Homophobie in der Gaming-Szene: Eine Lesbe rettet die Welt
Mit der lesbischen Hauptfigur erzürnt das Videospiel „The Last of Us“ homophobe Gamer. Doch zugleich führt es viele an eine queere Identität heran.
Games können genauso gut fremde Welten kreieren wie Bücher, Filme oder Serien. Dass sie künstlerisch wie kulturell wertvoll sind, ist allerdings weiterhin umstritten. Wohl auch, weil es nur die erfolgreichsten Titel schaffen, außerhalb der Szene wahrgenommen zu werden.
Die Mehrheit der zehn meistverkauften Games für die PlayStation 4 ist nun mal dem Ego-Shooter-Genre zuzuordnen: Egal ob „Call of Duty“ oder „Battlefield“ – es geht immer ums Schießen. Ähnlich monoton sind auch die Hauptfiguren: Fast alle sind weiß, heterosexuell und männlich. Weibliche Figuren sind höchstens eine nette Zusatzvariante und werden von Gamer*innen meist links liegen gelassen und belächelt.
Ja, es gibt durchaus auch Triple-A-Games – diese Kategorie entspricht dem „Blockbuster“ in der Filmwelt –, die ausschließlich Protagonistinnen vorsehen. Lara Croft in der bekannten „Tomb Raider“-Reihe oder Aloy in „Horizon Zero Dawn“ etwa. Selbst im Charakterdesign gibt es Fortschritte: Lara wird auf ihren Abenteuern nicht mehr durch eine überdimensionale Oberweite aufgehalten und darf sich endlich in funktionaler Kleidung durch die Katakomben kämpfen.
Doch sind sie weiterhin einem gewissen blumig-ästhetischen Ideal unterworfen. Großer Bizeps oder auffällige Narben im Gesicht sind, anders als bei männlichen Figuren, immer noch tabu. Da sie den gleichen Strapazen ausgesetzt sind, ebenso wenig vor Schießereien und Messerkämpfen zurückschrecken, Berge erklimmen und kräftezehrende Fußmärsche zurücklegen, ein echtes „plot hole“. Dass eine solche Heldin dann auch noch dezidiert nicht-heterosexuell sein könnte, war lange unvorstellbar.
Homophobe Shitstorms
Da überrascht es nicht, dass das neue Spiel „The Last of Us: Part II“ für Furore sorgt. Im ersten Teil ließ das Entwicklerstudio „Naughty Dog“ die Gamer*innen noch in die Rolle des väterlichen Fanlieblings „Joel“ schlüpfen, seine süße Ziehtochter Ellie stets an seiner Seite. Gemeinsam streiften sie durch die Reste der Zivilisation. Die Ausbreitung eines mysteriösen Pilzes, der infizierte Menschen in eine Art „Zombie“ verwandelt, hat zuvor zu ihrem Zusammenbruch geführt.
In der vor wenigen Wochen veröffentlichten Fortsetzung des Blockbusters übernimmt nun besagte Ellie, mittlerweile 19 Jahre alt, selbst die Hauptrolle – und stellt sich als Lesbe heraus. Mit Rivalin Abby steht ihr gleich noch eine überaus muskulöse Antagonistin gegenüber, die man in etwa über die gleiche Spielzeit hinweg steuert. Letztere kämpft auf ihrer Tour de Force zeitweise an der Seite eines trans* Jungen namens Lev.
Das erhitzt die Gemüter vieler, vor allem männlicher Gamer*innen. Auf Reddit, Twitter, Facebook & Co überschlagen sich Hasstiraden: „Unrealistisch“ seien die Charaktere. Ellie hätte keine glaubhafte charakterlichen Entwicklung durchgemacht, sondern sei das Produkt einer „gezielten politischen Agenda“ der Spielemacher*innen, die sich als „Social Justice Warrior“ dem Zeitgeist anbiedern wollten.
Abby hingegen sähe aufgrund ihrer muskulösen Statur aus „wie ein Mann“, also unerhört unansehnlich. Einige werfen es dem Spiel vor, dass man für Lev und damit für eine trans*-Figur Sympathien entwickle.
Auf „Metacritic“, der wohl wichtigsten Website für Videospielkritiken, versammelten sich die vermeintlich enttäuschten Fans zu einem sogenannten „Review Bombing“, also einer gezielten Negativbewertung des Titels. Schon wenige Stunden nach Veröffentlichung sank das Rating in den Keller, noch bevor die Bewertenden das Spiel durchgespielt haben konnten.
Warum der Hass?
Anfang Juli 2020 landet es dort mit knapp 109.000 Bewertungen bei nur fünf von zehn möglichen Sternen. Bei Medienvertreter*innen erreicht das Game hingegen stolze 94 von 100 möglichen Punkten. Es ist klar, dass es sich weniger um berechtigte Kritik als vor allem um Misogynie, Alltagshomo- und Transphobie handelt.
Doch warum zieht dieses Spiel dermaßen viel Hass auf sich? LGBTQ-Charaktere gibt es schließlich, seit es Videospiele gibt. Wie die Ausstellung „Rainbow Arcade“ des Schwulen Museums in Berlin 2019 zeigte, kamen sie jedoch bis vor Kurzem nur am Rande vor und wurden mit klischeehaften Darstellungen lächerlich gemacht. Mehr Vielfalt findet sich erst seit wenigen Jahren, abseits der großen Blockbuster, unter den Indie-Games, die keinen millionenschwere Vermarktung im Rücken haben und an ein kleineres Publikum gerichtet sind.
Zuletzt erfreute queere Gamer*innen der letzte Teil der „Walking Dead“-Reihe. Zwischen 2012 und 2019 wurden insgesamt vier Spiele zum bekannten Zombie-Comic und Serien-Hit veröffentlicht. Dort steht mit der anfangs 8-, am Ende 17-jährigen Clementine ebenfalls eine toughe weibliche Hauptfigur im Zentrum.
Wie üblich bei Indie-Games, treten Kampfsequenzen gegenüber Dialogen mit verschiedenen Auswahlmöglichkeiten in den Hintergrund, sodass getroffene Entscheidungen und zwischenmenschliche Beziehung teilweise Auswirkungen auf den Spielverlauf nehmen. In der finalen Ausgabe steht es der*dem Spielenden frei, eine Beziehung zu einem Jungen, einem Mädchen oder gar niemandem einzugehen.
Auch die „Life is Strange“-Reihe hatte ein sehr positives Echo in der LGBTQ-Community. Während im Hauptspiel die junge Max mit ihren Superkräften im Zentrum steht, geht es in der Vorgeschichte „Before the Storm“ vor allem um ihre beste Freundin Chloe, eine punkige Skater-Lesbe. Die Story ist zwar ebenfalls interaktiv, die Sexualität kann allerdings nicht verändert werden. Sie ist sogar wesentlicher Bestandteil besagter Vorgeschichte, da es hauptsächlich darum geht, ihrer Partnerin Rachel bei der Suche nach ihrer leiblichen Mutter zu helfen.
Dennoch ist „The Last of Us: Part II“ ein absolutes Novum. Anders als bei Clementine, ist Ellies Homosexualität von Beginn des Spiels an ein wesentlicher Teil der Handlung, nicht nur leicht auszublendende Option. Die Gamer*innen müssen mit Ellie über mehr 20 Stunden in ihre Haut schlüpfen, sich mit ihr fürchten, kämpfen, immer wieder sterben und es gleich noch mal versuchen, bis die Gegner*in endlich besiegt und die Herausforderung gemeistert ist.
Großes Aufklärungs-Potenzial
Ähnlich wie zwischen Leser*innen und einer liebgewonnenen Romanfigur entwickelt sich eine Beziehung, die im Game womöglich noch intensiver durchlebt werden kann. Das nervenaufreibende Setting schweißt nicht nur zusammen. Es führt sogar dazu, sich mit der lesbischen Ellie zu identifizieren.
Das Publikum, das in Ellies Haut schlüpft, ist ein ganz anderes und breiteres als das von Indie-Spielen. Bereits der erste Teil wurde über drei Millionen Mal verkauft – an Spielende, die damals nicht damit rechnen konnten, in der Fortsetzung mit LGBTQ-Themen in Kontakt zu kommen. Nie zuvor mussten sich Shooter-Fans über einen so langen Zeitraum in einen nicht-heterosexuellen Charakter hineinversetzen.
All das macht „The Last of Us: Part II“ zu einem queeren Meilenstein in der Gamingwelt. Während in kleineren Games Vielfalt immer mehr zelebriert wird, ist „The Last of Us: Part II“ ein Prestigetitel, der mit Sony als Publisher ins Herz der Gaming-Szene trifft.
Im Mainstream, wo Homosexualität und ein nicht-stereotypes Frauenbild immer noch anstößig sind, hat das eine hohe gesellschaftliche Relevanz – und ein großes Potenzial, eine breite Masse an queere Identitäten zu gewöhnen.
Trotz der Welle an Hasskommentaren wurde „The Last of Us: Part II“ binnen der ersten 48 Stunden übrigens mehr als vier Millionen Mal verkauft. Nie hat sich ein PlayStation-4-Exklusivtitel derart schnell so gut verkauft. Ellie mag die Erste sein, die Letzte ist sie vermutlich nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld