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Impfpflichtdebatte in KriegszeitenVerschieben, aber nicht vergessen

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Eine allgemeine Impfpflicht ist in Kriegszeiten kaum noch durchsetzbar. Der moderate Vorschlag von CDU/CSU erscheint da am sinnvollsten.

Auch in Kriegszeiten macht die Pandemie keine Pause Foto: Moritz Frankenberg/dpa

J etzt auch noch eine Impfpflicht einführen? Ernsthaft? Haben wir nicht gerade genug andere Sorgen? So dürften viele reagieren, wenn der Bundestag nächste Woche über die verschiedenen Gesetzentwürfe debattiert. Angesichts des Kriegs in der Ukrai­ne scheint eine möglicherweise schwierige Coronalage im nächsten deutschen Winter ungefähr so weit weg wie der Mond. Vielleicht sollten wir uns besser erst einmal um humanitäre Hilfe für die Menschen in und aus der Ukraine kümmern.

Es wäre ohnehin falsch, jetzt eine umstrittene Impfpflicht für alle Altersgruppen durchzupeitschen – ohne zu wissen, ob die verfügbaren Impfstoffe überhaupt gegen eine Ansteckung mit möglichen neuen Varianten schützen oder kaum, wie bei Omikron. Am dringendsten ist jetzt eine bestmögliche Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten. Dafür braucht es gesellschaftlichen Zusammenhalt und keine neue Spaltung durch Corona-Debatten.

Also die Impfpflicht endgültig versenken und Corona abhaken? Das wäre nun auch wieder zu kurzsichtig. Zum einen erlauben es die aktuellen Inzidenzen nicht, auch noch die Maskenpflicht aufzuheben. Außerdem könnte es sein, dass wir im Winter noch dringender als bisher gedacht eine hohe Impfquote brauchen werden.

Denn selbst wenn der Krieg wie durch ein Wunder demnächst gestoppt wird, gibt es Anzeichen, dass er zu einer Wirtschaftskrise mit höherer Arbeitslosigkeit und Energieproblemen führen wird. Dann sollten nicht auch noch neue Lockdowns wegen gefährlicher Varianten dazukommen.

Deshalb muss es natürlich weiter gute Impfangebote geben, übrigens auch für die Geflüchteten, aber keine sofortige Pflicht ohne akute Not und sicheren Sinn. Am klügsten scheint daher im Moment der Vorschlag der Union, die gesetzlichen Grundlagen für eine Impfpflicht zu schaffen – jedenfalls für Senioren, damit man im Ernstfall vorbereitet ist –, die Pflicht aber nicht jetzt schon einzuführen. Sondern erst dann, wenn es wirklich wieder eine gefährliche Variante gibt und wenn der verfügbare Impfstoff wirklich davor schützt.

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11 Kommentare

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  • @TROLLATOR

    "Die Inzidenz zu senken offenbar nicht, da die Impfung das nicht leistet."

    [citation needed]

    Nö.

    Nach allem, was mensch heute weiss ist nicht nur der Verlauf weniger schwer, sondern die ansteckende Zeit kürzer => der R-Wert geringer.

  • > Es wäre ohnehin falsch, jetzt eine umstrittene Impfpflicht für alle Altersgruppen durchzupeitschen – ohne zu wissen, ob die verfügbaren Impfstoffe überhaupt gegen eine Ansteckung mit möglichen neuen Varianten schützen oder kaum, wie bei Omikron.

    Wenn wir das bei der nächsten Variante dann wissen. ist es ohnehin zu spät, zu reagieren, denn neue Varianten verbreiten sich zu schnell.

    Das würde bedeuten, dann einfach gar nichts zu tun, wo man vorbeugend handeln kann und sollte. Man muss mit dem Auto ja auch mit 30 an einer Grundschule vorbei fahren, weil da ein Kind über die Stasse laufen könnte, und man dann in der Lagte sein muss zu bremsen, nicht nur wenn schon ein Kind auf der Strasse steht.

    Wir wissen aber, dass bisher die Impfungen gegen schwere Erlrankungen auch bei Varianten helfen. Also sind sie sinnvoll, schon jetzt.

    • @jox:

      Wer kann den garantieren, dass die vorhandenen Impfstoffe gegen zukünftige Mutationen helfen? Bei Omikron ist der Schutz vor Ansteckung, Weiterverbreitung und Erkrankung praktisch nicht mehr vorhanden. Nur noch der Schutz vor sehr schweren Verläufen ist noch halbwegs gegeben (wobei der Anteil dreifach Geimpfter auf den ITS gerade durch die Decke geht, siehe www.mdr.de/wissen/...asant-zu-100.html).

  • Das sind zwei verschiedene Sachen: der Krieg und Corona. Man muss sich um beides kümmern.

    Der Impfstoff wirkt sehr wohl krankheitsmildernd. Kann man daran sehen, dass auf den Intensivstationen fast nur Ungeimpfte liegen.

    Die Impfpflicht erst einzuführen, wenn die gefährliche Variante da ist, dürfte reichlich zu spät sein.

    • @Diogeno:

      "dass auf den Intensivstationen fast nur Ungeimpfte liegen." Wo haben Sie denn das her? Das war vielleicht vor einem Jahr so!

  • Besonders in Wahlkampfzeiten zeigt sich, wie überfordert diese Parteigänger sind. Aufrechter Journalismus sollte die Lindners, Hanss, Günthers, Scholzens in Pandemiezeiten nicht mehr zu Wort kommen lassen, sondern nur noch aufrechte Wissenschaftler, die der Bevölkerung die richtigen Warnhinweise geben, denen alle vertrauen können, um sich zu schützen. Dann braucht es keine Verbote. Aber so, wie es jetzt -gestern gab es die höchste Infektionsrate ever- läuft, werden wir die Sch... nie los und das in Zeiten, wo die so vielen Versäumnisse der Politik der Altvorderen jetzt die Zuspitzung der vielen Krisen: Klima, Renten, Rezession und dann noch Covid erst möglich gemacht hat. Danke, Merkel, Schröder, Lindner & Co.

  • Erstaunlich, dass nach zwei Jahren Pandemie es noch immer Menschen gibt, die meinen, es gehe bei der Impfung um einen Schutz vor Ansteckung.



    Dabei war schon bei der Zulassung des ersten Impfstoffs klar, das der Sinn in der Vermeindung von schweren Erkrankungen und Tod ist. Genau dagegen helfen die Impfstoffe.

  • Wenn man erst dann eine İmpfpflicht anordnet, wenn man erkannt hat, dass eine gefährliche Variante sich ausbreitet, dann bleibt die Zeit nicht einmal mehr dafür, die Risikogruppen durchzuimpfen. Wenn man dann noch abwarten will, ob die Impfstoffe gegen die neue Variante wirken, bis dahin ist die Welle schon wieder am Abklingen.



    Gerade in diesen Kriegszeiten sollte doch eigentlich jedem klar sein, was für eine vergleichsweise lächerlich geringfügige Freiheitseinschränkung eine allgemeine İmpflicht ist.

  • "Jetzt auch noch eine Impfpflicht einführen?"

    Jetzt erst recht. Wenn Menschen gezwungen werden zu reisen, in allzu engen Unterkünften zu leben. Wenn Dinge nicht so ruhig laufen wie sonst, dann werden die Ansteckungszahlen steigen. Dann können wir aus der Ecke so wenig zusätzlichen Stress brauchen, wie wir kriegen können.

    "Vielleicht sollten wir uns besser erst einmal um humanitäre Hilfe für die Menschen in und aus der Ukraine kümmern."

    Guter Impfschutz /ist/ Teil der humanitären Hilfe, verdammtnochmal. Wir nehmen gerade vulnerable Bevölkerung auf.

    "... ohne zu wissen, ob die verfügbaren Impfstoffe überhaupt gegen eine Ansteckung mit möglichen neuen Varianten schützen oder kaum, wie bei Omikron."

    Also: über 70% Hospitalisierungsrisiko [1] als "kaum" zu umschreiben ist (ich bin mal höflich) etwas untertrieben. Klar, das geht noch besser.

    Es gibt genug Gründe dafür, bei der Einführung einer Impfpflicht vorsichtig zu sein. Allen voran Respekt vor den Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Die, die Sie im Artikel anfüren sind allesamt keine.

    [1] www.merkur.de/welt...udie-91215517.html

    • @tomás zerolo:

      I beg to differ.

      Was soll denn das Ziel einer Impfpflicht zum jetzigen Zeitpunkt sein? Die Inzidenz zu senken offenbar nicht, da die Impfung das nicht leistet. Also geht es nur um die Verringerung der Anzahl schwerer Verläufe. Aber solange keine Überlastung des Gesundheitssystems zu erwarten ist -- und das ist sie im Augenblick nicht -- geht es hier um eine individuelle medizinische Entscheidung, in die der Staat kein Mandat hat, sich einzumischen.

      Dass die Flüchtlinge wesentlich zum Gesamtinfektionsgeschehen in Deutschland beitragen werden, ist auch etwas abwegig. Dazu genügt es, die Flüchtlingszahlen mit den wöchentlichen Infektionszahlen zu vergleichen und den Unterschied der Größenordnung festzustellen.

      Und schließlich: es scheint überraschend wenigen aufzufallen, aber wir haben gerade eine Welle, die einen Großteil der Bevölkerung immunisiert. Seit Januar haben wir eine Inzidenz über 1000 mit sehr hoher Dunkelziffer. Die seitdem etwa 9 Millionen registrierten Infektionen sind wohl nur ein Drittel bis ein Fünftel des tatsächlichen Geschehens und die Welle ist noch lange nicht vorbei. Die viel beschworene Impflücke dürfte wesentlich weniger relevant sein, als unser alarmisischer Gesundheitsminister propagiert.