In Frankreichs Banlieues: Es herrscht die kalte Wut
Seit den großen Unruhen von 2006 hat sich wenig geändert in Frankreichs Banlieu. Die Armut ist gestiegen und die Polizei regiert wie eine Besatzungsmacht.
PARIS taz | Eine vermeintlich harmlose Personenkontrolle in einem Pariser Vorort hat mehrtägige Zusammenstöße zwischen der französischen Polizei und Quartierbewohnern ausgelöst. Diese gewaltsamen Folgen beweisen indes, dass die Überprüfung einer völlig verschleierten Frau in einer Vorstadt wie Trappes wegen des seit 2011 geltenden „Burkaverbots“ keineswegs banal ist.
Offiziell gelten die Verstöße als Randprobleme, die eine winzige Minderheit innerhalb der muslimischen Bevölkerung Frankreichs (rund fünf Millionen) betreffen. Auch betonen die Politiker gern, dass eine große Mehrheit der Muslime in Frankreich diese Kleidervorschriften ablehne. Seit dem Inkrafttreten des Verbot der Totalverschleierung auf öffentlichem Grund im April 2011 sind bloß 700 Zuwiderhandlungen registriert und 423 Frauen entweder gemahnt oder mit Geldstrafen belegt worden.
Wenn die Ahndung dennoch gelegentlich Schlagzeilen in den Medien macht, dann wegen Zwischenfällen wie in Trappes. Oft geht es auch weniger um den Schleier als um das gestörte Verhältnis zwischen staatlichen Behörden und den Einwohnern der Vorstadtghettos. Denn natürlich werden nicht verschleierte Touristinnen aus den Emiraten beim Shopping auf der Avenue des Champs-Élysées angehalten, sondern Frauen mit Niqab oder Burka in den mehrheitlich von Immigrantenfamilien bewohnten Außenquartieren der Großstädte.
Die Schilderungen des Vorfalls und der anschließenden Eskalation am letzten Freitag gehen wie üblich weit auseinander und belegen, wie krass häufig das gegenseitige Unverständnis ist. In Trappes beklagte sich im Nachhinein das zu einem radikalen Islam konvertierte junge Ehepaar über einen angeblich unzumutbaren Tonfall und die Brutalität der Beamten.
Angriff aufs Polizeikommissariat
Von sehr aggressiven Reaktionen der beiden Kontrollierten sprechen im Gegenteil die Polizisten. Der Gatte der von Kopf bis Fuß verschleierten Frau wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt vorübergehend festgenommen. Als sich danach Angehörige über dieses allzu forsche Vorgehen bei der Polizei beschweren wollten, dort aber abgewiesen wurden, griffen rund zweihundert Quartierbewohner das Polizeikommissariat an.
Im Verlauf der folgenden Nächte wurden in Trappes und angrenzenden Siedlungen städtische Einrichtungen wie Telefonkabinen oder Busunterstände zerstört und Autos verbrannt. Nach dem bewegten Wochenende sorgt ein großes Polizeiaufgebot für eine prekäre Ruhe, der von der rechten Opposition der Schwäche bezichtige Innenminister Manuel Valls lässt die Muskeln spielen. „Es gibt nur ein Gesetz in dieser Republik“, ruft er jenen Gläubigen in Erinnerung, die meinen, ihre religiösen Gebote stünden über dem Recht des weltlichen Staats.
Signifikant ist der Konflikt nicht nur wegen der gespannten Beziehungen der Banlieue mit den Ordnungshütern, die sich dort wie eine Besatzungsmacht aufspielen. Hinter dem plötzlichen Ausbruch der Gewalt lässt sich auch unschwer ein unvermindert großer sozialer Graben ausmachen. Seit den Banlieue-Krawallen von 2005 hat sich die Lebensqualität in den 750 besonders exponierten Siedlungen nicht gebessert. Der Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze (964 Euro) leben, ist seit 2006 sogar von 30 auf 36 Prozent gestiegen.
Enttäuschung über Hollande
Von Präsident François Hollande hatten gerade die Banlieue-Bewohner viel erhofft. Er hatte ein kommunales Ausländerwahlrecht und ein Ende diskriminierender polizeilicher Personenkontrollen nach Hautfarbe versprochen. Nichts geschah.
Heute macht sich bei diesen Hollande-Wählern der Vorstädte Enttäuschung oder Ungeduld breit. Davon zeugen Vorfälle wie die von Trappes. Undank wirft der Sozialarbeiter Mohammed Mechmache aus Clichy-sous-Bois in der Libération dem sozialistischen Staatschef vor: „Wenn er gewählt wurde, dann nicht zuletzt dank der Banlieue. Für ein Entgegenkommen ist es nicht zu spät“, so Mechmach.
Leser*innenkommentare
zensiert
Gast
Der Haken an der Sache ist der, dass dieses Gesetz meiner Meinung nach nur populistisch ist und auf eine so geringe Anzahl von Menschen zutrifft, dass es kaum zur Anwendung kommt, da viele Polizisten auch ein Auge zudrücken, bei diesem Gesetz, welches mehr Hass und Intoleranz dem Staat gegenüber und Muslimfeindlichkeit dazu sät, als wirkliche Probleme zu lösen.
Dass jetzt wieder Unruhen ausgebrochen sind ist nicht mit diesem Einzelfall der Kontrolle zu begründen, wie es viele Politiker gerne sahen, sondern die Kontrolle war bloß ein weiterer Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat, in der allgemein Vorherrschenden alltäglichen Diskriminierung.
Jared
Gast
Man ist nun mal Touristen gebenüber, die viel Geld im Land lassen, wesentlich toleranter als der einheimiscen Bevölkerung, die zum Sozialamt geht und nach all den Jahren immer noch nicht begriffen hat, dass man in Mitteleuropa sich nicht kleidet wie in der Geisterbahn. 700 Verstöße sind 700 Verstöße zu viel. Die Etablierung einer reaktionären archaischen Kultur ist abzulehnen.
Integration ist keine Einbahstraße. Was tun die Migranten in den Banlieues für die französische Gesellschaft?
Harald B.
Gast
Frankeich hat wenigstens die Courage, in der Burkafrage ein klares Zeichen zu setzen, das geht hier bei uns nicht! Leider hat die politische Klasse in Deutschland nicht soviel rückrat.
Anton Gorodezky
--„Es gibt nur ein Gesetz in dieser Republik“, ruft er jenen Gläubigen in Erinnerung, die meinen, ihre religiösen Gebote stünden über dem Recht des weltlichen Staats.--
Wäre schön, wenn den Worten jetzt auch die konsequente Durchsetzung folgt. Frankreich hat erst vor kurzem den Katholiken gezeigt, dann man seine Weltanschauung nicht mit Gewalt durchsetzen kann (nämlich als es um die Öffnung der weltlichen Ehe für Homosexuelle ging). In dieser Schleierfrage nachzugeben wäre das falsche Signal.
Johnny
Gast
Wie kürzlich in Hamburg: die Parallelgesellschaft ist komplett, die Polizei wird in der Tat als illegitime Besatzungsmacht wahrgenommen und entsprechend bekämpft. Für Ruhe sorgen können nur der Imam und "die Onkel" in der patriarchaischen Clan-Struktur.
Besser man spricht nicht mehr davon, sonst könnten sich die Wähler erinnern, wer diese Verhältnisse befördert hat, liebe Grüne, liebe taz. :)