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Hotspot Berlin-NeuköllnIrgendwann geht's hier bergauf

„Du musst endlich raus aus Neukölln!“, sagten Freunde. Unsere Autorin aber wohnt gern zwischen arabischen Großfamilien und gestressten Polyamoristen.

Nicht immer nur schön hier: Berlin-Neukölln. Bild: imago/ipon

Jetzt haben wir den Salat. Seit mehr als 15 Jahren muss ich mir anhören: „Zieh doch jetzt mal aus Neukölln aus“, „Da musste jetzt aber langsam auch mal weg!“, „Das ist doch wirklich das Letzte“ und dergleichen. Ich habe es immer abgeschüttelt wie einen Regentropfen, obwohl es schon rough war hier.

Meine Tochter schrieb auf einer Postkarte an den besorgten Großvater: „Also, Opa! Geschossen wird hier nicht!“, was nicht stimmte, denn im Hinterhof wurde geballert; es wurden Drogen verbuddelt, des Nachts liefen Frauen blutüberströmt und kreischend im Hof, die SEKs trampelten treppauf, treppab im Tagesrhythmus, und mehrmals brannte es lichterloh, wenn Hans, der Langzeithippie aus dem Erdgeschoss gegenüber, mal wieder eingeschlafen war, ohne seine Klamotten rechtzeitig vom Allesbrenner zu nehmen.

„Irgendwann geht das hier bergauf“, dachte ich immer, ohne genau zu wissen, was und wen ich damit meinte. Und erlebte staunenden Auges die Karawanen Europas, die hier im Laufe der Jahre Ein- und Durchzug hielten, seit Neukölln kein Arbeiterbezirk mehr sein konnte, weil es gar keine Fabrikarbeit mehr gab, außer bei Reemtsma die Kippen drehen.

Nach den Arbeitern, die Richtung Britz getürmt waren, kamen erst die türkischen Mitbürger, denen Kreuzberg zu teuer geworden war, dicht gefolgt von den arabischen Großfamilien, die sich in der Werbellinstraße ständig gegenseitig die Ohren abschossen. Kaum kamen die halbwegs miteinander aus, zogen die Bosnier her, darauf dann gleich das ganze rumänische Dorf, das in meiner Straße einzog und für neue Stimmung in der Bude sorgte.

Doch ihnen allen erging es nicht schlecht in Neukölln. Alles pendelte sich irgendwie ein, bald besaßen die rumänischen Frauen gebrauchte Buggys, die Kinder Inliner und die Kerle neue Autos. Aufgestört wurde diese bunte, aber wenig kaufkräftige Mischung dann tatsächlich erst unlängst, als Merkels Wirtschaftsflüchtlinge hierherzogen, die Mutti mit ihrer Sparpolitik alle auf die Welt gebracht hat.

Griechische Familien, spanische Studenten, französische Studenten, portugiesische Studenten, alle auf der Suche nach dem verlorenen Glück; deutsche Hipster mit Hund, deutsche Hipster ohne Hund, die Veganer, die Impfgegner, gestresste Polyamoristen und lauter Buggyfrauen aus dem Prenzlauer Berg, die den Scheiß da oben nun auch nicht mehr bezahlen konnten und sich in die Niederungen Neuköllns herabbegeben mussten und als Erstes bei Rewe mit den Ureinwohnern aneinandergesemmelt sind, denn da herrscht eben immer noch der gute alte Umgangston, den man besser beherrscht, wenn man schon hierherzieht. Anders wär’ nämlich schlecht.

Das Haus, in dem der Nazi wohnt

Die Weserstraße, in der noch vor wenigen Jahren eine 19-jährige Schwangere nachts auf der Straße erschossen worden war, ist nun der hippe Hotspot voller Kneipen und Galerien, die auch mal einen Dreier anbieten, wenn’s mit der Kunst nicht so läuft.

Mittlerweile sind zwei der drei Omis aus meinem Erdgeschoss verstorben, nachdem sie über 60 Jahre in diesem Haus gelebt hatten und stets den Niedergang Neuköllns beklagt hatten. Nur noch Frau Albrecht lebt, leider ist sie dement. Sie war früher sehr energisch. Als sich ins Haus ein heimliches Sadomaso-Studio einquartiert hatte, entleerte sie einen Eimer Wasser auf die schwarzen Latex-Uschis der Einweihungsparty, und auch auf „die Ausländer“ hat sie ständig geschimpft, woraufhin ich immer mit ihr geschimpft habe. Heute weiß sie von alldem nichts mehr, was für sie ein Glück ist, denn sie klingelt nun alle Stunde bei den türkischen Nachbarn um Hilfe und hat ihre Abneigung völlig vergessen.

Langer Rede, kurzer Sinn: Eines der letzten wunderbar verkommenen Häuser, in dem auch der Nazi, der Computersüchtige sowie der Freund laut abgespielter italienischer Opern wohnten, ist seit heute Morgen eingerüstet, meine Aussicht wird sich optisch verbessern. Das ist schön. Trotzdem fürchte ich die Verdrängung der bunten Mischung durch die übliche Gentri-Blase, die hier zwar noch eine Weile einen sehr schweren Stand haben wird, aber man weiß ja, wie das läuft. Die klagen sich ihre Ruhe vor Gericht zusammen.

Und ich hoffe, dass ich deshalb nicht doch bald auf die Leute hören muss, die immer gesagt haben: „Also eigentlich musst du da weg.“ Denn für so viele Prenzl-Muttis mit ihren großen Brüsten, absenten Ehemännern und den teuren Buggys sind unsere Bürgersteige gar nicht breit genug.

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