Homophobe Angriffe beim CSD: Hass, gepaart mit Volksverhetzung
Beratungsstellen sehen in Übergriffen und Schmähungen am CSD eine neue Art queerfeindlicher Gewalt. Sie sei offensiv und teils volksverhetzend.

Angesichts dieser Taten sprechen der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg und das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo von einer neuen Qualität queerfeindlicher Hasskriminalität.
Das Transparent hatten fünf Personen aus einer 15-köpfigen Gruppe heraus am Tag der Christopher-Street-Day-Parade gegen 18 Uhr am Alex befestigt, wie die Polizei mitteilte. Auf einer Fläche von 15 Meter mal 1,5 Metern sei „Homos=Volkstod“ zu lesen gewesen, außerdem die römische Zahl III. Die Polizei geht davon aus, dass die Täter aus dem Umfeld der rechtsextremen Kleinstpartei Dritter Weg kommen. Eine Restaurant-Mitarbeiterin habe das Transparent entfernt.
Im Laufe des Abends soll dann eine 30-köpfige Gruppe vier der Tatverdächtigen am Alexanderplatz verfolgt und mit Glasflaschen beworfen haben. Die vier Personen hätten sich demnach in ein Restaurant geflüchtet, dort habe die Polizei ihre Personalien aufgenommen. Es sei noch unklar, ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Vorfällen gibt.
Grab wieder geschändet
Am Sonntag dann war morgens entdeckt worden, dass Unbekannte das Grab der trans Frau Ella Nik Bayan mit Feuerwehr-Absperrband umwickelt und einen Aufkleber angebracht hatten. Bayan hatte sich 2021 auf dem Alexanderplatz selbst angezündet und war an den Verletzungen im Krankenhaus gestorben. Es ist bereits das sechste Mal, dass ihr Grab geschändet wurde. Der für politisch motivierte Straftaten zuständige Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamtes ermittelt.
Die Polizei meldete darüber hinaus am Wochenende mehrere körperliche Übergriffe mit queerfeindlichem Hintergrund. So wurde in Schöneberg am Samstag ein Mann homophob beschimpft, am T-Shirt gepackt und gewürgt. In Alt-Hohenschönhausen wurden eine Frau und eine trans Frau beleidigt und bespuckt. Am Freitag hatte eine Frau einen Mann in Schöneberg erst aus einem Auto heraus homophob beleidigt und dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Insgesamt hat die Polizei nach eigenen Angaben 64 Straftaten im Zusammenhang mit dem CSD festgestellt, davon zwei Körperverletzungen mit homophobem Hintergrund.
„Jeder Übergriff ist einer zu viel“, sagt Christopher Schreiber, Sprecher des LSVD Berlin-Brandenburg, der taz. Zwar sei die Anzahl der Übergriffe keine auffällige Steigerung, diese bewegten sich im Rahmen der vergangenen Jahre. Anders verhalte es sich dagegen mit dem Banner und der Schändung des Grabs. „Das ist schockierend, das ist Volksverhetzung, und das geht über Hasskriminalität hinaus“, sagt Schreiber. „Das sind Fälle, die wir aus der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem CSD so nicht kennen.“
Runder Tisch gefordert
Aber sie würden durchaus in das Muster von Anfeindungen in diesem Jahr passen: „Wir hören von überall, dass volksverhetzender Hass zugenommen hat, etwa auch in Kommentaren im Internet, da sticht das Jahr 2023 im Vergleich zu anderen klar hervor“, sagt er.
Bastian Finke, Leiter von Maneo, spricht ebenfalls von einer neuen Qualität. Bei Maneo sind sie noch dabei, die Zahlen auszuwerten. Es sei bereits erkennbar, dass deutlich mehr Meldungen von Übergriffen eingegangen seien. Es sei jedoch schwierig, aus dem Meldeverhalten die tatsächlichen Zahlen abzuleiten und auch Vergleiche mit anderen Jahren seien kompliziert. „Wir bemerken aber, dass die Anfeindungen auf der Straße viel offensiver werden“, sagt Finke. Menschen würden teils unvermittelt von Passant*innen beschimpft. „Das macht uns als Beratungsstelle fassungslos.“
Der LSVD fordert eine Landesstrategie sowie einen Runden Tisch zu queerer Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit. Beides ist im Koalitionsvertrag angekündigt. Die Art und Weise, wie in Berlin Zahlen erhoben würden, sei bundesweit vorbildlich. Doch daraus müssten geeignete Konsequenzen gezogen werden.
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