Hochwasser in Niedersachsen: Deichrisse, Evakuierung und Kritik
Das Weihnachtshochwasser hat Niedersachsen weiter im Griff. Auch wenn der Dauerregen erst einmal aufgehört hat, gibt es noch immer keine Entwarnung.

Und eine wirkliche Entwarnung kann immer noch niemand geben. Zwar hat der ergiebige Dauerregen nachgelassen, aber für die kommenden Tage, auch rund um Silvester, sind weitere Regenfälle angesagt.
An den großen Talsperren, vor allem der zu mehr als 100 Prozent gefüllten Innerstetal- und Okertalsperre, sowie am überfüllten Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden im Landkreis Northeim kämpfen die Mitarbeiter des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) darum, möglichst wenig und möglichst kontrolliert Wasser abzulassen – um nicht zusätzlich eine Flutwelle in den dahinterliegenden Flüßen zu produzieren, erklärt NLWKN-Direktorin Anne Rickmeyer.
Ablassen müssen die Talsperren das Wasser aber unbedingt, weil sie ihre Kapazitätsgrenzen längst erreicht haben. Dass es so schwer zu kalkulieren sei, wann das Wasser dann tatsächlich wo genau ankomme, sagt Rickmeyer, liege an der derzeit schwierigen Gesamtmengelage. Im Gegensatz zu 2017 sind diees Mal viel mehr Gebiete in Niedersachsen betroffen. Die Böden sind wegen des Dauerregens nicht mehr aufnahmefähig, nicht nur die großen Flüsse, sondern auch Zuflüsse und Unterläufe führen zu viel Wasser – wo diese Wassermassen aufeinander treffen und wohin sie sich dann ihren Weg bahnen, ist schwer vorrauszusagen.
Deshalb gibt es neben den schwer betroffenen Landkreises eben eine ganze Reihe von Ortschaften, an denen sich die Lage zuspitzt, auch weil Dämme aufweichen.
Deichriss am Fluss „Wörpe“
Im Bremer Vorort Lilienthal etwa kam es am Mittwochnachmittag zu einem Deichriss am Fluss „Wörpe“. Einsatzkräfte evakuierten den Bereich, Anwohner wurden laut Auskunft der Gemeinde in eine Notunterkunft gebracht. Zuvor war wenige Straßen weiter bereits die Strom- und Gasversorgung ausgefallen, die Gemeinde empfahl den Menschen, bei Freunden und Verwandten eine Unterkunft zu suchen. Die Keller der Häuser sollten nicht mehr betreten werden.
Im Bremer Stadtteil Borgfeld, der an Lilienthal grenzt, war das Wasser des Flusses „Wümme“ ebenfalls übergetreten. Bewohner mussten das betroffene Gebiet verlassen, die Feuerwehr holte ältere Menschen aus den Häusern.
In Rinteln konnten 100 evakuierte Bewohner mittlerweile in ihre Häuser zurückkehren. Die Feuerwehr hat in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ein neuartiges Hochwasserschutzsystem installiert, um den aufgeweichten Damm zu entlasten. Die Weser ergießt sich hier aber immer noch als breiter Strom mitten durch die Stadt und steht bis auf den Hof der Feuerwehrzentrale.
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) schwebt ein
Dort schwebte am Mittwochnachmittag Innenministerin Daniela Behrens (SPD) ein, um sich ein Bild der Lage zu machen, genauso wie an den Hotspots in Braunschweig und Celle. Für sie kommt es auch darauf an, zu überprüfen, ob die Bemühungen den Katastrophenschutz auf Landesebene besser zu verzahnen, dem Stresstest standhalten. „Wir haben ja durchaus einiges investiert – auch in die Bereithaltung von Fahrzeugen und Gerätschaften – was beim Ringen um Haushaltsmittel ja auch nicht immer ganz einfach ist“, sagt Behrens.
An ihrer Seite macht sich Bürgermeisterin Andrea Lange (Parteilos) allerdings schon Sorgen um das Danach. „Wir müssen auch darüber reden, wie wir die Schäden, die hier jetzt entstanden sind, wieder beseitigen“, sagt sie. Erst im vergangenen Sommer habe sie in Hameln die Hochwasserpartnerschaft für die Weser-Anrainer unterzeichnet. „Aber die fünf Millionen, die in diesem Topf sind, werden nicht reichen, wenn Sie bedenken, dass es von hier bis Minden jetzt gerade so aussieht“, sagt sie zu der Ministerin und deutet auf den Bildschirm hinter sich, auf dem Bilder aus dem Polizeihubschrauber in Endlosschleife laufen: Nichts als überschwemmte Felder und Straßen. Behrens nickt: „Ich nehme das mit.“
Kurz bevor die Ministerin kam ist Lange zusammen mit dem örtlichen Landtagsabgeordneten Constantin Grosch außerdem vom Inhaber eines Gärtnereibetriebes abgepasst worden, der den Tränen nahe war. Große Teile der Gärtnerei stehen schon unter Wasser, seine Maschinen und Geräte sind gefährdet, erzählt er, dazu eine Warenlieferung im Wert von einer Viertelmillion Euro. „Wenn es dann nachher Hilfsgelder in Form von Krediten gibt, nutzt mir das nichts. Ich arbeite 70 Stunden in der Woche und zahle mir selbst 1.600 Euro Gehalt im Monat aus – ich kann nicht noch einen Kredit stemmen.“ Dabei habe er schon vor Monaten darauf aufmerksam gemacht, dass die vorgesehene Regenmulde in der Nähe seines Geländes ausgebaggert werden müsste.
Kritik an Hochwasserschutzplänen wächst
Auch an anderen Orten wächst die Kritik daran, dass Hochwasserschutzpläne zu langsam umgesetzt würden. Im Landkreis Hildesheim beispielsweise, der schon 2017 arg betroffen war, fehlen immer noch Regenrückhaltebecken. „Möglicherweise müssen wir uns Gedanken darum machen, ob auch hier Planungsbeschleunigungen wie bei den LNG-Terminals greifen müssten“, sagt die Sprecherin der Staatskanzlei, Anke Pörksen, in der Landespressekonferenz. Aber das greife eben auch sehr tief in Eigentumsrechte ein.
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