Historikerstreit um Bundeswehr-Kaserne: Fliegerheld und strammer Nazi
Muss die Rotenburger Lent-Kaserne umbenannt werden? Bislang blieben wesentliche Fakten über den Kampfflieger unberücksichtigt.
Der Stadtrat hatte sich bereits im vergangenen September dagegen ausgesprochen, also lange bevor die Enttarnung des Neonazi-Offiziers Franco A. eine Debatte um die Traditionspflege der Bundeswehr auslöste. Das Kommunalparlament bat die Ministerin, dass der Wehrmachts-Jagdflieger Helmut Lent weiterhin Namensgeber der Kaserne bleiben möge. Auch die rund 1.000 Soldaten des in der Kaserne stationierten Jägerbataillons 91 hatten in einer Abstimmung beschlossen, den Namen ihrer Kaserne nicht zu ändern. Der Elitepilot der Luftwaffe und Träger des Ritterkreuzes Helmut Lent sei von der NS-Maschinerie für die Propaganda missbraucht wurden, hieß es.
Wieder entdeckte Aussagen von und über Lent legen eine andere Beurteilung nahe. Nach Kriegsende im Herbst 1945 würdigt Lents Witwe Lena ihren gefallenen Mann in einem „Lent Erinnerungsbuch“ als Hitler-treuen Offizier, der mit Kampfeinsatz in der Luft und mit Durchhalteparolen die NS-Terrorherrschaft mittrug. Zum Überfall auf Polen am 1. September 1939 wird er direkt zitiert: „Jeder von uns weiß, daß heute ein schicksalsschwerer Abschnitt Weltgeschichte beginnt, der nicht mit Worten und auf Papier, sondern mit Blut geschrieben wird“, heißt es dort. Jeder habe dazu beizutragen, „dass das deutsche Volk vor der Geschichte bestehen kann, daß Deutscher Fliegergeist im neuen Glanze erstrahlt, daß des Führers große Hoffnung auf seine Luftwaffe nicht enttäuscht wird“.
Das Buch, von dem ein Exemplar im niedersächsischen Landesarchiv in Stade einsehbar ist, dokumentiert zudem einen Brief von Lent an „Die Herren Kommandeure“ vom 18. August 1944: „Die wirksamste Belehrung ist selbstverständlich eine Fahrt durch die zerstörten Städte“, so Lent. Die Besatzung, die dann noch nicht wüsste, was sie zu tun hätte, sei feige und müsse „ausgerottet“ werden. „Für uns bleibt als logischer Schluß nur die eine Antwort, daß wir in leidenschaftlicher und fanatischer Weise bis zum letzten Blutstropfen kämpfen“, schreibt er. „Denken wir auch immer daran, daß sich eine Kapitulation oder ein unwürdiger Friede mit der deutschen Ehre nicht vereinbaren lässt.“
Prädikat „ungeeignet“
„Zur Identitäts- und Sinnstiftung oder als Wertelieferant ist Helmut Lent ungeeignet“, sagt deswegen der grüne Kommunalpolitiker Marc Andreßen, der in einer Initiative für die Umbenennung der Kaserne aktiv ist.
1936 war Lent als freiwilliger Offiziersanwärter in die Luftwaffe eingetreten. Er erhielt für 100 Nachtabschüsse am 31. Juli 1944 die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern. Am 5. Oktober 1944 startete er in Stade und verunglückte bei der Landung in Paderborn. Beim Staatsbegräbnis am 12. Oktober in Stade führte Generalmajor Max-Josef Ibel aus: „Sein Glaube an den Sieg und unsere gerechte Sache war felsenfest und ist gerade in den letzten schweren Monaten nur fester geworden. Dieser Glaube lag begründet in seiner heißen Liebe zur Heimat und seiner unübertrefflichen Treue zum Führer und seiner Sache.“ In einem Nachruf anlässlich des Staatsaktes in Berlin einen Tag zuvor würdigte Reichsmarschall Hermann Göring Lent: „Unser Lent war ein begeisterter Soldat, ein harter und zäher Kämpfer, ein strahlender Held. Er war aber nicht nur Soldat, nicht nur Kämpfer, er war auch ein leidenschaftlicher Anhänger unserer nationalsozialistischer Weltanschauung.“
Gutachten „verschleiernd“
In einem Gutachten des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr vom 28. Januar 2016 heißt es, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass „Lent unter Verzicht auf ideologische Feindbilder gekämpft“ hätte. Eine Beurteilung aus dem Jahr 1941 wird zitiert, die hervorhebt, dass Lent „fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung“ stehe und „auch in der „Lage sei, nationalsozialistisches Gedankengut weiterzugeben“. In der privaten Todesanzeige fehlten aber die „üblichen Floskeln“ wie „für Führer, Volk und Vaterland gefallen“, möglicherweise auf Lents eigenen Wunsch. Das Fazit des Gutachtens: „Mit aller Vorsicht“ könnte nicht „lückenlos“ festgestellt werden, ob Lent „nicht für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus reklamiert“ werden könnte, „sehr wahrscheinlich“ war er „auch kein ‚Nazi‘ im eigentlichen Sinn“.
„Das Gutachten ist verschleiernd“, sagt dazu Michael Quelle, bei der Linken im nahen Stade aktiv. „Es hat viele Unzulänglichkeiten und entlarvt sich dadurch als Bemühung, den Kasernennamen beibehalten zu können.“ Bezeichnend sei auch, dass ein umfangreicheres, Lent-kritisches Gutachten aus dem Jahre 2004 lange zurückgehalten und erst kürzlich den Kreistagsabgeordneten zugänglich gemacht worden sei.
Darin heißt es etwa, Lents militärische Beurteilungen „deuten auf ein gegebenenfalls aktives Rollenverständnis im systemkonformen Sinn hin, die über seine ohnehin schon dafür erbrachten engeren militärischen Leistungen hinausreichten“. Das „Erinnerungsbuch“ seiner Witwe spiegele „ungebrochen Führergläubigkeit und Verabsolutierung des Militärischen, des Kampfes wider“.
Auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion, inwieweit die Durchhalteparolen aus dem Erinnerungsbuch bei der Bewertung der Person Lents berücksichtigt wurden, antwortet das Bundesverteidigungsministerium (BVMg) diplomatisch: „Das BMVg hat die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen.“ Schließlich ist das Ziel, in Einvernehmen mit den untergeordneten Einheiten Kasernen umzubenennen. Zwar hatte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kürzlich auch erklärt, Lent sei als Namensgeber für die heutige Bundeswehr nicht mehr „sinnstiftend“. Ein „abschließendes Votum“ steht nach Angaben des Ministeriums jedoch noch aus, man sei aber im „intensiven Dialog“. Ein Konflikt mit den Untergebenen scheint unvermeidlich.
Auch der Kreistag dürfte sich am Mittwoch auf die Seite der Lent-Befürworter schlagen: Der Kreisausschuss hatte mit 7:4 Stimmen empfohlen, die Kaserne nicht umzubenennen.
Demo für die Umbenennung der Lent-Kaserne: Dienstag, 16.30 Uhr, Lent-Kaserne
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland