Der Kirchturm von Keyenberg vor der Abbruchkante des Braunkohle-Tagebergbaus

Nur 400 Meter ist das Dorf Keyenberg vom Braunkohletagbau entfernt Foto: David Young/dpa

Im Nachbardorf von Lützerath:Kackhaufen im Klimakampf

Die Stimmung in Keyenberg ist geprägt von Misstrauen zwischen Alteingesessenen und KlimakämpferInnen. Die hatten in dem Dorf ein Camp errichtet.

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25.2.2023, 11:47  Uhr

Es herrscht wieder Ruhe im Land. Lützerath ist dem Erdboden gleichgemacht, damit dort Braunkohle abgebaut werden kann. Und auch in Keyenberg gut zwei Kilometer nördlich, seit dem Deal zwischen Politik und dem Braunkohlekonzern RWE von Anfang Oktober eines der fünf Dörfer mit Bestandsgarantie, ist es sehr ruhig. Nur vereinzelt ist mal ein Fußgänger zu sehen. Oder es tuckert ein Trecker um die Ecke.

Rund 150 Menschen wohnen hier noch, von einst fast tausend. Alle anderen sind seit 2016 umgesiedelt, sprich: vertrieben. Die an RWE verkauften Häuser verrotten seitdem, morsche Holzzäune sind umgekippt, Jalousien meist zugezogen, Fenster manchmal auch zugemauert. Die Kirche ist entweiht, die Gräber eingeebnet, genau ein Geschäft ist geblieben: Bäcker Laumanns, der an vier Tagen vormittags geöffnet hat.

Ruhe? Heute Vormittag ist es immer wieder laut: aufheulende Motorsägen, Rufe, Klappern, Scheppern. An mehreren Stellen im Ort fällen RWE-Trupps Bäume in den verlassenen Gärten, rasieren Hecken absurd kurz und häckseln das Schnittgut an Ort und Stelle zu grün-braunem Schnee. Seit November tun sie das. „Gehen Sie da mal weg“, tönt plötzlich aggressiv der Fahrer eines RWE-Geländewagens, „ich will da parken.“ Genau da, wo wir auf dem Bürgersteig stehen? „Ich muss die Einfahrt zustellen.“ Warum? „Damit die Aktivisten nicht durchkommen. Die machen die Maschinen kaputt.“ Welche Aktivisten? „Weiß ich nicht. Wurde mir so gesagt.“

Für David Dresen, 31, aus dem Nachbardorf Kuckum, seit Jahren aktiv beim Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, und die Keyenbergerin Carmen Petrovan, 52, sind solche Behauptungen Wasser auf die Mühlen. „Hab ich doch gesagt“, meint Dresen, „da ist der Vorwand ‚Freiräumen, damit sich da niemand verstecken kann‘. Welche Häuser bleiben sollen, weiß noch niemand. Aber RWE will wie immer schon mal Fakten schaffen.“

Dresen glaubt zudem, dass Petrovans Straße Auf den Steinen, die am weitesten an die steile Abrisskante zum Braunkohletagbau ragt, „möglicherweise noch abgerissen werden soll“, weil der im Eckpunktepapier beschlossene Abstand zum Tagebau von 400 Metern sonst unterschritten werde. Ohnehin sei unklar: 400 Meter von Kante bis zum ersten Haus heute oder bis zum ersten Haus, das weiter erhalten bleiben soll?

Die Erkelenzer Stadtverwaltung sagt auf taz-Anfrage, RWE habe sich an die Rahmenvereinbarung zu halten: „Es darf da keine Abrissarbeiten geben.“ Dresen zuckt die Schultern: „Irgendwann ist halt Gefahr im Verzug …“ RWE braucht zudem dringend Abraum. Da ist jeder Kubikmeter willkommen.

"FCK RWE" steht als Graffito auf einer Hauswand

Wegen RWE ist Keyenberg derzeit ein ziemlich verlassenes Dorf Foto: Remko de Waal/imago

„RWE vandaliert im Ort jetzt schon“, sagt Petrovan, „Kahlschlag überall, riesige Rhododendren werden massakriert, die totale Verwüstung aller Gärten.“ RWE sei „wie ein Pitbull, die beißen sich überall fest“. Petrovan lebt mit hier ihrer pflegebedürftigen 80-jährigen Mutter. „Die fragt immer: Was wird hier? Warum der Krach? Was wird aus unserem Keyenberg?“

Was wird? Da hat RWE die Finger drauf. Dem Kohleriesen gehören die meisten Grundstücke, zwangsverkauft von EinwohnerInnen, die mehrheitlich ab 2016 umgezogen sind. Denn eigentlich sollten die Tagebaubagger auch die fünf Dörfer wegfressen, die verbliebenen Menschen wären zwangsenteignet worden. Dann wurde im Oktober 2022 der Kohleausstieg 2030 beschlossen und damit der Erhalt der Dörfer.

Was in Keyenberg und drumherum konkret entsteht, was aus den verlassenen Häusern wird, was aus den monströsen Tagebau-Löchern, darüber beginnt gerade der Streit zwischen Stadt Erkelenz, Landesregierung, RWE und Klimagruppen. Und auch hinter den Kulissen geht der Braunkohlekrieg weiter, ein Krieg mit Worten, Misstrauensbekundungen, wüsten Anschuldigungen, Opfererzählungen.

Es begann im Dezember. Lützerath-SympathisantInnen bauten ein Ausweichquartier, um sich zu koordinieren, wenn Lützerath geräumt sein sollte. Keyenberg, das Nachbardorf, bot sich an. Auf dem verlassenen Sportplatz am Dorfrand entstand „Unser Aller Camp“, eine kleine Zeltstadt samt Infrastruktur, behördlich genehmigt. Ein paar hundert Leute ließen sich hier nieder.

Schnell gaben sich einzelne BewohnerInnen Keyenbergs entsetzt: Was wollen die hier? Okkupieren die auf Dauer unser Dorf? „Dies bewirkt in uns, dass wir Angst haben und uns eingeschüchtert fühlen“, schrieben sie, „so als ob wir herausgeekelt werden sollen“, damit „ein Parallelstaat“ entstehen könne. Die Ukraine-Flüchtlinge im Ort würden sich „kaum noch auf die Straße trauen“. Barbara Ziemann-Oberherr, 62, eben noch vorne dabei im Kampf gegen RWE, sammelte Unterschriften gegen das Camp, man wolle „endlich zur Ruhe kommen“.

Die kohlefreundliche Rheinische Post griff solche Erzählungen dankbar auf, Tenor: Keyenberg wehrt sich gegen diese staatsfeindlichen linksextremen Aktivisten. Und dann kam auch noch die große Demo am 14. Januar mit 35.000 Menschen, die von Keyenberg nach Lützerath und zurück zogen.

David Dresen von "Alle Dörfer bleiben"

David Dresen von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ Foto: Bernd Müllender

Es war laut, es war voll. Ein paar neue Graffiti wie „FCK RWE“ entstanden. Vereinzelt gingen ein paar Scheiben der verlassenen Häuser zu Bruch. Oberwasser für Oberherr: Es habe sich angefühlt „wie in Hitchcocks,Die Vögel'. Da rennen nachts 100 bis 200 schwarz Vermummte durchs Dorf, rufen Parolen und werfen Böller. Die haben im Grunde die ganzen Dörfer zugeschissen, an den Häusern und auf den Feldern massive Schäden hinterlassen.“

Anlass, bei ihr mal nachzufragen. Sie zeigt gleich ein Youtube-Video, auf dem junge Leute bei einer Autofahrt nach Lützerath von Revolution sprechen und „den Staat abschaffen“ wollen. „Das sind nicht wir. Das ist nicht die Sprache der Bürger hier“, sagt Oberherr empört. Immer wieder hätten andere Dörfler sie auf solche Statements angesprochen. Besonders verletzend: „Von den Umgesiedelten werden wir jetzt auch noch mit den Aktivisten in einen Topf geworfen.“ Dabei hat Oberherr ein ambitioniertes Motto, das auch unter der Unterschriftenliste stand: „Ich habe Keyenberg zu retten. Und wir alle einen Planeten.“ Sie selbst auch, Oberherr wünscht sich „komplett energieautarke Dörfer“ und wirbt mit Greenpeace für Solaranlagen.

Aber Oberherr klagt auch über angeblich durch hungrige Aktivisten geklaute Brötchen. Eine Frau habe mal gesagt: „Wir fragen nicht, wir nehmen!“ Dann zeigt Oberherr auf ihrem Smartphone Beweisfotos, was die jungen Leute gaben: einen formvollendeten Scheißhaufen zum Beispiel, Großaufnahme, auf einer Wiese. „Bitte sehr!“ Vielleicht war das ein Hund? „Deren Haufen sind nicht so spitz.“ Oberherr hat drei Hunde.

Treffen mit dem Innenminister

David Dresen sagt, Barbara Oberherr, lange mit ihm gemeinsam bei „Alle Dörfer Bleiben“ aktiv, lasse sich „von der CDU vor den Karren spannen“. Einen solchen Vorwurf nennt Oberherr „Hetzkampagne“. Tatsächlich aber war Innenminister Herbert Reul Ende Januar bei ihr im Wohnzimmer zu Besuch, eine Stunde lang. „Der hat bei mir angerufen“, sagt sie, ob man sich nicht mal unterhalten könne.

Herbert Reul, CDU-Hardliner und seit 2017 NRW-Innenminister, kümmerte sich jahrelang nicht darum, dass in den leer stehenden Häusern regelmäßig geplündert wurde, dass alles verkam, wie es den Verbliebenen erging. Kaum kamen die aufgeputschten Klagen, war er plötzlich „irre beunruhigt“. „Ich habe Sorge davor, dass sich dort Menschen dauerhaft ansiedeln“ und auch noch Leute, die „abweichendes Verhalten zeigen“. Reul fabulierte davon, dass „eine extremistische Szene entsteht, die einen Umsturz oder Ähnliches plant“.

Barbara Oberherr: Frau mittleren Alters mit wehenden Haaren und rotem Rollkragenpullover

Barbara Oberherr steht den Ak­ti­vis­t*in­nen skeptisch gegenüber

Michael Zobel, der Aachener Waldpädagoge und Kämpfer wider den Kohleirrsinn, schrieb Oberherr kürzlich einen Brief. Tenor: Nur der gemeinsame, jahrelange Kampf mit den vielen jungen Leuten habe letztlich auch ihr Dorf Keyenberg gerettet. Er sei ob der plötzlichen Propaganda entsetzt, wütend und traurig. „Ohne die Klimacamps in Erkelenz, ohne Ende Gelände 2015, ohne all das gäbe es auch Keyenberg nicht mehr. RWE, Politik, Polizei und andere reiben sich die Hände, dass die Spalterei wieder mal bestens funktioniert.“ Oberherr sagt, sie kenne Michael Zobel kaum und habe ihm auch nicht geantwortet.

Anfang Februar verließen die letzten BewohnerInnen „Unser Aller Camp“, obwohl es noch eine Genehmigung bis Ende des Monats gab. Geblieben ist ein Stück weiter „Unser Aller Wald“, sechs Baumhäuser in den Wipfeln. Ein knappes Dutzend BewohnerInnen leben hier noch, gemeinsame Küche, Treffpunkt auch für Gleichgesinnte von außerhalb. „Wir bleiben vorläufig hier“, sagt Tuvia, „wir leben weiter unser Leben.“ Er misstraut Politik und den Kohlebaronen: „Vielleicht heißt es in vier Jahren: Ach, ist ja immer noch Krieg? Dann graben wir doch weiter …“

Die Hüter von Keyenberg

„Wir passen auf Keyenberg auf“, sagt bei einem Glas mildem Gewürztee auch Ask, ein sehr sanft wirkender Däne mit Rasta-Haaren bis auf die Schultern, „wir wollen hier helfen, Freunde sein mit den Dorfbewohnern und Allianzen schmieden.“ Asks Vision: „Ein gemeinsames tolles Dorfleben aufbauen. Vertraut uns.“ Und er verweist auf den großen Hof nebenan in Berverath, den eine Genossenschaft dem Vorbesitzer abkaufte, bevor RWE die Finger an das Grundstück bekam. „Da wird die Bewegung wohnen, da wird viel Gemeinsames passieren, mit allen hoffentlich.“

Gila lächelt dazu etwas säuerlich. „Ich hab schon mit so vielen Menschen hier geredet und gesagt: Wir sind doch auf eurer Seite. Aber da gibt es so viele Schranken in den Köpfen.“ Da sei so viel, sie überlegt einen Moment, „ja: German Angst, Angst vor Veränderung. Aber wir müssen doch zusammen über die wahren Probleme reden, die ganze Klimabedrohung, nicht über ein paar Kackhaufen im Garten.“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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