Impfstreit, Maut und rechter Terror: Wird alles besser? Wohl doch nicht
Der Streit um die Impfdosen, der Verantwortung des Verkehrsministers und das Urteil im Lübcke-Mord zeigen: Alles ist bedenklich.
V on dem verstorbenen Physik-Genie Stephen Hawking stammt der Satz, Intelligenz sei die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen. Wenn das so ist, dann war diese Woche ein IQ-Test sondergleichen. Nachrichten, politische Verlautbarungen und Beschlüsse waren schneller obsolet, als jemand „Impfsicherheit“ sagen konnte.
Wer sich am Montag (in Ermangelung aller kurzfristigen Hoffnungsschimmer) noch an der Perspektive festhielt, die Gesundheitsminister Spahn eröffnet hat, wonach „bis zum 21. September“ allen Willigen in Deutschland die Impfung zur Verfügung stünde, musste schon am Abend erkennen: Wohl doch nicht. Denn wenn AstraZeneca, der Pharmakonzern, auf dem die Hoffnungen Europas ruhten, statt der vereinbarten 80 Millionen Impfdosen für die EU im ersten Quartal nun nur 31 Millionen liefert, ist Spahns Zeitrahmen perdu.
Der Impfschutz für die betagten Eltern und die chronisch Erkrankten im Bekanntenkreis verschiebt sich damit weiter nach hinten. Aber wenigstens für die Kinder gibt es die Aussicht, schon bald nach den Winterferien wieder in die Schule … ach nein, wohl doch nicht. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mussten Winfried Kretschmann und Malu Dreyer schon wieder zurückrudern. Denn auch wenn sie im März als Erste dran sind mit Landtagswahlen – die Virusmutanten lassen keine Lockerungen zu.
Impfgezerre in der EU
Also bleibt alles dicht. Und wir schauen weiterhin den Inzidenzzahlen beim langsamen Sinken zu und verfolgen ratlos das Impfstoffgezerre in der EU: Hat Boris Johnson sich heimlich Impfdosen gesichert, um seinen Landsleuten den (einzigen) sichtbaren Erfolg des Brexit präsentieren zu können? Oder war die EU einfach später dran mit dem Bestellen und kriegt jetzt halt später? Und was genau steht eigentlich in diesem ominösen Impfstoffvertrag? Der soll jetzt veröffentlicht werden, um den Gerüchten ein Ende zu setzen. Doch vorab kam die Nachricht, es werde nun doch mehr als 31, wenn auch nicht die ursprünglich vereinbarten 80 Millionen Impfdosen geben. Allerdings nur für Menschen unter 65 Jahren.
Das wirbelt jetzt noch mal die Impfreihenfolge durcheinander. Vielleicht können ErzieherInnen und LehrerInnen dann vorgezogen werden, sodass wenigstens die Schulen bald …? Aber ich verbiete mir diese wilde Hoffnung, denn umso brutaler ist es dann hinterher, wenn es wieder heißt: Ach nein, wohl doch nicht.
Kleiner Zusatzaufreger für alle BerlinerInnen: Am Donnerstag hieß es überraschend aus dem Haus von Gesundheitssenatorin Kalayci, Berlin werde in die Impfstoffproduktion einsteigen, ein schneller Ausbau der Impfproduktion des Unternehmens Berlin-Chemie sei möglich. Bei der Kombination „Berlin“ und „schnell“ hätte man gleich stutzig werden müssen. Entsprechend hieß es schon am Abend: Nee, doch nicht. Da ließ Berlin-Chemie mitteilen, man habe gar nicht die Technologie dafür. Na ja, wenigstens kann in Adlershof beim Abfüllen von Impfdosen geholfen werden. Womöglich. Vielleicht. Jedenfalls ist diese Nachricht Stand jetzt noch nicht überholt.
Der Scheuer-Andi
Die News dagegen, dass Andreas Scheuer – der selbst in Regierungskreisen offenbar so ungezwungen „Scheuer-Andi“ genannt wird, wie Linken-Politiker Ramelow in der Internet-Plapperbude „Clubhouse“ die Kanzlerin zum „Merkelchen“ herabverniedlichte –, dass dieser Fachmann für die „Ausländer“-Maut die fast 10-stündige Befragung im Untersuchungsausschuss politisch überlebt hat, kam so überraschend nicht. Denn Stehvermögen ist gewissermaßen, um mit Edmund Stoiber zu sprechen, die „Kompetenzkompetenz“ eines ordentlichen CSU-Politikers.
560 Millionen Euro Schadensersatzforderungen seitens der Betreiber, weil der Vertrag fertig gemacht wurde, bevor der Europäische Gerichtsstopp das Projekt kippte – ja, das findet Scheuer auch unverschämt, er aber hat alles richtig gemacht, beteuert er noch immer, mit diesem unnachahmlich treuherzigen Blick durch seine Rundbrille.
Bloß nix zugeben, mit dieser Strategie ist der mutmaßliche Mittäter im Lübcke-Mord auch gut gefahren – dass er der zweite Mann auf der Terrasse war, konnte ihm nicht nachgewiesen werden; er wurde freigesprochen. Der geständige und absolut nicht reuige Haupttäter Stephan E. hat „lebenslänglich“ bekommen; für das rassistisch motivierte Attentat auf einen Iraker wurde er nicht belangt.
Ist das jetzt der „wehrhafte Rechtsstaat“? Oder, ach nein, doch nicht – weil dieses Urteil eine Ausnahme darstellt in einer Atmosphäre der Duldung und klammheimlichen Unterstützung von Rassismus, wie der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent im „heute journal“ gesagt hat? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich hat diese Woche des „ach, nein, doch nicht“ keineswegs intelligenter gemacht.
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