„Im Herzen jung“ im Kino: Zu verlieren gibt es immer was
Die Romanze „Im Herzen jung“ folgt Hauptdarstellerin Fanny Ardant mit genauem Blick in die Verzweigungen einer Liebe zu einem jüngeren Mann.
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Eine Begegnung in einem Lyoner Krankenhaus. Shauna (Fanny Ardant) wacht am Bett ihrer Freundin Mathilde, die bald sterben wird. Im Flur trifft sie auf den Arzt Pierre (Melvil Poupaud), sie erzählt ihm von Mathilde, zeigt ihm ein Foto mit ihnen beiden aus besseren Tagen. Pierres Telefon klingelt, er entschuldigt sich, ein anderer Patient benötigt Hilfe. Als er in den Flur zurückkommt, wo er sich mit Shauna unterhalten hatte, ist sie verschwunden. Er hält ihr Foto noch in der Hand.
Fünfzehn Jahre später ist Pierre auf einem Onkologie-Kongress in Dublin, er bemüht sich dort für eine Patientin mit Brustkrebs um eine alternative Therapie, die in Frankreich schwierig zu genehmigen ist. Sein Kollege Georges (Sharif Andoura) überredet ihn, gemeinsam eine Freundin der Familie in ihrer Ferienhütte am Meer zu besuchen, bloß für eine Nacht. Pierre zögert zunächst, wehrt ab, das Hotel in Dublin sei schon gebucht. Doch Georges insistiert, die Zimmer ließen sich ja stornieren.
Der Film „Im Herzen jung“ beginnt sehr ruhig, fast beiläufig, erzählt seine Geschichte mit wacher Diskretion. So sieht man in der ersten Szene von der Patientin Mathilde bloß ihre Puschen neben dem Bett. Mehr Information braucht es nicht, um zu ahnen, dass es ihr nicht gut geht. Auch das erneute Treffen zwischen Pierre und Shauna, denn sie ist es, die ihn und Georges dort am Meer erwartet, erzählt die Regisseurin Carine Tardieu mit dem geringstmöglichen Einsatz von Effekt. Pierre erkennt Shauna sofort, während er ihr etwas auf die Sprünge helfen muss. Ach, erwidert sie, der Mann von vor 15 Jahren sei doch jünger gewesen. Auch damals schon.
Mit Dialogen wie diesen deutet Carine Tardieu die Liebesgeschichte an, auf die die Handlung des Films hinsteuert. Auch dies in gemäßigtem Tempo, erst nach der Hälfte des Films nähern sich Shauna und Pierre ernsthaft an. Bis dahin sind ihre Gespräche vorsichtige, oft sogar ängstliche Manöver, in denen sie einander in erster Linie auszuweichen versuchen.
Der sichtliche Altersunterschied
Immerhin steht für Pierre einiges auf dem Spiel; er ist verheiratet, hat zwei Kinder. Für Shauna gibt es auf den ersten Blick weniger zu riskieren, ihr Mann ist schon tot. Wäre da nicht ein Detail: Als sie sich in Irland wiedersehen, ist sie 70 Jahre alt, er Mitte 40.
Aus diesem Stoff könnte man zweifellos eine alberne Liebeskomödie machen, Tardieu gestattet sich hingegen bloß in einigen Momenten sehr feine Situationskomik. Etwa als Pierre an einem Abend in Paris ist, wo Shauna lebt – er wohnt immer noch in Lyon – und sie sich über das Telefon verabreden wollen. Mit Kurznachrichten. Was Shaunas nervositätsbedingt fahrlässige Tipperei um ein Haar verhindert. „Scheiß-Autokorrektur!“, entfährt es ihr, als sie unfreiwillig das Gegenteil dessen, was sie schreiben wollte, an Pierre geschickt hat.
Zum präzise lakonischen Erzählton wählt Fanny Ardant ein perfekt nuanciertes Spiel. Ihre Shauna blickt verführerisch, furchtsam und verletzlich zugleich. Sie hat im Alter immer noch etwas zu verlieren, zögert mit Ausdauer, bevor sie sich auf Pierre einlässt. Dieser handelt paradox, will einerseits seiner Aufgabe und seinen Pflichten als Ehemann und Vater nachkommen, seine Handlungen führen ihn jedoch unaufhaltsam hin zu Shauna. Melvil Poupauds Pierre blickt in der Bestürzung über all diese unerwarteten Regungen seinerseits fast trotzig, wie jemand, der nicht glauben kann, dass er nicht mehr der einst freiwillig angenommenen Rolle gerecht wird.
Zwischen ihm und seiner Frau Jeanne, fürsorglich gefasst verkörpert von Cécile de France, läuft längst nicht mehr alles rund. Vor Jahren ist eines ihrer Kinder gestorben. Jetzt steht die Ehe komplett auf dem Spiel, nachdem Pierre ihr gestanden hat, dass er „jemand kennengelernt hat“. Um die Angelegenheit noch etwas komplizierter zu gestalten, wird auch die Beziehung von Shauna und Pierre auf die Probe gestellt. Um nicht zu viel vorwegzunehmen, sei der Grund nicht weiter erwähnt.
Klassische Musik kommentiert das Geschehen
Selbst dieses doppelte Drama meistert Tardieu in einem kontrollierten Ton, der allen Protagonisten ihre Würde lässt und allzu explizite Wendungen vermeidet. Die Musik kommentiert das Geschehen vornehm distanziert mit vielen Zitaten klassischer Musik: von Bachs Goldberg-Variationen über Romantisches von Frédéric Chopin bis zu Franz Schubert. Bands wie The Divine Comedy kommen im Soundtrack ebenfalls vor.
„Im Herzen jung“. Regie: Carine Tardieu. Mit Fanny Ardant, Melvil Poupaud u. a. Frankreich/Belgien 2021, 114 Min.
Man wünschte dem Film lediglich, der deutsche Verleih hätte einen weniger abgegriffenen Titel gefunden. Im Original lautet er „Les jeunes amants“, die jungen Liebenden. Der zart bitteren Note dieser weniger verrückten als vielmehr unerbittlich folgerichtigen Liebe steht das weit besser zu Gesicht.
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