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ITS-Kongress zu MobilitätAuch Intelligenz verbraucht Energie

Eine Messe in Hamburg zeigt, wie Digitalisierung den Verkehr klimafreundlicher machen könnte. Umweltverbände zweifeln daran.

Nur zur Show: autonomes Auto mit Elektro- und Wasserstoffantrieb auf der Messe in Hamburg Foto: Marcus Brandt/dpa

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Hightech soll das Radfahren in Hamburg attraktiver machen. Ein System, das Radlern auf ihrem Smartphone anzeigt, wie sehr sie in die Pedale treten müssen, um noch die nächste Grünphase zu schaffen, wurde auf dem Weltkongress für Intelligente Transportsysteme (ITS) in Hamburg vorgestellt worden. Die Fachmesse öffnete am Donnerstag ihre Tore kostenlos für das allgemeine Publikum. „Auf dem ITS-Weltkongress zeigt Hamburg die Mobilität der Zukunft“, sagte Brürgermeister Peter Tschentscher zur Eröffnung.

Die Fahrrad-App als Radel-Anreiz ist ein Beispiel dafür, wie das Verkehrsystem mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnik effizienter, sicherer und sauberer – nicht zuletzt klimaneutral – werden soll. Im Mittelpunkt steht dabei die Vernetzung von Verkehrsteilnehmern untereinander, mit der Daten-Cloud und mit der Infrastruktur. Ein weiterer Schwerpunkt ist das autonome – fahrerlose – Fahren von Pkws, Minibussen aber auch Bahnen.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) und der Umweltverband BUND kritisierten den Ansatz des Kongresses als zu autofixiert. „Automatisiert fahrende Autos, die digitale Vernetzung der Verkehrsarten und die Mobilität als privater Service der Auto- und Digitalkonzerne sind das Gegenteil einer menschen- und umweltgerechten Mobilitätswende“, kritisiert Tom Jakobi vom ADFC-Vorstand.

Die Pläne, Hamburg bis zum Jahr 2030 für den Betrieb von vollautomatisiert fahrenden Fahrzeugen zu rüsten, seien riskant mit Blick auf die Verkehrs- und Cybersicherheit sowie den Datenschutz, sagt Jakobi. Sie stünden dem Ziel im Weg, Straßenraum für die Menschen zurückzugewinnen.

„Wir brauchen nicht nur eine intelligente Mobilität, sondern auch eine intelligente Verkehrspolitik“, sagt auch der BUND-Landesvorsitzende Lucas Schäfer. „Wenn wir nur Systeme umbauen, ohne den Autoverkehr zu reduzieren, verspielen wir die Chance auf einen wirksamen Klimaschutz.“

5 Minuten bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel

Tatsächlich ist das autonome Fahren im Konzept des rot-grünen Senats nicht so sehr für den Privat-Pkw vorgesehen, sondern als Ergänzung des Systems aus Bussen und Bahnen. Im Zuge des Kongresses ging eine selbstfahrende S-Bahn in Betrieb. Die Technik soll es ermögichen, 25 bis 30 Prozent mehr Züge auf der gleichen Strecke verkehren zu lassen.

Autonome Rufbusse und Sammeltaxen sollen in den Randstadtteilen die letzte Meile von der Bushaltestelle oder Bahnstadtion nach Hause abdecken. Unter dem Namen Heat (Hamburg Electric Autonomous Transportation) zuckeln solche Minibusse bereits mit 25 Stundenkilometern durch den neuen Stadtteil Hafencity.

Die Minibusse sollen helfen, den sogenannten Hamburg-Takt zu gewährleisten. Bis 2030 soll jeder Hamburger in fünf Minuten Entfernung ein öffentliches Verkehrsmittel angeboten bekommen, das im Fünf-Minuten-Takt verkehrt. „Solche flexiblen Systeme leiden im Moment noch häufig darunter, zu teuer zu sein“, sagt Stephan Ramesohl vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Autonome Fahrzeuge könnten dieses Problem lösen.

36 Prozent der Wege werden noch mit dem Auto zurückgelegt

Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) wehrt sich gegen den Vorwurf der Pkw-Fixierung: „Wir sehen auf die Logik: Wie kommt man auf dem effizientesten, grünsten und sichersten Weg von A nach B.“ Dazu sei ein integriertes Transportsystem nötig, das auch das Auto nicht ausschließe. Ziel sei es, dass 2030 nur noch 20 Prozent aller Wege in Hamburg per Auto zurückgelegt werden, statt heute 36 Prozent.

Deshalb soll das Projekt Priobike nicht nur anzeigen, wann die nächste Ampel auf Grün springt, sondern sie soll Radlern an ausgewählten Ampeln auch Vorrang geben und Kraftfahrer beim Abbiegen und Spurwechseln vor herannahenden Radfahrern warnen.

Öffentliche Verkehrsmittel sollen immer besser miteinander verknüpft werden. Schon heute lassen sich mit der Switch-App der Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) nicht nur Bus- und Bahntickets kaufen sondern auch Stadträder, Elektroroller und Leihräder buchen. Zudem will der HHV Kunden die Möglichkeit bieten, sich bei ihm einzuloggen und am Ende des Tages nur das für sie sie günstigste Ticket zu bezahlen.

Digitaltechnik ermöglicht es schon heute an vielen Orten in der Stadt, nicht nur Autos zu zählen sondern auch Fußgänger und Radfahrer, um so die Straßen und Wege zu optimieren und besser auslasten zu können. Mit Hilfe der Sensoren können nicht nur Staus erkannt und der Verkehr gelenkt sondern auch Parksuchverkehr vermieden werden. 1.000 Parksensoren sind bereits in Hamburg installiert. Künftig sollen auch Straßenparkplätze mit dem System ausgerüstet werden.

Verkehrssenator Tjarks betont, die Digitalisierung sei kein Selbstzweck sondern ein Mittel, um soziale Ziele zu erreichen, etwa beim Schutz des Planeten. „Wir brauchen die Digitalisierung, um den Klimawandel zu bekämpfen“, sagt der Verkehrssenator. Dahinter steht die Vorstellung, dass ein effizienterer Verkehr auch dem Klima nützen würde. Gegen diesen positiven Effekt muss allerdings der Energie- und Ressourcenverbrauch der digitalen Systeme gerechnet werden.

Effekt erst ab den 2040er Jahren positiv

Das Fraunhofer-Institut hat diesen Effekt unter dem schmissigen Titel „Auto tankt Internet“ für den Thinktank Agora Verkehrswende prognostiziert, dabei allerdings nur den Betrieb des Systems beachtet. Bei einem Szenario, in dem sich Autos nur untereinander und mit dem Wlan in der heimischen Garage vernetzen überwiegt der Gewinn durch die Digitalisierung von Anfang an den höheren Energieverbrauch.

Vernetzen sich Wagen zusätzlich unterwegs mit einer Cloud und der Infrastruktur wird der Effekt irgendwann auch positiv, allerdings erst ab den 2040er Jahren, durch technischen Fortschritt.

Zugleich warnen die Forscher vor einem Rebound-Effekt. Sie sehen die Gefahr, „dass eine unregulierte Einführung automatisierter und vernetzter Verkehrssysteme auf der Straße den ohnehin schon dominierenden motorisierten Individualverkehr noch attraktiver werden lässt und den Öffentlichen Verkehr zunehmend kannibalisiert“.

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4 Kommentare

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  • Zahlen - 13. Mai 2011:



    Internet, PC und IT verursachen 10 Prozent des deutschen Stromverbrauchs

    Manche Technologien entpuppen sich als wahre Stromfresser. So entspricht der gesamte Energieverbrauch von Computer, Mobiltelefon und Co. in Deutschland der Stromproduktion von 25 Kohlekraftwerken.

    Prognosen für die Entwicklung der kommenden zehn Jahre zeigen, dass der Strombedarf der alltäglich verwendeten Technologien weiter ansteigen wird. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass unsere Geräte in Zukunft weniger Strom verbrauchen werden, sind die Vorhersagen wenig ermutigend. Information und Kommunikation werden 2020 voraussichtlich bereits 20 Prozent unseres Stroms für sich in Anspruch nehmen. Dies bedeutet auch einen parallel dazu stattfindenden Anstieg der CO2-Balastung unserer Umwelt.

  • Taz-Autor Knödler antwortet auf die Kritik von ADFC und BUND: "Tatsächlich ist das autonome Fahren im Konzept des rot-grünen Senats nicht so sehr für den Privat-Pkw vorgesehen, sondern als Ergänzung des Systems aus Bussen und Bahnen"

    Drucksache 21/13503 vom 19.06.2018, der Senat teilt der Bürgerschaft die Zielvorgaben seiner ITS-Strategie für 2030 mit:



    =========Zitat Anfang============



    Vollautomatisierte und autonome Fahrzeuge sind sowohl im Öffentlichen Verkehr als auch Individualverkehr auf Hamburger Straßen im Einsatz.



    Der ÖPNV soll durch entsprechenden Technologieeinsatz und Mobilitätsangebote Treiber dieser Entwicklung sein (z.B. verstärkte Erprobung/Einsatz in Verknüpfung mit on demand und Sharing-Modellen).



    Entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen dafür (z.B. StVG, StVZO, PBefG) wurden auf nationaler und internationaler Ebene angepasst/geschaffen.



    =========Zitat Ende============



    Aber selbst wenn der Senat AVF auf ÖPNV beschränken wollte: Wie soll das denn gehen, wenn er alle gesetzlichen Dämme gegen "robots in public space" niederwalzt.

    Ist zu erwarten, dass seine Mobilitätspartner aus dem kriminellen Automobilkartell, an die er den öffentlichen Raum in Hamburg als Reallabor verschenkt hat, auf die hohen Gewinnmargen bei Roboterautos verzichten werden. O-Ton des VW-Chef Dies:

    "Mobilität und Dienstleistung nimmt zu, und beim großen Wachstum wollen wir dabei sein. Aber es wird vielleicht 15 Prozent des Mobilitätsumsatzes der Welt 2030 ausmachen." Der eigene Wagen werde dominant bleiben. "Geleast, geshared, vermietet - aber eben der private Pkw, den man für eine bestimmte Zeit nutzt oder kauft. Und auch der wird große Strecken selbst fahren können. Das bleibt unser Hauptgeschäftsfeld." www.heise.de/news/...rbeit-6152172.html

  • Die Priobike-App ist ein gefährlicher Unsinn. Ist es nicht schlimm genug, dass es Menschen beim Fahren mit hoher Geschwindigkeit einfällt, ihr Smartphone zu bedienen. Soll diese Ablenkung noch gefördert werden? Und wie will man verhindern, dass eine solche Vernetzung die schon dürftige Achtsamkeit weiter untergräbt. Und was wird aus Menschen, die nicht vernetzt sind, weil sie es ablehnen, weil ihr Akku alle ist, weil ihr Guthaben verbraucht oder ihr Smartphone oder die Infrastruktur Mukken macht. Sollen auch alle spielenden Kinder vernetzt werden, damit die Roboterautos freie Fahrt haben.

  • Sprache ist verräterisch: Wer den Begriff „Radeln“ verwendet diskreditiert Radfahren als ernstzunehmende Fortbewegung. Und, 25kmh als „zuckeln“ zu bezeichnen ist auch im Zusammenhang mit Radfahren und zu Fuß gehen eine Unverfrorenheit.