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„Höhere Benzinpreise berühren die Wähler stärker“

Wahlforscher über die Auswirkungen der CDU-Spendenaffäre: Moralische Fragen sind vielen Bürgern weniger wichtig als Wirtschaftspolitik – bis zu einer gewissen Grenze

Die CDU-Spendenaffäre wird der Union auf jeden Fall kurzfristig schaden. Doch wie sich der Spendenskandal längerfristig auswirkt, muss sich noch zeigen. Dies ist die Ansicht von Wahl- und Meinungsforschern in Deutschland.

Die Spendenaffäre gefährde einen Wahlsieg der CDU in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, meinte Matthias Jung, einer der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim, gegenüber der taz. In der mittel- und langfristigen Perspektive käme es darauf an, ob Helmut Kohl oder der Union tatsächlich Fälle von Korruption nachgewiesen werden könnten oder ob es „nur“ bei einer Verletzung der Transparenzpflicht im Rahmen der Parteienfinanzierung bleibe. Die Spendenaffäre habe durchaus eine neue Qualität, so Jung. Dies ergebe sich schon allein aus der Person Kohls, der schließlich Bundeskanzler war. Zudem sei offenbar das gesamte Finanzgebaren der CDU in den vergangenen Jahren gesetzeswidrig abgelaufen. Jung schränkte ein, dass durch die Spendenaffäre „zwar Normen verletzt worden sind, Gesetze, alles, was demokratietheoretisch geboten erscheint“. Aber es seien nicht unmittelbar ökonomische Interessen der Bürger tangiert worden.

„Eine Benzinpreiserhöhung, eine Steuerreform berührt die Wähler stärker und nachhaltiger in ihren ökonomischen Interessen. Die moralische Empörung über eine Spendenaffäre kann hingegen schneller verklungen sein“, sagte Jung. Wahlentscheidungen fielen vor allem aufgrund der „individuellen wirtschaftlichen Interessenlage“ der Wähler. Jung erwartete, dass die Bürger, die sich von der CDU abwendeten, sich eher für die SPD oder gar FDP entschieden, als in die Masse der Nichtwähler abzuwandern.

Der Meinungsforscher Richard Hilmer vom Institut infratest dimap sagte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, mittlerweile verliere die CDU auch Stammwähler, die vermehrt zur FDP gingen.

Dafür, dass radikale Parteien wegen der CDU-Affäre zulegen könnten, gebe es aber keine Anzeichen, so Hilmer. Es sei auch nicht feststellbar, dass sich die Leute von der Politik innerlich abkehrten. Das Interesse sei vielmehr sehr groß, gerade in Schleswig-Holstein. Dort wird am 27. Februar der neue Landtag gewählt.

Ob andere Parteien längerfristig von der CDU-Affäre profitieren könnten, hänge davon ab, wie überzeugend die CDU ihr Führungsproblem löse, so Hilmer. Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa glaubte, dass eher alle Parteien vom Spendenskandal beschädigt würden.

Die befragten Meinungsforscher erwarteten eher nicht, dass der Spendenskandal schon eine Vorentscheidung auf die Bundestagswahl 2002 sei. Hilmer verwies auf die Bereitschaft vieler Bürger, schnell von einer Partei zur anderen zu wechseln.

Wie viele CDU-Mitglieder in den vergangenen Wochen aus der Partei ausgetreten sind, darüber konnte die Bundesgeschäftsstelle der Partei in Berlin gestern keine Auskunft geben. Aus den Bezirksverbänden kamen unterschiedliche Trendmeldungen. Im CDU-Bezirksverband Mittelhessen seien im Januar etwa 20 Mitglieder ausgetreten, und zwar meist ausdrücklich wegen der Spendenaffäre, erklärte Bezirksgeschäftsführer Heinz-Peter Haumann in Gießen. Im Gegenzug gab es zehn Neueintritte. Der gesamte Bezirksverband zählt 11.000 Mitglieder.

„Es sind bei uns sogar Leute eingetreten, die erklärten, sie wollten der CDU in dieser schwierigen Lage helfen“, schilderte Heinz-Jürgen Engberding, Geschäftsführer im CDU-Bezirksverband Rheinhessen-Pfalz. In drei Kreisverbänden mit insgesamt rund 3.500 Mitgliedern habe man seit Mitte Dezember zehn Neuanmeldungen registriert, aber nur vier Mitglieder wegen der Spendenaffäre verloren. Auch in anderen Bezirksverbänden seien Neueintritte registriert worden.

Barbara Dribbusch

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