Homosexualität und Psychoanalyse: Zu Ehren Martin Danneckers
Der Sexualwissenschaftler hat viel dazu beigetragen, die Psychoanalyse von ihren heteronormativen Schlacken zu befreien. Eine Tagung widmete sich ihm.
Um es „From A Distance“ (Bette Midler) zu sagen: Dass sich besonders Homosexuelle (mehr die männlichen als die weiblichen), dass sich überhaupt die einst von Magnus Hirschfeld so genannten „sexuellen Zwischenstufen“ um das Thema „Psychoanalyse“ gekümmert haben und diesem anhingen wie keinem anderen, wäre allein schon eine sehr lange therapeutische Kur wert. Mit Sigmund Freud kam die Psychoanalyse in die Welt – und nach ihm war, faktisch, nicht unbedingt theoretisch, diese wichtigste subjektwissenschaftliche Geistes- (und Körper-)Disziplin eine der Abwehr des Homosexuellen.
Freud selbst hat den (Homo-)Sexualreformer Hirschfeld, wie die aktuell erschienene Biographie Manfred Herzers belegt, nicht so recht gemocht, zumal Hirschfeld sich auf das Konzept das Psychischen nicht einlassen wollte. Auch nach Freud ging die Psychoanalyse nur bedingt freundlich mit ihren schwulen oder lesbischen Patient*innen um. Nicht dass diese keinen Gewinn aus den Redekuren gezogen hätten, aber allein schon der Umstand, dass Homosexuelle erst seit jüngerer Zeit sich einer Ausbildung zu Psychoanalytikern unterziehen dürfen und dass sie dies nicht durften, weil Homosexualität als Störung galt, war kein gutes Zeichen.
Wie schade, dass in der psychoanalytical community nie so recht reflektiert wurde, dass gerade Schwule und Lesben und Trans*menschen, sofern sie sich für selbstreflexive Therapieangebote interessierten, die Psychoanalyse verehrten wie kein anderes geisteswissenschaftliches Angebot, um sich mit sich selbst, mit der Umwelt – und insofern mit dem ganzen Leben auseinanderzusetzen. Aber gerade sie sind nie recht willkommen geheißen worden.
Einer, der dies nicht auf sich sitzen lassen wollte, war und ist der während seiner meisten Lebensjahre in Frankfurt am Main am Institut für Sexualwissenschaft arbeitende und lehrende Martin Dannecker, ein Freudianer wie Freund der Kritischen Theorie Theodor W. Adornos.
Vollweiblicher Drag
Er ist im vorigen November 75 Jahre jung geworden, und er sieht nach wie vor großartig aus, streng genommen authentischer denn je: Das hier abgebildete Foto ist derzeit im Schwulen Museum* zu sehen und zeigt Dannecker in jüngeren Jahren im vollweiblichen Drag mit wahnsinnig löwiger Mähne. Danneckers Beitrag zur psychoanalytischen Debatte wird an diesem Wochenende an der Internationalen Psychoanalytischen Universität mit einer von der Subjektwissenschaftlerin Patsy l’Amour laLove kuratierten Tagung gewürdigt.
Es sind Vorträge von der Sexualwissenschaftlerin Sophinette Becker zu erwarten, sie referiert über das Geschlecht in Zeiten der Dekonstruktion – und was von den Geschlechtern übrig bleibt, hat man sie zumindest geistig aus der Welt geschafft; Dagmar Herzog, Historikerin aus New York, spricht über die „bemerkenswerte Beständigkeit der Homophobie in der Psychoanalyse“; Herbert Gschwind skizziert, dass und inwiefern die von Freud rustikal-grob beschriebene Kategorie der Homosexualität mit Phantasmen zu Pädophilie zusammenhängen. Martin Dannecker selbst hält den Auftaktvortrag, lapidar „Zur Lage des Homosexuellen“ betitelt.
Faszinosum Sexualität
Was Dannecker zur Debatte in der freudianischen Community beigetragen hat, ist in diese allerdings kaum, jedenfalls nur unzulänglich eingesunken: Homosexuelle, so seine These, wie sie auch in seinem aktuellen Buch „Faszinosum Sexualität“ zu lesen ist, sind nicht mehr oder nicht weniger unglücklich in der Welt als Heterosexuelle. Was sie unterscheidet, was ihre Differenz zur heteronormativ gewirkten Welt ausmacht, ist die grundsätzliche Unerwünschtheit, die Störung als Person in der Familie.
Mit ihnen ist dynastisch nichts zu haben, sie bringen keine Enkel*innen hervor, sie eignen sich nicht für das Spiel der gemischtgeschlechtlichen Erbschaften. Schwule (und Lesben, zu ihnen kennt Dannecker sich weniger aus) verkörpern in ihren Familien das Andere, das Ungemütlich-Fremde – und deshalb seien sie auch als „gestört“ genommen worden, als Störenfriede elterlicher und großelterlicher Delegationen.
Dabei, schreibt Dannecker, seien jene Menschen, die sich therapeutisch Rat suchen, nur in schwuler (und lesbischer) Hinsicht pathologisiert worden: Die Bitte um therapeutischen Lebenssupport sei missverstanden worden als Bitte um Problematisierung des Homosexuellen selbst. Heterosexuelle hingegen seien in dieser Weise fundamental nicht zur Disposition gestellt worden: Heterosexualität, also die bürgerliche Kernanordnung der traditionellen (aber nicht notwendigen) Geschlechtsanordnung, sei selbst nie auf die Couch gekommen – die Redekur der Heteronormativität, wenn man so will, durfte aus eigener Betroffenheit kaum oder wenn nur stotternd beginnen, ehe sie wieder zum Versanden gebracht wurde.
Glück und Unglück
Das allerdings ist, wie oben angerissen, besonders tragisch, weil die freudianische Psychoanalyse eine geistige Emanzipationsdisziplin ist, gerade für Menschen, die in ihren Herkunftsfamilien eher Unglück fanden denn Lebensermöglichung in einem glückhafter gelingenden Sinne.
Niemand stärker als schwule Männer oder lesbische Frauen kennen diese Gefühle, gern aus einer Familie hervorgegangen zu sein und doch an ihr zu scheitern, weil in Familien für Homosexuelle die allermeisten Zeiten expressis verbis kein Platz sein durfte: Schwul darfst du sein, Sohn, aber eine Frau musst du doch heiraten, sonst werden wir als Familie unglücklich! Das klassische Credo des „Don’t ask, don’t tell“.
Martin Danneckers Kollege und Freund, Reimut Reiche, mit dem er 1974 die Studie „Der gewöhnliche Homosexuelle“ veröffentlichte, schrieb vor Jahren in einem Aufsatz zur Psychoanalyse und Homosexualität, in Zeiten, in denen kein Strafverfolgungsdruck mehr auf Schwulen laste, stehe die Psychoanalyse wiederum unter dem Druck, dass ihre potenzielle Kundschaft, also eben Lesben und Schwule, sich nicht mehr bieten lassen, wenn eine therapeutische Disziplin sie als Gestörte einsortiert: Die psychoanalytische Szene musste sich, mal kalt gesprochen, also umorientieren.
Teil der deutenden Szene
Inzwischen erlauben wenigstens einige psychoanalytische Ausbildungsinstitute lesbische oder schwule Kandidat*innen. Ihr sexuelles Begehren verunmöglicht nun nicht mehr, selbst Teil der deutenden Szene zu werden. Ressentiments gibt es dennoch weiter in Fülle. Kein Wunder. Noch 1980 lehnte Anna Freud, die bis zu ihrem Tode mit Dorothy Burlingham faktisch als lesbisches Liebespaar zusammenlebte, als Tochter Sigmund Freuds die Unterschrift unter eine Petition des Instituts für Sexualwissenschaft zur Abschaffung des damals noch geltenden Paragrafen 175 Strafgesetzbuch ab. Sie denke, schrieb sie den Initiatoren damals, dass es um den Fortbestand der Welt nicht gut bestellt sei, würde man die sexuelle Orientierung gesellschaftlich und juristisch ins emanzipierte Belieben stellen.
Es war natürlich schockierend, das von einer selbst nicht gerade heteronormativ lebenden Prominenten zu hören. Aber so lagen die Dinge damals, und es leben heutzutage noch viele, die vielleicht mehr insgeheim als offen an den ganzen Unfug der gleich„gültigen“ Fülle an sexuellen Begehrens- und Liebesformen nicht glauben.
„Du sollst so sein“
Dass diese Normativität gegen das theoretische Zentrum der Freud’schen Psychoanalyse verstößt, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt. Denn in diesem Zentrum steht der Imperativ: Akzeptiere dich als Person, die du bist, mache dich nicht von einem „Du sollst so sein“, das andere für dich definieren, abhängig.
Martin Dannecker, der alte, schöne, würdige Theoretiker und häufiger auch: Aktivist der schwulen Emanzipation, gefallen die queerfeministischen Neumodischkeiten in der LGBTI*-Szene so gar nicht. Aber was ihm gefallen muss, ist ein Comment in der (homo-)sexualkritischen Forscherszene: dass er wesentlich die Psychoanalyse von ihren heteronormativen Schlacken zu befreien mitbegonnen hat. Seine Attraktivität verdankt sich diesem Kampf, er hat sich tüchtig gelohnt.
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