Hofnarr-Debatte: Nur eine Beleidigung
Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet den CDU-Politiker Joe Chialo als „Hofnarren“. Rassistisch habe er das nicht gemeint. Genau das werfen ihm seine Gegner vor.
Am Mittwoch berichtete zuerst das Magazin Focus, der Kanzler habe mit dem Berliner Kultursenator Chialo über die Zusammenarbeit der Union mit der AfD gestritten. Scholz habe ihm vorgeworfen, er sei „nicht mehr als ein Feigenblatt“ rassistischer Politik. Wörtlich heißt es im Focus: „Als CDU-Politiker Joe Chialo einwandte, ob er das wirklich so meine mit dem Rassismus der CDU, jener Partei also, in deren Bundesvorstand er sitzt, fuhr Scholz ihn an, er, der Schwarze, sei nicht mehr als ein Feigenblatt.“ Die Worte von Scholz bezeichnete der Focus als „rassistischen Aussetzer“.
Scholz widersprach dieser Darstellung. Er habe Chialo nicht als schwarzen Politiker angesprochen, sondern die in Sachen Zusammenarbeit mit der AfD schweigsamen Liberalen in der Union als Feigenblätter und Hofnarren kritisiert. „Der dabei von mir verwandte Begriff ist im Sprachgebrauch nicht rassistisch konnotiert und war von mir auch nie so intendiert. Der erhobene Vorwurf des Rassismus ist absurd und künstlich konstruiert.“
Empörung bei CDU und FDP
Chialo selbst erklärte am Donnerstag, er habe die Äußerungen von Scholz als „herabwürdigend und verletzend“ empfunden. Nach einem Telefonat mit dem Kanzler am Mittwoch sei die Angelegenheit für ihn aber erledigt. „Scholz bedauerte in unserem Gespräch, dass seine Aussagen als rassistisch verstanden wurden und erklärte, dass er das nicht beabsichtigt habe. Ich habe seine Sichtweise zur Kenntnis genommen. Im Übrigen halte ich Olaf Scholz nicht für einen Rassisten.“
Narrenfreiheit, ohne die gäbe es den Hofnarr wohl nicht. Denn nur ihm, dem Schelm, war Kritik an den bestehenden Verhältnissen am Hofe gestattet – gerne auch in parodistischer Form. Der Hofnarr ist eine historisch überlieferte reale Figur des Hochmittelalters. Sie wissen schon, damals, ab dem 14. Jahrhundert, als beim Bankett gerne Fleisch (am besten Flügel oder Schenkel) mit bloßen Händen verhaftet wurde: Spanferkel am Spieß, Geflügel oder Wild auf Holzbrettern dargereicht. Mittenmang der Hofnarr. Ihm wurde auch späterhin Platz an der Tafel von Fürstenhöfen in ganz Europa gewährt.
Er trägt am liebsten Strumpfhosen, knallbunte Klamotten, Jacke, Knöpfe, Pumphose und ein Dreizackkäppi mit bekloppten Glöckchen. Sind seine Tricks eher wie die eines Possenreißers beim Lustspiel? Oder macht er Hanswurstiaden mit den Umstehenden? Derbe Späße auf Kosten anderer. Ein Hofnarr handelt jedenfalls over the top, er klappert wie ein Kleinkind mit Rasseln oder Tambourin. Er tut so, als sei er doof, ist aber schlau. Gerade ist er noch ein harmloser Witzbold, schon wird er im Absolutismus zum gefährlichen Clown, der dem Herrscher die Gewissheiten sagt, die sich sonst niemand mehr zu sagen traut. Jedenfalls war der Hofnarr früher eher ein Dangerseeker und nicht die lächerliche Schießbudenfigur, die heute gemeint ist, wenn jemand als Hofnarr bezeichnet wird.
Während der Betroffene selbst die Angelegenheit als erledigt betrachtet, kommt aus Union und FDP Empörung. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte am Donnerstag, ihn machten Scholz’ Äußerungen „sprachlos“. Der ehemalige FDP-Fraktionschef in NRW, Gerhard Papke, twitterte: „Wer einen anderen Menschen bösartig rassistisch beleidigt, kann nicht Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sein“.
„Inhaltlich ist die Äußerung nicht rassistisch“
Josephine Apraku, Autor*in und Trainer*in für rassismuskritische Bildungsarbeit, sagte der taz: „Inhaltlich ist die Äußerung von Scholz nicht rassistisch.“ Seine Kritik an Joe Chialo sei berechtigt. Das von Scholz verwendete Wort „Hofnarr“ sei aber unpräzise. Denn ein Hofnarr habe historisch die Funktion gehabt, Herrschaftsverhältnisse gefahrlos zu kritisieren. Chialo würde aber gerade nicht seine Partei kritisieren.
Apraku kritisiert auch die Politik Chialos als Berliner Kultursenator, der massive Kürzungen im Kulturbereich durchgesetzt habe. Solche Maßnahmen würden den Rechtsruck verstärken: „Es ist erwiesen, dass sich rechte Ideologien umso leichter verbreiten, je ungleicher eine Gesellschaft ist. Dazu trägt der ungleiche Zugang zu Ressourcen wie Kultur oder Bildung bei.“
Union nutze gängige Abwehrstrategie
In der Inszenierung des Falles nutze die Union eine gängige Abwehrstrategie von Menschen, denen Rassismus vorgeworfen wird: „Wir können gar nicht rassistisch sein, weil wir selbst jemanden in unserer Gruppe haben, der von Rassismus betroffen ist“. Es sei auffällig, dass dieser Fall so kurz nach der Abstimmung der Union mit der AfD hochgekocht sei. Ironisch sei, dass ausgerechnet Scholz, der selbst „im großen Stil abschieben“ wollte, Chialo vorwirft, sich für rechte Politik einspannen zu lassen, so Apraku.
Scholz zeige in seiner Sprache und dem Umgang mit dem Vorfall, dass er sich noch nicht intensiv mit Rassismus auseinandergesetzt habe. „Rassismus muss strukturell betrachtet werden: Wir alle sind nicht völlig frei davon“, sagt Apraku. Wir alle kämen regelmäßig mit rassistischem Gedankengut in Berührung und haben einen Teil davon verinnerlicht. „Wenn Scholz sich damit auseinandergesetzt hätte, wäre er differenzierter mit dem Vorfall umgegangen.“
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