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Historischer Prozess gegen ÖlkonzernSie wollten in Ruhe Öl fördern

Ein schwedischer Konzern soll in Sudan Beihilfe zu Kriegsverbrechen geleistet haben. Gebiete wurden entvölkert, Tausende bombardiert und erschossen.

Ian Lundin und Alex Schneiter, Angeklagte im historischen Prozess Foto: Roger Turesson/DN/picture alliance

STOCKHOLM taz | Es ist der umfangreichste Gerichtsprozess der schwedischen Justizgeschichte: Die Staatsanwaltschaft wirft zwei Funktionären des Ölkonzerns Lundin-Oil vor, bei schweren Kriegsverbrechen in Sudan Beihilfe geleistet zu haben, um selbst ungehindert Ölvorkommen auszubeuten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wertet den Prozess als „historisch“. Das Verfahren beginnt an diesem Dienstag vor einem Bezirksgericht in Stockholm, angeklagt sind Alex Schneiter, der ehemalige CEO, und Ian Lundin, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Unternehmens.

Durch die Distanz und schwierige Beweislage waren die Ermittlungen für den Prozess aufwändig. Vor Ort konnte sich die Staatsanwaltschaft kein Bild machen. Zudem galt es die Rechtslage zu klären. Die Taten liegen mehr als 20 Jahre zurück.

In den Jahren zwischen 1997 und 2003 haben Schneiter und Lundin mutmaßlich dazu beigetragen, dass das damalige sudanesische Regime schwere und systematische Verbrechen gegen das Menschen- und Völkerrecht beging. So haben die beiden laut Anklage die Ölaktivitäten ihres Konzerns im Süden des Landes gesichert.

Lundin-Oil war ab 1991 in Sudan aktiv. 1997 schloss sich der Konzern mit drei anderen zu einem Konsortium zusammen: mit der Petronas Carigali Overseas aus Malaysia, der österreichischen OMV Sudan Exploration und der sudanesischen Sudapet. Gemeinsam schlossen sie ein Abkommen mit der sudanesischen Regierung, um die Ölvorkommen in einem Gebiet auszubeuten, das etwa 30.000 Quadratkilometer umfasst. „Block 5A“ wird die Region in der südsudanesischen Provinz Western Upper Nile genannt, sie liegt an der Grenze zu Nordsudan. 30.000 Quadratkilometer, das ist in etwa so groß wie das Bundesland Brandenburg.

Mit Militärs und Milizen

Diese Gegend sei vor dem Auftauchen der Ölkonzerne vom Bürgerkrieg in Sudan noch weitgehend verschont geblieben, sagt die Staatsanwaltschaft. Aber mit Aufnahme der Ölexplorations- und Ölförderaktivitäten durch Lundin-Oil wurde sie zu einer der am schwersten umkämpften Regionen.

Der Zusammenhang sei offensichtlich, heißt es in der Anklageschrift: Lundin-Oil habe von der sudanesischen Regierung eine „Säuberungsaktion“ gefordert, um die ungehinderte Ausbeutung der Ölvorkommen zu sichern. Sudans Regierung habe dann ganze Gebiete entvölkert, durch Zwangsräumungen der lokalen Bevölkerung und Zerstörung von Dörfern.

Dabei habe Khartum das sudanesische Militär und alliierte Milizen eingesetzt – die brutal vorgingen. Es habe „systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung“ gegeben, darunter Bombardierungen aus Transportflugzeugen. Menschen seien wahllos aus Hubschraubern erschossen worden.

Zehntausende Menschen seien vertrieben, verletzt und getötet worden. 12.000 Menschen, schätzt die Anklage, seien in der Region von „Block 5A“ getötet worden: „Ganze Dörfer und die Ernten wurden niedergebrannt, damit die Menschen nichts mehr zum Leben hatten.“ In der Folge sei aber ein ungehinderter Förderbetrieb möglich gewesen. Die Staatsanwaltschaft bewertet die Beteiligung des Ölkonzerns Lundin-Oil an den völkerrechtswidrigen Militäraktionen als strafbare Beihilfe zu Kriegsverbrechen. Das rücksichtslose Vorgehen des Militärs und der Milizen sei den Angeklagten bekannt gewesen und von ihnen in Kauf genommen worden.

Für den Prozess steht bereits ein konkreter Zeitplan. Die vorgesehene Dauer wäre ein Rekord: Gegen die beiden ehemaligen Firmenchefs soll vom 5. September 2023 bis zum 19. März 2026 verhandelt werden. Der bisher längste Prozess in der schwedischen Justizgeschichte dauerte ein Jahr.

Allein für das Vorlegen der Beweise hat die Staatsanwaltschaft 23 Tage geplant. Danach sollen die Verteidigungsteams 50 Verhandlungstage lang Zeit haben, dazu Stellung zu beziehen. Insgesamt will das Gericht 95 KlägerInnen und ZeugInnen vernehmen. Im Mai 2024 sollen die Anhörungen der 32 KlägerInnen beginnen und bis Dezember dauern. Anschließend sollen die beiden Verdächtigen vernommen werden.

Zwölf Monate, vom Januar 2025 bis zum Januar 2026, hat das Gericht allein für die Anhörung von ZeugInnen vorgesehen. Dann können Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Februar und März 2026 abschließend ihre Plädoyers halten.

Kontakte in die Politik

Doch damit ist der Prozess voraussichtlich noch nicht am Ende: Abhängig vom Urteil des Gerichts wird erwartet, dass entweder die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung Berufung einlegen. Der Prozess könnte sich dann noch um einige Jahre ziehen. Ein endgültiges Urteil würde vermutlich erst ab 2028 vorliegen.

Als ZeugInnen hat das Gericht mehrere Experten und politische Persönlichkeiten geladen. Zum Beispiel den Historiker Douglas Johnson, den ehemaligen Direktor für afrikanische Angelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat der USA, John Prendergast, oder die EU-Sonderbeauftragte für das Horn von Afrika, Annette Weber. Auch Gerhart Baum, der ehemalige deutsche Innenminister, sowie der ehemalige schwedische Ministerpräsident und Ex-Außenminister Carl Bildt stehen auf der Liste.

„Die Ereignisse in Sudan waren außer­gewöhnlich“

Olof Björnsson, Swedwatch

Brisant: Bevor Bildt 2006 Schwedens Außenminister wurde, war er seit 2000 Vorstandsmitglied bei Lundin. Baum war zwischen 2001 und 2003 UN-Beauftragter für die Menschenrechte in Sudan. In einem Interview sagte er, er habe Carl Bildt, der die dortigen Ölaktivitäten als Friedensprojekt verteidigte, persönlich aufgefordert: „Ihr gießt Öl ins Feuer, ihr müsst da raus! Die Ölförderung ist eine Bedrohung für den Frieden.“

Auch abseits der ZeugInnen sind bekannte Namen am Prozess vor dem Bezirksgericht beteiligt. Die KlägerInnen vertritt anwaltlich unter anderem der ehemalige schwedische Justizminister Thomas Bodström. Zu den Verteidigerteams gehört der britische Jurist Steven Kay, der schon den bosnischen Serben Duško Tadić und den kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta in internationalen Strafverfahren verteidigt hat.

Im Zentrum der Beweisfrage steht, inwieweit die Kriegsverbrechen begangen wurden, um Platz für Lundin-Oil zu schaffen, und welche Rolle das Unternehmen durch seine Kontakte mit den sudanesischen Behörden dabei spielte.

Wie gut das gelingt, ist trotz der langen Ermittlungsgeschichte nicht abzusehen. Die reicht bis in den Juni 2010 zurück. Dass sie damals eröffnet wurden, geht maßgeblich auf die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zurück. Die hatte schon 2000 die Publikation „Sudan: The human price of oil“ veröffentlicht. Genauso wie das NGO-Bündnis „European Coalition of Oil in Sudan“ (ECOS), das Augenzeugenberichte und andere Beweise mit Einzelheiten zu den fraglichen Kriegsverbrechen sammelte und 2010 unter dem Titel „Unpaid debt“ publizierte.

Für die schwedische Staatsanwaltschaft erschwerte in den elf Jahren die Ermittlung, dass sie keinen Zugang zum Sudan oder Südsudan hatte und Tatorte nicht besuchen konnte. 2018 berichteten Medien, ZeugInnen aus Südsudan und Nachbarländern würden bedroht. Im November 2021 wurde Anklage erhoben. Die zugehörigen Akten umfassen mehr als 80.000 Seiten. Der Fall ist komplex, die Beweisfrage schwierig.

Angeklagte bestreiten alles

Sowohl Ian Lundin als auch Alex Schneiter weisen jegliche Vorwürfe zurück. Der Lundin-Konzern, der Sudan mittlerweile verlassen hat, entgegnet der Anklage auf einer umfangreichen Website: Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien „schockierend falsch“. Das Unternehmen habe in Wirklichkeit der Zivilbevölkerung in Sudan geholfen, behauptet der Konzern. „Wir sind überzeugt, dass unsere Aktivitäten zum Frieden und zur Entwicklung in Sudan beigetragen haben“, heißt es in einem offenen „Brief an die Aktionäre“. Von Kriegsverbrechen habe man nichts gewusst.

Alex Schneiter, der weder schwedischer Staatsbürger noch in Schweden ansässig ist, bestritt außerdem die Zuständigkeit eines schwedischen Gerichts. Ein Einwand, der den Prozessbeginn um fast ein Jahr verzögerte.

Allerdings hat Schweden das Universalitätsprinzip bei Kriegsverbrechen anerkannt. Seine Justiz kann solche Verbrechen unabhängig vom Tatort oder der Staatsangehörigkeit von Opfern oder Tätern verfolgen. Den Einwand Schneiters verwarf der Oberste Gerichtshof des Landes im November 2022 entsprechend.

Möglich ist zudem, dass Lundin als kriminelles Unternehmen eingestuft wird. Dann könnten alle finanziellen Straftatvorteile eingezogen werden. Die Staatsanwaltschaft beziffert den geschätzten Gewinn, den das Unternehmen Orrön Energy (vormals Lundin Energy) mit dem zwischenzeitlichen Verkauf der Geschäfte von Lundin-Oil gemacht hat, auf umgerechnet 201 Millionen Euro.

Seitens der südsudanesischen KlägerInnen werden auch Schadenersatzansprüche erhoben. Während auf die strafrechtlichen Vorwürfe schwedisches Recht anwendbar ist, gilt für die im Rahmen dieses Verfahrens mitverhandelten zivilrechtlichen Ansprüche einheimisches Recht.

Internationale Konzerne werden selten wegen Mitschuld an groben und systematischen Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt. „Überall auf der Welt gibt es unglaublich schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten“, sagt Olof Björnsson von Swedwatch, einer NGO, die untersucht, inwieweit Unternehmen internationale Menschenrechts- und Umweltkonventionen respektieren: „Aber die Ereignisse in Sudan waren außergewöhnlich, wir sprechen hier von schätzungsweise 12.000 Toten und 170.000 Vertriebenen.“

„Seit den Nürnberger Prozessen von 1949 ist kein großes, börsennotiertes Unternehmen mehr wegen internationaler Verbrechen angeklagt worden“, konstatiert die niederländische Friedensorganisation PAX: „Der Lundin-Prozess sendet ein deutliches Signal an internationale Unternehmen, dass es keine Straffreiheit für internationale Verbrechen gibt.“

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