peul genannt) protestieren in Bamako gegen Angriffe, Juli 2018 Foto: Nicolas Remene / Le Pictorium

COTONOU taz | Burkina Faso kann nicht mehr für die Sicherheit seiner knapp 20 Millionen Einwohner ­sorgen. Diese indirekte Bankrotterklärung hat Präsident Roch Marc Christian Kaboré in seiner Neujahrsansprache abgegeben und in mehreren Gebieten den Ausnahmezustand verhängt.

Betroffen ist nicht mehr nur der Norden, wo es seit 2016 vermehrt zu Überfällen von Banditen – meist aus Mali – kommt. Der Notstand gilt nun auch im Osten, wo Burkina Faso an Togo, Benin und Niger grenzt.

Voraus gingen der Entscheidung zahlreiche Angriffe. Vergangene Woche starben zehn Gendarmen in Toéni nahe der Grenze zu Mali. Eine Woche davor waren in der Region Ost drei Soldaten ums Leben gekommen, Anfang Dezember im Nordwesten zwei Polizisten.

Seit 2015 sollen in Burkina Faso über 230 Menschen durch Terrorangriffe getötet worden sein. Das Land, das bis zum Sturz von Langzeitherrscher Blaise Compaoré im Herbst 2014 als Ruhepol der Region galt – manchen Beobachtern zufolge auch für Terroristen –, wird immer mehr zu deren Hochburg.

Zehntausende fliehen in die Städte

Längst ist von der Unsicherheit die ganze westafrikanische Sahelzone betroffen. Im an Burkina Faso angrenzenden Südwesten des Niger gilt bereits seit Anfang Dezember der Ausnahmezustand. Knapp zwei Wochen nach diesem Schritt gab das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bekannt, aus den Grenzgebieten seien im Jahr 2018 rund 52.000 Menschen vor Terror in die Städte geflüchtet.

In der Region Diffa im Südosten Nigers, wo die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram schon vor Jahren Rückzugsorte geschaffen hat, wird der Ausnahmezustand seit Februar 2015 regelmäßig verlängert.

Für die grenzüberschreitende Gewalt ist vor allem die in Mali entstandene „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) verantwortlich

Boko Haram befindet sich in Nigeria wieder im Aufschwung. Zum Jahresende soll es den islamistischen Kämpfern gelungen sein, die Marktstadt Baga am Tschadsee einzunehmen.

Fast zeitgleich berichtete die Internetzeitung Sahara Reporters, dass 700 Soldaten der nigerianischen Armee vermisst und 2.000 von Boko Haram gefangen gehalten würden. Armeesprecher Sani Usman hat das vehement bestritten, aber die Entwicklungen verstärken den Eindruck, Nigerias Regierung entgleite kurz vor den Wahlen im Februar die Kontrolle.

Angst vor Straßenräubern und Terroristen

Denn im muslimischen Norden dehnt sich Gewalt aus. Betroffen ist vor allem der Bundesstaat Zamfara mit mehr als 80 Toten im Dezember.

Auch auf der nigrischen Seite ist das spürbar. In Niamey bestätigt ein Bewohner, der vergangene Woche die Grenzstadt Birni N’Konni besuchte, die Menschen dort lebten in ständiger Angst vor Straßenräubern und Terroristen.

Für die grenzüberschreitende Gewalt ist vor allem die in Mali entstandene „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) verantwortlich. Die al-Qaida-nahe Organisation gilt als Zusammenschluss der islamistischen Gruppen Ansar Dine, Macina-Befreiungsfront und Al-Mourabitoun, ihr Anführer Iyad Ag Ghali, ein historischer Tuareg-Rebellenführer, steht auf Platz 25 der aktuellen Liste der einflussreichsten Afrikaner des französischen Magazins Jeune Afrique.

Nach Einschätzung des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) steckt JNIM auch hinter den neuen Anschlägen in Burkina Faso. Ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten spiegeln die grenzüberschreitenden Versuche von Mali, Niger, Burkina Faso sowie Tschad und Mauretanien, im Rahmen der gemeinsamen Truppe „G5-Sahel“ mit französischer Hilfe koordiniert gegen Islamisten vorzugehen.

Fulani kollektiv unter Verdacht

Dass die Staaten eher hilflos sind, liegt auch daran, dass Islamisten nicht die einzigen Gewaltakteure sind. Es kommt Gewalt zwischen Milizen verfeindeter Ethnien und Kommunen dazu.

Am Neujahrstag gab Malis Regierung bekannt, dass Dogon-Milizen in einem Dorf der Region Mopti 37 Angehörige der Fulani-Volksgruppe – in Mali Peul genannt und auch in den anderen Ländern präsent – umgebracht haben sollen. Am Mittwoch bestätigte Burkina Fasos Regierung die Tötung von sieben Fulani-Zivilisten bei einem Racheangriff, nachdem Angreifer auf Motorrädern am Neujahrstag das Dorf Yirgou überfallen und sechs Menschen getötet hatten.

Da radikale Fulani zu den Islamisten gestoßen sind, gelten Fulani in den Augen anderer Gruppen als Komplizen von Terroristen. Nach Schätzungen forderte der Fulani-Konflikt in Mali im vergangenen Jahr über 500 Tote, in Nigeria mehrere Tausend.

Gemeinsam haben die Konflikte, dass sie sich fernab der Hauptstädte in Gegenden mit wenig Polizei- und Militärpräsenz abspielen. Grenzen werden ungehindert überquert. Aufmerksamkeit erhält die Gewalt erst, wenn sie sich flächendeckend ausgebreitet hat.

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