Hoher Repräsentant in Bosnien: Heilsamer Wutausbruch
Dem Hohen Repräsentanten für Bosnien ist der Kragen geplatzt. Gut so – es könnte ein Weckruf dafür sein, was in dem fragilen Land schiefläuft.
A ch Gott, wie sind jetzt alle aufgeregt, weil sich Christian Schmidt bei seinem Wutausbruch („Müll! Kompletter Müll!“) nicht an die diplomatischen Regeln gehalten hat. Zu lange, ja seit Jahrzehnten, haben sich die Diplomaten in Bosnien nicht getraut, Zeichen gegen die Nationalisten zu setzen – und haben damit das Land an den Abgrund gebracht.
Valentin Inzko, der Vorgänger von Christian Schmidt als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, hatte immerhin noch durchgesetzt, dass die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe gestellt werden muss. Auch damals kam die Kritik des undiplomatischen Verhaltens.
Seit einem Jahr versucht Schmidt Ordnung in die Dinge in Bosnien und Herzegowina zu bringen. Das könnte ihm nur gelingen, wenn der gesamte Westen und damit auch die Diplomaten hinter ihm stünden. Russland lehnt ihn und sein Amt ab, Putin hat im Serbenführer Milorad Dodik einen Verbündeten gefunden. Dodik strebt die Abtrennung der serbischen Teilrepubik von Bosnien und Herzegowina an, negiert das Friedensabkommen von Dayton.
Auch die kroatischen Nationalisten wollen den Staat zerstören, stellen sich aus taktischen Gründen aber hinter Schmidt. Sie hoffen noch, dass er sich bei der Wahlrechtsreform in ihrem Sinne entscheidet. Und Bosniaken und Nichtnationalisten waren sich bisher unsicher, ob sie ihm trauen können.
Doch sein Ausbruch hat ihm Sympathien eingebracht. Denn er kritisierte die unfähigen und korrupten einheimischen Politiker scharf. Er hat recht. Die tonangebenden Nationalisten aller Seiten werden nicht in der Lage sein, noch einen Kompromiss für die Zukunft des Landes zu finden. Das weiß auch die Mehrheit der Bevölkerung, die endlich in einem normalen Staat leben will.
Die EU und die USA müssen erkennen, dass man die Nationalisten auch aus strategisch-militärischen Interessen nicht mehr wie bisher gewähren lassen kann. Putin wartet nur darauf, in Bosnien und in Kosovo die Fackel neu zu entzünden. Schmidts Wutausbruch ist so gesehen verständlich. Und könnte sogar heilsam sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass