Theatertreffen in Berlin: Der Krieg kriecht ins Ohr

Frauenrollen groß machen, Geschichten neu erzählen, dafür steht Karin Henkel. Sie ist zum siebten Mal beim Theatertreffen in Berlin dabei.

Eine Frau liegt in einem roten Kleid auf einem bunten Teppich

Wer bin ich unsymbolisch, fragt Helena in „Beute Frauen Krieg“ von Karin Henkel Foto: Toni Suter

„Steht doch alles im Text, der große Feminist war Euripides“, sagt Karin Henkel. Aber trotzdem meint man, es so noch nicht gesehen zu haben und vom Krieg aus der Perspektive von Frauen so noch nicht gehört zu haben wie in ihrer Inszenierung „Beute Frauen Krieg“, die auf Euripides’ „Troerinnen“ beruht.

Zusammen mit den Dramaturgen John von Düffel und Anna Heesen hat Henkel den antiken Text bearbeitet und zugespitzt. Kritischer Feminismus denkt man, der Machtstrukturen analysiert, Klischees und Frauenbilder hinterfragt, ideologische Konstruktionen und Zuschreibungen aufdeckt, Widersprüche nicht ausblendet. „Die Struktur, den Krieg aus der Perspektive von Frauen in Monologen zu erzählen, findet sich bei Euripides“, sagt Henkel noch einmal, aber doch froh darüber, diese Lesart so starkgemacht zu haben.

Ausgewählt habe sie dieses Stück, erzählt die Regisseurin bei einem Treffen in Berlin, weil sie die Schicksale von Frauen in den Kriegen beschäftigen, auch in denen von heute. Sie habe zum Beispiel viel gelesen „über die Jesidinnen, die von IS-Soldaten versklavt und verkauft werden, so, wie es Euripides erzählte. Ein richtiger Sklavenhandel, mit Mädchen ab 12 Jahren. Als Jungfrau kosten sie etwas mehr. Das war für uns schon ein Thema bei der Arbeit an ‚Beute Frauen Krieg‘.“

Kassandra in der Peepshow

Das Theatertreffen beginnt am 4. Mai; „Beute Frauen Krieg" von Karin Henkel wird am 6., 7. und 8. Mai gezeigt.

Am 5. Mai wird Karin Henkel der Theaterpreis Berlin verliehen.

Am 13. Juni hat in Antwerpen ihre erste Oper, „Der Spieler“, Premiere.

Wie oft es einem kalt den Rücken runterläuft in dieser Inszenierung! Wenn Kassandra, die wie ein junges und unerfahrenes Mädchen aussieht, auf einer Drehscheibe liegt wie in einer Peepshow und mit nicht einmal sehr erregter Stimme von ihrer Freude erzählt. Schmerz erwartet man und erhält Freude darüber, dass die Griechen, die sie, die jungfräuliche Priesterin, vergewaltigt haben, sie mit diesem Gräuel berühmt machen. Und wie sie als Seherin vorhersieht, dass die Sieger von ihrem Sieg nichts haben werden, weil sie ermordet werden bei ihrer Rückkehr nach Griechenland.

Zum Zeugen macht einen dieser über Kopfhörer direkt ins Ohr gesprochene Monolog, zum Zeugen von der Sinnlosigkeit des Krieges und von seiner Grausamkeit.

Erschreckend wird es auch, wenn Iphigenie, Agamemnons Tochter, als ein Chor junger Mädchen auftritt. Ihr Vater will sie auf Geheiß der Götter opfern, eintauschen gegen günstige Winde, die er als Kriegsherr und Schiffsführer braucht. Es ist nicht Mitgefühl mit ihr, das im Zuschauer eigentlich schon parat liegt, nein, es ist das Erschrecken über die Worte ihrer Einwilligung in ihre Opferung, mit dem man nicht gerechnet hat.

Exzessiv wiederholt sie, dass es um die Verteidigung griechischer Werte geht, „denn Griechen müssen herrschen über Fremde“ und nicht die Fremden über sie. Dann ist es der Ton populistischer rechter Demagogen, der einem im Ohr klingelt, obwohl man sich gerade in einer ganz anderen Welt glaubte.

Die Parallelen zur Gegenwart

Mit dieser Inszenierung aus Zürich ist Karin Henkel dieses Jahr zum Thea­ter­tref­fen in Berlin eingeladen, es ist die siebte Einladung der Regisseurin, die seit 25 Jahren Theater macht. 1970 in Köln geboren, hatte sie schon als junge Regisseurin zu einer Zeit Erfolg, als Frauen in dem Beruf noch mehr als heute die Ausnahme waren. Sie arbeitet viel am Schauspielhaus Zürich, von Barbara Frey geleitet, und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo Karin Beier Intendantin ist.

In beiden Städten ist sie am Theater zu Hause, bilden die Ensembles etwas wie ihre Theaterfamilie, leben Freunde. Dennoch wohnt sie dort während der Probenzeiten in Gastwohnungen. Zu Hause ist sie in Berlin, wo sie am Deutschen Theater inszeniert.

Verführer und Verführte: Wie zum Beispiel mit Erotik umgegangen wird, macht immer wieder die Klugheit ihres Theaters aus

Im März hatte dort „Rom“ Premiere, nach drei Stücken von Shakespeare, „Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“. Wieder steht alles im Text, bei Shakespeare, dennoch setzt die Inszenierung Akzente, die an die Gegenwart denken lassen, an die vielen Staaten, die ihre demokratischen Instrumente nutzen, um „starke Führer“ zu suchen. „Warum macht man diese Stücke, wenn nicht deshalb, um auch über heute zu reden, aus dem Erschrecken über den Ruf nach dem starken Mann, der heute leider wieder so laut wird“, sagt Karin Henkel. Es ist aber allein die Sprache, der demagogische Ton, der rhetorische Gestus, mit dem sie die Assoziationen freisetzt.

Auch in „Rom“ macht sie die Frauenrollen stark; dass die bei ihr mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ihnen die Theatergeschichte bisher gegönnt hat, ist ihr durchaus ein Anliegen. In „Rom“ sind es die Mütter späterer Führer, die ihre Söhne aus Machtgier zu Helden machen wollen, in den Krieg drängen, Opfer verlangen. Die Mutter von Coriolan ist gleich dreifach besetzt, von zwei Schauspielerinnen und einem Schauspieler, was nicht nur ihre Präsenz stärkt, sondern dem Text, fast wie in einer Screwball-Comedy, auch eine andere Aufmerksamkeit verleiht.

Doppelgänger und Spiegelungen

Das Spiel mit Mehrfachbesetzungen, mit Doppelgängern und Spiegelungen ist eines der Mittel, Wahrnehmungen zu verschieben, das Karin Henkel virtuos beherrscht. Es geht ihr dabei auch darum, „Theatralität zu verdeutlichen. Dass man nicht nur eine Figur mit einem Schauspieler identifiziert. Durch das Abwechseln des Sprechens gibt es mehr Kraft, aber auch eine Art von Abstraktion. Ich höre anders zu, wenn ich nicht nur denke, der Schauspieler ist diese Figur. Damit spielen wir.“

Besonders sinnfällig wird das bei der Figur der Helena in „Beute Frauen Krieg“. „Wer ist Helena wirklich, wer bin ich unsymbolisch“, fragen die Helena-Frauen auf der Bühne, um mit Ironie festzuhalten, „nach all den Kriegen, all den Männern nicht wirklich weiter zu sein mit dieser Frage“. Der Mythos macht die schöne Helena, die Paris von Griechenland nach Troja entführte, zum Kriegsgrund, sie aber fragt, ob es nicht eher um den Zugang zu Kleinasien ging, geopolitische Ziele, denen sie als Deckblatt diente.

Eine Frau vor der Stadtkulisse von Salzburg

Karin Henkel in Salzburg, dort inszenierte sie 2017 „Rose Bernd“. Foto: Anne Zeuner/Salzburger Festspiele

Codierungen knacken, von Lesarten, von scheinbar festgefügten Figuren, von Blickweisen, das ereignet sich auf der Bühne von Karin Henkel oft. Wie zum Beispiel mit Erotik und Sexualität umgegangen wird, wie Verführer und Verführte stilisiert werden, darauf einen anderen Blick zu werfen, macht immer wieder die Klugheit ihres Thea­ters aus.

Aber nicht alles gelingt. Nicht jede Inszenierung, denkt sie, kommt auch dort an, wo Regisseurin und Ensemble eigentlich hinwollten, oft kann man nicht genug ausprobieren, sind die Probenzeiten zu kurz. Karin Henkel will nicht jammern, sie weiß, dass sie im Stadttheatersystem zu den Privilegierten, den Nachgefragten gehört. Und doch sitzt ihr der Zeitdruck im Nacken, würde sie gern mehr als sechs Wochen mit allen Schauspielern proben, noch mal draufschauen, einen anderen Weg versuchen. Seit Langem hat sie sich entschieden, nicht mehr als drei Inszenierungen im Jahr zu machen, um wenigstens in die Vorbereitungen intensiv einzusteigen.

Von den Schauspielern aus denken

Die Ensembles sind ihr wichtig, die Stückauswahl mit einem Theater beruht oft auch auf dem Wunsch, mit bestimmten SchauspielerInnen zu arbeiten. Zu ihrer Theaterfamilie gehört zum Beispiel die großartige Schauspielerin Lina Beckmann, mit der sie erst in Köln und später in Hamburg arbeitete. Die spielte 2009 den Fürsten Myschkin in der Romandramatisierung „Der Idiot“ nach Dostojewski. Schüchtern und ungelenk tappst deren Myschkin durch eine durchaus gierige Gesellschaft, die er mit seinem unverdrossenen Glauben an das Gute aus dem Konzept bringt.

Die Inszenierung war mit dem Wechsel der Intendantin Karin Beier von Köln nach Hamburg ins Repertoire des Deutschen Schauspielhauses übergegangen. Bis es zu schwer wurde, die Schauspieler, darunter Charly Hübner und Jördis Triebel, die inzwischen viel für Fernsehen und Kino arbeiten, noch zusammenzubekommen.

Ob es sie auch zum Film zieht? Karin Henkel verneint, da wäre zu viel Technik und Handwerk, das sie erst lernen müsste. Aber sie wagt demnächst ein anderes Abenteuer, hat zum ersten Mal zugesagt, eine Oper zu inszenieren: „Der Spieler“ nach Dostojewski mit der Musik von Prokofjew. Da kenne sie sich wenigstens schon in dem Wahnsinn von Dostojewski aus, sagt sie.

Am Montag, 7. Mai, beginnen dazu die Proben in Antwerpen. Am Sonntag zuvor ist die Theatertreffen-Premiere von „Beute Frauen Krieg“. Das kann in Berlin nur am 5. Mai in einer alten Industriehalle in Karlshorst geprobt werden, wo auch die Aufführungen sind. Just an dem Samstag, an dem Karin Henkel in Berlin der Theaterpreis Berlin verliehen wird. Das freut sie sehr, aber sie seufzt auch. Viel Zeit aber, um mit den Freunden nach der Preisverleihung zu feiern, wird ihr nicht bleiben. Denn es gibt genau nur an diesem Tag eine Probe mit allen Gewerken für die Berliner Premiere.

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