Hooligans bei Fußball-WM: Keine Gewalt!
Hooligan-Krawalle bleiben bei dieser WM aus. Auf der großen Bühne ist für Ausschreitungen kein Platz mehr. Fehlt da was?
Es hat einfach nicht geknallt. Nach dreieinhalb Wochen WM stammt der heftigste dokumentierte Gewaltausbruch vom Vorrundenspiel Argentinien gegen Kroatien: eine Schlägerei am Eingang zum Block, ein Roter liegt auf dem Boden, ein Blauer tritt viermal auf ihn ein und lässt dann von ihm ab. Eine Ordnerin schaut kurz zu, schlendert dann aber weiter. Nicht nett, diese Szene, aber auch nicht richtig gefährlich. Zumindest nicht so gefährlich wie das, was wir uns vor diesem Turnier ausgemalt hatten.
Im Interview mit der BBC kündigten russische Hooligans schon ein Jahr vor dem Turnier ein „Festival der Gewalt“ an. „Russen-Chaoten freuen sich auf aggressives Blutbad“, schrieb im Frühjahr die Bild-Zeitung. Und das ZDF sendete zum Turnierbeginn eine Doku über „die berüchtigtsten Fußballfans Europas“.
Falsch gedacht: Geblutet hat in diesem Turnier nur Sebastian Rudy, nach seinem sportlich zugezogenen Nasenbeinbruch im Spiel gegen Schweden. Bilder testosterongeladener Schläger sind nicht entstanden, stattdessen filmten die Kameras fröhliche Russen mit Perücke und Partylaune. Nach einem Festival der Gewalt sah da nichts aus, die Stimmung erinnerte eher an den ZDF-Fernsehgarten live vom Lerchenberg.
Und das ist kein Zufall: Die Zeit, in der Hooligans die große Bühne bekamen, geht eben vorbei.
Das gilt global, wird in einem autoritär regierten Land wie Russland aber besonders deutlich. Russische Fans berichteten vor dem Turnier über Hausbesuche der Polizei. Besonders berüchtigten Anhängern hätten die Sicherheitskräfte klar gemacht, dass sie sich während der WM nicht blicken lassen sollten – ansonsten könne es schnell ins Gefängnis gehen.
Auch in Deutschland gibt es vor Großereignissen solche Gefährderansprachen, mit denen die Polizei potenzielle Randalierer einschüchtert. Mit so eindrucksvollen Aussichten wie dem Aufenthalt in einer Strafkolonie in Sibirien können deutsche Beamte aber nicht drohen. Wenn es darum geht, kurzfristig für Ruhe zu sorgen, ist der Willkürstaat im Vorteil.
Problemsfans schon vor WM gemeldet
Und damit wirkt er nicht nur nach innen gegenüber den eigenen Hooligans, sondern auch gegenüber denen aus dem Ausland: Dass aus besonders vorbelasteten Fußballnationen wie England und Deutschland relativ wenige Zuschauer zu dieser WM gefahren sind, könnte nicht nur mit den strengen Visabedingungen zusammenhängen (spontane WM-Reisen ohne Eintrittskarte sind nicht möglich), sondern ebenfalls mit der Furcht vor russischen Sicherheitskräften.
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Es wäre aber zu viel der Ehre für den autoritären Staat, die Gewaltlosigkeit nur ihm und seiner Kompromisslosigkeit zuzuschreiben. Gerade bei den großen Turnieren läuft seit Jahren ein Austausch des Publikums ab – weg vom klassischen, organisierten, möglicherweise auch gewaltbereiten Anhänger und hin zu Gelegenheitsbesuchern, Familien und Eventfans.
Das hat zum Teil mit polizeilicher Repression auch in westeuropäischen Rechtsstaaten zu tun. Während Turnieren sind Ausreisesperren gegen polizeilich bekannte Fußballfans die Regel. Vor dem laufenden Turnier übermittelte die Bundespolizei zudem Daten mutmaßlicher Problemfans an die russische Grenzpolizei.
Verändert hat sich aber auch der Charakter der Turniere hin zu immer stärker durchkommerzialisierten Großveranstaltungen. Wer für das laufende Turnier Karten aus dem deutschen Ticketkontingent kaufen wollte, musste als Bedingung zumindest eine Kurzzeitmitgliedschaft im „Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola“ erwerben.
Wer es gewohnt ist, seinen Gruppierungen Namen wie „Nordsturm“ oder „Borussenfront“ zu geben, hat auf solche Marketingspielchen eher keine Lust.
Der Reiz der Gewalt
Kein Wunder also, dass sich gewaltorientierte Zuschauer zurückziehen – primär von den großen Turnieren, aber auch vom professionellen Vereinsfußball, in dem ähnliche Entwicklungen ablaufen. Die Gewalt wird seltener, und wer sich doch noch kloppen will, trifft sich auf Feldwegen und Waldlichtungen oder geht zum Amateurfußball. Dorthin, wo die große Öffentlichkeit die Auseinandersetzungen nicht mehr zu sehen bekommt.
Ob dieser Öffentlichkeit damit nicht etwas fehlt? Nicht falsch verstehen: Reichskriegsfahnen im deutschen Block und Prügelattacken wie die auf den französischen Gendarmen Daniel Nivel bei der WM 1998 dürfen gerne Vergangenheit bleiben. Eine gewisse Faszination übt der Hooliganismus aber doch aus. Warum sonst haben Medien und Popkultur die Figur des Hooligans sonst so vereinnahmt? Filme wie „Football Factory“, „Green Street Hooligans“ und „Gegengerade“ idealisieren ihn, seine Ästhetik (Harrington-Jacke, Burberry-Muster, Stone-Island-Parka) wurde Mainstream.
Es gibt einen Reiz der Gewalt, der das Publikum schaudernd zusehen und den Hooligan selber zuschlagen lässt. Die physische Gewalt, in der modernen Gesellschaft eigentlich streng reguliert, bricht im Moment des Football Riot aus. Nicht vollkommen entgrenzt: Sie beschränkt sich auf den Kontext des Spieltags und wird im besten Fall durch einen Ehrenkodex eingehegt. (Wenn jemand am Boden liegt, ist Schluss; Unbeteiligte werden nicht reingezogen.) Nach genau dieser Kombination, einer reguliert-deregulierten Erinnerung an die archaische Gesellschaft, gibt es offenbar ein gewisses Bedürfnis.
Fragt sich nur, was passiert, wenn das nicht mehr im Rahmen von Fußballspielen befriedigt wird. Sind die Trittbrettfahrer politischer Proteste, die zum Beispiel während des Hamburger G20-Gipfels ganz ohne politische Motive mitrandalierten, so etwas wie die neuen Hooligans? Folgt der Hass auf Internetplattformen wie Facebook dem gleichen Muster wie die Gewalt beim Fußball? Oder verschwindet das Bedürfnis vielleicht ganz einfach, wenn nur keine Gelegenheit mehr bleibt, die Aggression auszuleben?
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