Wahlen in Bosnien und Herzegowina: Etwas ganz anderes

Am Sonntag wird in Bosnien und Herzegowina gewählt. Eine jüngere Politikergeneration rüttelt dabei an einem Grundprinzip des Bundesstaates.

Bakir Izetbegović winkt seiner Anhängerschaft

Bakir Izetbegović von der dominierenden SDA-Partei im Wahlkampf Foto: Armin Durgut/ap/dpa

SARAJEVO taz | Gestern war er noch da, der Koch in dem Lieblingslokal in Sarajevo. Jetzt ist er weg. „Nach Österreich vielleicht“, sagt die Kellnerin. Sie fühlt sich selbst zu alt, um zu gehen. Inzwischen ist es schwierig geworden, in Sarajevo Handwerker zu finden. Und der Busfahrer, der noch vor Jahresfrist die Gruppe von taz-Reisenden durch das Land chauffiert hat, ist inzwischen mit seiner gesamten Familie und den drei kleinen Kindern nach Fürth umgesiedelt. Er ist mit Kusshand genommen worden. Die Busgesellschaft hat ihm eine Wohnung zur Verfügung gestellt.

Nicht nur die Pandemie hat zu Einschnitten in der Versorgung Bosnien und Herzegowinas geführt. Aus den staatlichen Krankenhäusern sind viele ÄrztInnen und Krankenschwestern verschwunden. Allein im vergangenen Jahr sollen weit über 100.000 Menschen das Land Richtung EU verlassen haben. Das Thema wühlt auf und ist zu einem wichtigen Streitpunkt im Wahlkampf geworden.

Der 50-jährige Edin Forto, der Vorsitzende der sozialliberalen und multiethnischen Partei Naša Stranka (Unsere Partei) erklärte am Mittwoch während einer Fernsehdiskussion: „Wer will schon in einem Land leben, dessen Entwicklung von Nationalisten behindert und blockiert wird?“

Man müsse endlich Perspektiven und gesicherte Verhältnisse für die Menschen im Lande schaffen. Er steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch Sozialdemokraten wie der aufsteigende Politiker Saša Magazinović fordern endlich einen grundlegenden Politikwechsel in dem Land, dessen Entwicklung jahrzehntelang von nationalistischen Parteien dominiert worden ist.

Widersprüchliche Zivilgesellschaft

Magazinović kann nur lachen, wenn der serbische Nationalistenführer Milorad Dodik behauptet, Serben und Bosniaken könnten nicht zusammenleben. Er ist selbst Serbe und wurde in einem von Bosniaken dominierten Stadtteil in Sarajevo 2018 mit großer Mehrheit ins Parlament der bosniakisch-kroatischen Föderation gewählt. Und auch die eher konservative, aber ebenfalls für ein multiethnisches Bosnien eintretende Vorsitzende der bosniakischen Partei „ Narod i Pravda“, (Volk und Wahrheit), Elmedin Konaković, bläst ins gleiche Horn.

Diese drei sind Politiker der sogenannten Troika, der es gelungen ist, bei den Kommunalwahlen vor zwei Jahren die Mehrheit im Stadtparlament gegen die muslimische Nationalpartei SDA zu gewinnen und eine Koalition zu bilden. Die jetzige erst 31-jährige Bürgermeisterin und Sozial­demokratin Benjamina Karić symbolisiert den Politikwechsel durch eine neue, unbelastete, progressive Politikergeneration, die durchaus in der Lage ist, das Schiff Bosnien und Herzegowina in eine neue Richtung zu steuern. Zumindest in den von Bosniaken dominierten Landesteilen, in der auch die Mehrheit der Gesamtbevölkerung Bosnien und Herzegowinas lebt.

Flankiert wird diese Parteienkonstellation durch eine widersprüchliche, aber lebendige Zivilgesellschaft aus Künstlern, Umweltaktivisten und Frauengruppen. Dazu gehören auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Jakob Finci und der Vorsitzende der Roma-Organisation Dervo Sejdić sowie die Bürgerrechtlerin Azra Zornić, die alle drei gegen die bisherige Verfassung beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg ihre Bürgerrechte eingeklagt haben und gewonnen haben. Doch bisher wurden die vor einem Jahrzehnt gefällten Urteile nicht umgesetzt.

Die Zivilgesellschaft und die nicht-nationalistischen Parteien fordern dies und damit einen Bürgerstaat, in dem die individuellen Rechte der einzelnen Bürger gewahrt sind und Diskriminierungen auch beim Wahlrecht wegfallen.

Sie greifen damit scharf das im Abkommen von Dayton 1995 von den Nationalisten durchgesetzte Prinzip der „konstitutiven Nationen“ an, in dem die kollektiven Rechte der Nationen Vorrang vor den individuellen Bürgerrechten haben. Es stehen sich also in Bosnien jetzt klar zwei Verfassungsprinzipien gegenüber, das nationalistische Modell mit all seinen negativen Konsequenzen in Bezug auf Bürgerrechte, Demokratie und Minderheiten und das Modell eines Bürger- und Rechtsstaates.

Für dieses kämpfen jetzt die Troika, die Zivilgesellschaft und noch andere nichtnationalistische Parteien und Gruppierungen. Sie wollen ernsthaft gegen die Korruption der Nationalparteien vorgehen. Die Sozialdemokraten und ihre Bündnispartner haben zumindest in den Gebieten, die von Bosniaken dominiert werden, Aussicht, die bisher herrschende Position der muslimischen Nationalpartei SDA zu erschüttern. Denn die seit Jahrzehnten dominierende SDA (Partei der demokratischen Aktion) ist ins Wanken geraten.

Ihr Vorsitzender, Bakir Izetbe­go­vić, der für das Amt des bosniakischen Vertreters im dreiköpfigen Staatspräsidium kandidiert, und seine Frau Sebija sind ins Zentrum der Kritik vor allem in der Hauptstadt Sarajevo gerückt. Ihr autokratischer Stil, die Verschleierung der Korruption der SDA-Partei, die dubiosen Zeugnisse der Ärztin Sebija Izetbegović, die von ihrem Mann zur Leiterin des einstmals renommierten Kosevo-Krankenhauses gemacht wurde, hat die beiden selbst bei vielen Anhängern in Misskredit gebracht.

Die muslimische Nationalpartei ist zwar niemals wie die kroatischen und serbischen Nationalisten für die ethnisch-nationalistische Aufteilung des Landes eingetreten – sie hat die territoriale Integrität des Landes immer verteidigt –, aber sie ist in den letzten Jahrzehnten viele Kompromisse mit den beiden anderen Nationalparteien eingegangen. Im Dunkel von „schmutzigen politischen Deals“ zwischen diesen Kräften wurden undurchsichtige Geschäfte getätigt zum Vorteil der Parteiführungen. Diese Korruption belastet jetzt die SDA-Partei und damit auch Bakir Izetbegović.

Enormer Mitgliederschwund

Unterstützt wird er allerdings weiterhin von vielen gläubigen Muslimen, die in der Partei immer noch einen Schutzschild für sich selbst sehen. Er profitiert immer noch von dem Ruf seines Vaters Alija Izetbegović, der während des Krieges Präsident eines Landes war, das von serbischen und ab 1993 auch von kroatischen Truppen angegriffen wurde. Alija wollte die damals die nicht besonders religiöse Bevölkerungsgruppe der bosnischen Muslime zu echten Gläubigen erziehen. Das ist ihm auch teilweise gelungen, und das ist die Bevölkerungsgruppe, die nach wie vor zu Izetbegović stehen sollte. Aber auch das ist fraglich geworden.

Denn viele Mitglieder sind in den letzten Jahren ausgetreten. Viele davon wiederum haben sich in der Partei „Narod i Pravda“ (Volk und Wahrheit) organisiert und kämpfen nicht nur in den Städten, sondern auch in den konservativen muslimischen Dörfern gegen die Korruption der SDA und wollen der SDA viele Stimmen wegnehmen. Wenn das gelingt, würde die Troika weiter gestärkt und damit die proeuropäisch-demokratischen Kräfte im ganzen Land.

Auch in der serbischen Teilrepublik tut sich etwas. Denn der für das Präsidentenamt kandidierende Milorad Dodik hat in der Liberalen Jelena Trivić eine ernsthafte Konkurrentin erhalten, die je nach Umfrage mal vor oder hinter ihm liegt. Doch es ist kaum anzunehmen, dass es in Banja Luka einen Umsturz geben wird.

In den kroatischen Kantonen hat die ethno-nationalistische HDZ-Partei unter Dragan Čović alles im Griff. Unwägbar ist allerdings, ob die HDZ Kandidatin in das dreiköpfige Präsidentenamt gewählt wird.

„Alle drei, Čović, Dodik und Izetbegović müssen weg“, fordern nicht nur die Troika und die Zivilgesellschaft. Viele Menschen in Bosnien wollen Veränderungen.

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