IS-Prozess in Hamburg: Dem IS den Sohn zugeführt
Prozess gegen Stefanie A., die ihren minderjährigen Sohn als Rekrut nach Syrien gebracht haben soll
Stefanie H. könnte eine Fußballmutter vom Stadtrand sein: blondes Haar in einem kleinen Dutt, Ponyfransen, eher füllig und in einem grauen Sweatshirt. Es ist ihr nicht anzumerken, was sie denkt, nachdem die Fotografen aus dem Gerichtssaal verschwunden sind und sie den Aktendeckel, der ihr Gesicht verdecken sollte, hat sinken lassen. Was sie hört, sind die Erklärungen der Bundesanwaltschaft zum Wesen der Terrororganisationen Dschund al-Aksa und IS, zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Terroranschlägen in Europa. Das ist der abstraktere Teil und dann gibt es einen konkreteren, in dem es um Stefanie A. geht und die Geldbeträge, mit denen der IS ihre Haushaltsführung ermöglicht hat, darum, dass sie ihren Sohn „als Rekrut zur Verfügung gestellt hat“. Nach seinem Tod habe sie den älteren Sohn dazu aufgefordert, sich über den Märtyrertod zu freuen und sei dem IS bis zu dessen Aufgabe treu geblieben.
Noch ist es viel zu früh für Plädoyers, aber A.s Anwalt gibt eine Erklärung ab, die zeigt, in welche Richtung die Verteidigung gehen soll. Die Beweislage sei klar, sagt Martin Heising, der immer wieder IS-Rückkehrerinnen verteidigt hat – aber es seien andere Schlüsse daraus zu ziehen. Stefanie A. habe lediglich ihrem verletzten Ehemann nachreisen wollen, der zudem gar kein Kämpfer, sondern Koch gewesen sei. Dass sie angenommen habe, es sei im Syrien des IS „friedlich“, sei „möglicherweise ein bisschen naiv“, aber eben Ausdruck einer langjährigen Partnerschaft, sagt Heising und benutzt damit ein wiederkehrendes Motiv der Rückkehrerinnen-Verteidigung.
Vor allem aber möchte Heising zeigen, dass die Tatsache, dass Stefanie A. nach dem Tod ihres Sohnes von ihm als „schahid“, Märtyrer, gesprochen hat, nicht für eine „hoch ideologisierte Terroristin“ spreche, sondern für eine Mutter, die versuche, ihre Trauer zu verarbeiten. Als Muslima sei es naheliegend, sich damit zu trösten, dass der Tote an einem besseren Ort sei. Zumal der Begriff auch für Verschüttete stehe, denen der Sohn zu helfen versucht habe. Zudem drücke sich in dem, was Stefanie A. gesagt habe, die „Scham eines Menschen“ aus, der sein Kind an einen Ort gebracht hat, an dem es stirbt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers