ITS-Kongress zu Mobilität: Auch Intelligenz verbraucht Energie
Eine Messe in Hamburg zeigt, wie Digitalisierung den Verkehr klimafreundlicher machen könnte. Umweltverbände zweifeln daran.
Von
Hightech soll das Radfahren in Hamburg attraktiver machen. Ein System, das Radlern auf ihrem Smartphone anzeigt, wie sehr sie in die Pedale treten müssen, um noch die nächste Grünphase zu schaffen, wurde auf dem Weltkongress für Intelligente Transportsysteme (ITS) in Hamburg vorgestellt worden. Die Fachmesse öffnete am Donnerstag ihre Tore kostenlos für das allgemeine Publikum. „Auf dem ITS-Weltkongress zeigt Hamburg die Mobilität der Zukunft“, sagte Brürgermeister Peter Tschentscher zur Eröffnung.
Die Fahrrad-App als Radel-Anreiz ist ein Beispiel dafür, wie das Verkehrsystem mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnik effizienter, sicherer und sauberer – nicht zuletzt klimaneutral – werden soll. Im Mittelpunkt steht dabei die Vernetzung von Verkehrsteilnehmern untereinander, mit der Daten-Cloud und mit der Infrastruktur. Ein weiterer Schwerpunkt ist das autonome – fahrerlose – Fahren von Pkws, Minibussen aber auch Bahnen.
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) und der Umweltverband BUND kritisierten den Ansatz des Kongresses als zu autofixiert. „Automatisiert fahrende Autos, die digitale Vernetzung der Verkehrsarten und die Mobilität als privater Service der Auto- und Digitalkonzerne sind das Gegenteil einer menschen- und umweltgerechten Mobilitätswende“, kritisiert Tom Jakobi vom ADFC-Vorstand.
Die Pläne, Hamburg bis zum Jahr 2030 für den Betrieb von vollautomatisiert fahrenden Fahrzeugen zu rüsten, seien riskant mit Blick auf die Verkehrs- und Cybersicherheit sowie den Datenschutz, sagt Jakobi. Sie stünden dem Ziel im Weg, Straßenraum für die Menschen zurückzugewinnen.
„Wir brauchen nicht nur eine intelligente Mobilität, sondern auch eine intelligente Verkehrspolitik“, sagt auch der BUND-Landesvorsitzende Lucas Schäfer. „Wenn wir nur Systeme umbauen, ohne den Autoverkehr zu reduzieren, verspielen wir die Chance auf einen wirksamen Klimaschutz.“
5 Minuten bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel
Tatsächlich ist das autonome Fahren im Konzept des rot-grünen Senats nicht so sehr für den Privat-Pkw vorgesehen, sondern als Ergänzung des Systems aus Bussen und Bahnen. Im Zuge des Kongresses ging eine selbstfahrende S-Bahn in Betrieb. Die Technik soll es ermögichen, 25 bis 30 Prozent mehr Züge auf der gleichen Strecke verkehren zu lassen.
Autonome Rufbusse und Sammeltaxen sollen in den Randstadtteilen die letzte Meile von der Bushaltestelle oder Bahnstadtion nach Hause abdecken. Unter dem Namen Heat (Hamburg Electric Autonomous Transportation) zuckeln solche Minibusse bereits mit 25 Stundenkilometern durch den neuen Stadtteil Hafencity.
Die Minibusse sollen helfen, den sogenannten Hamburg-Takt zu gewährleisten. Bis 2030 soll jeder Hamburger in fünf Minuten Entfernung ein öffentliches Verkehrsmittel angeboten bekommen, das im Fünf-Minuten-Takt verkehrt. „Solche flexiblen Systeme leiden im Moment noch häufig darunter, zu teuer zu sein“, sagt Stephan Ramesohl vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Autonome Fahrzeuge könnten dieses Problem lösen.
36 Prozent der Wege werden noch mit dem Auto zurückgelegt
Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) wehrt sich gegen den Vorwurf der Pkw-Fixierung: „Wir sehen auf die Logik: Wie kommt man auf dem effizientesten, grünsten und sichersten Weg von A nach B.“ Dazu sei ein integriertes Transportsystem nötig, das auch das Auto nicht ausschließe. Ziel sei es, dass 2030 nur noch 20 Prozent aller Wege in Hamburg per Auto zurückgelegt werden, statt heute 36 Prozent.
Deshalb soll das Projekt Priobike nicht nur anzeigen, wann die nächste Ampel auf Grün springt, sondern sie soll Radlern an ausgewählten Ampeln auch Vorrang geben und Kraftfahrer beim Abbiegen und Spurwechseln vor herannahenden Radfahrern warnen.
Öffentliche Verkehrsmittel sollen immer besser miteinander verknüpft werden. Schon heute lassen sich mit der Switch-App der Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) nicht nur Bus- und Bahntickets kaufen sondern auch Stadträder, Elektroroller und Leihräder buchen. Zudem will der HHV Kunden die Möglichkeit bieten, sich bei ihm einzuloggen und am Ende des Tages nur das für sie sie günstigste Ticket zu bezahlen.
Digitaltechnik ermöglicht es schon heute an vielen Orten in der Stadt, nicht nur Autos zu zählen sondern auch Fußgänger und Radfahrer, um so die Straßen und Wege zu optimieren und besser auslasten zu können. Mit Hilfe der Sensoren können nicht nur Staus erkannt und der Verkehr gelenkt sondern auch Parksuchverkehr vermieden werden. 1.000 Parksensoren sind bereits in Hamburg installiert. Künftig sollen auch Straßenparkplätze mit dem System ausgerüstet werden.
Verkehrssenator Tjarks betont, die Digitalisierung sei kein Selbstzweck sondern ein Mittel, um soziale Ziele zu erreichen, etwa beim Schutz des Planeten. „Wir brauchen die Digitalisierung, um den Klimawandel zu bekämpfen“, sagt der Verkehrssenator. Dahinter steht die Vorstellung, dass ein effizienterer Verkehr auch dem Klima nützen würde. Gegen diesen positiven Effekt muss allerdings der Energie- und Ressourcenverbrauch der digitalen Systeme gerechnet werden.
Effekt erst ab den 2040er Jahren positiv
Das Fraunhofer-Institut hat diesen Effekt unter dem schmissigen Titel „Auto tankt Internet“ für den Thinktank Agora Verkehrswende prognostiziert, dabei allerdings nur den Betrieb des Systems beachtet. Bei einem Szenario, in dem sich Autos nur untereinander und mit dem Wlan in der heimischen Garage vernetzen überwiegt der Gewinn durch die Digitalisierung von Anfang an den höheren Energieverbrauch.
Vernetzen sich Wagen zusätzlich unterwegs mit einer Cloud und der Infrastruktur wird der Effekt irgendwann auch positiv, allerdings erst ab den 2040er Jahren, durch technischen Fortschritt.
Zugleich warnen die Forscher vor einem Rebound-Effekt. Sie sehen die Gefahr, „dass eine unregulierte Einführung automatisierter und vernetzter Verkehrssysteme auf der Straße den ohnehin schon dominierenden motorisierten Individualverkehr noch attraktiver werden lässt und den Öffentlichen Verkehr zunehmend kannibalisiert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!