Neuer Spielfilm von Claire Denis: Welch seltsames Spiel die Liebe ist

Regisseurin Claire Denis nimmt sich in „Mit Liebe und Entschlossenheit“ mit leichter Hand eines sehr französischen Filmthemas an.

In einer zärtlichen Bettszene des Films lächelt Sara, gespielt von Juliette Binoche ihrem Bettpartner zu

Erweiterte Zweisamkeit: Sara (Juliette Binoche) landet in einer Dreiecksbeziehung Foto: Arsenal Filmverleih

Liebe besteht aus Gesten. Bei Sara (Juliette Binoche) und Jean (Vincent Lindon) steckt sie in der sichtbaren Vertrautheit zweier Körper – wenn das Paar um die 60 beim gemeinsamen Urlaub im Meer schwimmt oder sich nach der Rückkehr in seiner Pariser Wohnung im Bett wälzt, dann fühlt man die Verbundenheit einer noch immer glücklichen und leidenschaftlichen Beziehung.

Von Anfang an fühlt man im neuen Film der Regisseurin Claire Denis jedoch auch, dass hinter der schmucken Fassade – der echten, kleinen Maisonette ebenso wie des Beziehungsstatus – ein Drama schlummert. Der ehemalige Profi-Rugbyspieler Jean, dessen Vitalität und Sportlichkeit ihm noch deutlich auf den Leib geschrieben sind, hat einen schwer pubertierenden Sohn, Marcus (Issa Perica), der bei Jeans Mutter (Bulle Ogier), der stets gefassten und elegant gealterten Vorstadt-Madame Nelly, lebt und kurz vor einer Katastrophe steht.

Wegen verschiedener krimineller Delikte drohen Marcus diverse Strafen. Zudem war Jean anscheinend vor nicht allzu langer Zeit im Gefängnis – was irgendetwas mit Saras Exfreund François (Grégoire Colin) zu tun hatte, den die Radiomoderatorin für Jean verließ.

Voilà, le ménage à trois: „Mit Liebe und Entschlossenheit“ ist dem Thema Nummer eins des französischen Films verschrieben, dem sich auch Denis selbst bereits mehrfach, zuletzt mit ähnlichem Personal 2017 in „Meine schöne innere Sonne“ widmete. Denn als François Jean kontaktiert, weil er mit ihm zusammen eine Agentur für Sportler aufbauen möchte, kehrt der etwas jüngere, mysteriöse François in das Leben des Paares zurück – und macht aus dem harmonischen Duett ein spitzwinkeliges, von wieder aufflammenden Leidenschaften, Eifersucht und Kummer geprägtes Dreieck.

Es ist der Schauspielkunst der Prot­ago­nis­t:in­nen und dem bewährten Feingefühl der Regie zu verdanken, dass aus dem tausendfach beschriebenen und erlebten Konflikt kein betulicher, schleppender Film geworden ist. Leichthändig lässt Claire Denis stattdessen die emotionale Spannungskurve anwachsen, streut gekonnt nur wenige Informationen über die Vergangenheit der Beteiligten – und hält die Zu­schaue­r:in­nen so bei der Stange.

Wieso kann er sich nicht um den Sohn kümmern?

Wie war das Verhältnis, das Jean zu der Schwarzen Mutter seines Sohnes Marcus hatte, wieso ist diese Frau verschwunden, und wieso kann er sich nicht um den Sohn kümmern? Wieso war Jean im Gefängnis? Wie ist die Beziehung zwischen François und Sara geendet, was brachte Sara zu Jean – doch hoffentlich nicht Mitleid? Und was – zut alors! – ist denn wohl Wundersames im Bett zwischen Sara und François passiert, dass François’ Berührungen ihr noch immer so in den Knochen stecken?

Denis, die das Drehbuch gemeinsam mit Christine Angot verfasste, beschreibt in ihrem Film das Unbeschreibbare – jenes komische und recht einmalige Gefühl der tiefen Zusammengehörigkeit, das selbst einem unsanften Realitäts-Check (als Sara und François tatsächlich wieder zusammen im Bett landen, ist das alles andere als traumhaft, magnetisch und befriedigend) standhält. Denn bekanntlich sind Sehnsucht und Projektion stärker als die Wahrheit.

Darüber hinaus bildet „Mit Liebe und Entschlossenheit“ den normalen, von Corona und Maskentragen geprägten Alltag eines schlingernden Paares ab – und das, ohne die allgegenwärtige Pandemie als handlungsrelevantes, aber langweiliges Element einzusetzen. Denn bislang beeinflussten Corona und die dazugehörigen Maßnahmen vor allem die Produktion von Filmen und erst in zweiter Linie die Inhalte. Bei Denis passen die menschenleeren oder von Maskengesichtern geprägten Großstadtbilder zu ihrer Geschichte, die sich auf das Liebesdreieck einerseits und als Nebenhandlung auf Jeans Familie (Mutter und Sohn) konzentriert.

Vermutlich coronabedingt auf dem Handy gedrehte, dokumentarisch wirkende Sequenzen, auf denen die Welt während der Pandemie zu sehen ist, verstärken die Authentizität des Films, genau wie Denis’ Entscheidung, ihre Prot­ago­nis­t:in­nen auch im Arbeitsalltag zu zeigen, Sara etwa bei Radiodiskussionen zum Thema Rassismus oder Islamophobie oder Jean bei den Versuchen, den Kontakt und das Verhältnis zu Marcus zu verbessern: Mit 60, das ist die weise Erkenntnis, haben Erwachsene selten ausschließlich die Liebe im Kopf – selbst wenn die Best-Ager verknallt sind wie Teenager.

„Mit Liebe und Entschlosseneit“. Regie: Claire Denis. Mit Juliette Binoche, Vincent Lindon u.a. Frankreich 2021, 116 Min.

Und es sind wahrlich Teenager-Verhaltensweisen, in denen Denis ihre Handelnden ansiedelt: die sich im Kreis drehenden Streitgespräche zwischen Jean und Sara; der trotzige Bettstreik des eigentlich als sensueller, „dunkler Held“ aufgebauten François, der ihn nicht unbedingt sexy macht; Saras Fixierung auf ihr Handy, das den Kontakt zu François verkörpert. Mit all dem dekonstruiert Denis die Abgeklärtheit und Seriosität ihrer reifen Hel­d:in­nen – und macht sie nachvollziehbar und menschlich. „Mit Liebe und Entschlossenheit“ erzählt somit nicht den innovativsten aller Plots. Aber er zeigt, welch seltsames Spiel die Liebe ist.

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