Hintergründe zur Roten Flora: Streit um ehemaliges Schnäppchen
Rote Flora: Die Geschichte eines Spekulationsobjekts. Auf welcher Rechtsgrundlage und von wem könnte es geräumt werden?
Der Konflikt um das seit 24 Jahren besetzte autonome Stadtteilzentrum Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel hat wieder an Brisanz gewonnen. Denn der Besitzer Klausmartin Kretschmer hat inzwischen mit dem Immobilienberater Gert Baer einen Global Player an seiner Seite und mit einer US-Investmentfirma einen neuen Partner.
Eigentlich schien Kretschmer Anfang des Jahres schon als insolvent abgeschrieben. In Verhandlungen mit dem SPD-Senat um das Rückkaufsrecht 2010 hatte er für die Immobile noch fünf Millionen Euro verlangt. Neun Jahre zuvor, 2001, hatte er sie für 370.000 D-Mark vom rot-grünen Senat unter der Vorgabe gekauft, das Areal als Kulturzentrum zu erhalten. Der SPD-Senat war jedoch nur bereit, 1,2 Millionen Euro für den Verkehrswert als Stadtteilzentrum zu berappen.
Um Kretschmer, der immer wieder mit Räumungs- und Krawallszenarien die Öffentlichkeit aufschreckte, den Wind aus den Segeln zu nehmen, brachte der Bezirk Hamburg-Altona interfraktionell einen neuen Bebauungsplan auf den Weg, der die besetzte Flora festschreibt.
Doch unmittelbar vor Ablauf der Widerspruchsfrist stellten Kretschmer und Baer im Oktober einen Bauvorantrag, das Areal zu einem Stadtteil- und Veranstaltungszentrum mit einer Konzerthalle für bis zu 2.500 Besucher umzubauen. Ein ähnliches Projekt gab es schon 1987, als das Varieté-Theater Flora für das „Phantom der Oper“-Musical vorgesehen war und am Widerstand der Region scheiterte – die Geburtsstunde der Roten Flora. Gleichzeitig kündigten beide an, gegen den neuen Bebauungsplan bis zum Europäischen Gerichtshof zu klagen.
Seitdem lassen Kretschmer und Baer keine Gelegenheit der medialen Provokation aus. So stellten sie Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gegen die HipHop-Gruppe Fettes Brot und verlangten von der Polizei das Konzert in der Roten Flora zu verhindern. Öl ins Feuer gossen sie auch unmittelbar vor der Demonstration am Samstag, indem sie die Nutzer aufforderten, das Gebäude bis zum 20. Dezember zu räumen. Andernfalls werde ein Nutzungsgeld von 25.000 Euro monatlich angemahnt.
Den Vorstoß von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz vor wenigen Tagen, die Rote Flora für den damaligen Verkaufspreis zurücknehmen zu wollen, verschmähte das Duo noch als „Aprilscherz“. Über ein neues Angebot, das dem aktuellen Wert der Immobilie näher kommt, könnte Scholz allerdings noch mal nachdenken. Kai von Appen
Staat, Macht und Geld
Wann darf ein Eigentümer seine Immobilie räumen lassen? Und wann muss der Staat ihm helfen? Überlegungen zu Eigentum und Allgemeinwohl:
Ein Eigentümer kann gekündigte Mieter und Hausbesetzer nicht einfach so von der Polizei entfernen lassen. Er muss den Weg über die Gerichte gehen, die seinen Anspruch prüfen – und mögliche Gegenansprüche der Leute, die sich in der Immobilie aufhalten. Erst wenn der Eigentümer einen gerichtlichen Räumungstitel in der Hand hat, kann er die Räumung auch tatsächlich durchsetzen. Zuständig ist dafür ein Gerichtsvollzieher, der bei Bedarf die Polizei um Unterstützung bitten kann.
Wenn Klausmartin Kretschmer, der Eigentümer der Roten Flora, darauf besteht und erfolgreich durch alle Instanzen zieht, muss die Polizei das Gebäude am Ende räumen. Ein Verzicht aus Rücksicht auf den Stadtfrieden und zur Vermeidung gewalttätiger Auseinandersetzungen ist nicht dauerhaft möglich. Ein Polizeieinsatz muss jedoch stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Das heißt die Polizei darf nicht „mit Kanonen auf Spatzen schießen“. Das könnte dazu führen, dass in einer konkreten Situation ein Polizeieinsatz zur Räumung abgebrochen wird, um eine Straßenschlacht mit vielen Verletzten zu verhindern.
Im Einzelfall kann es auch zu einem „polizeilichen Notstand“ kommen. Die Polizei kann einen Räumungseinsatz mangels ausreichender eigener Kräfte verschieben, etwa weil zum geplanten Termin gleichzeitig noch ein Fußballspiel zu sichern ist. Der Widerstand kann aber nur punktuell den Verzicht auf Räumung rechtfertigen. Grundsätzlich muss die Polizei beim nächsten Versuch mit ausreichenden Kräften und Ausrüstung vor Ort sein, um die Räumung durchsetzen zu können. Bei Bedarf können Einheiten der Bundespolizei oder aus anderen Bundesländern angefordert werden.
Dazu gibt es letztlich auch keine Alternative. Der Staat verlangt vom Eigentümer, dass er sein Recht nicht mit einer Privatmiliz durchsetzt, sondern das staatliche Gewaltmonopol akzeptiert. In der Folge muss der Staat dann das Recht aber auch tatsächlich durchsetzen. Da das Eigentum ein schwaches Grundrecht ist, kann der Staat dem Eigentümer über Bebauungspläne und baurechtliche Veränderungssperren jedoch allerlei Beschränkungen auferlegen. Im Interesse des „Allgemeinwohls“ sind sogar Enteignungen möglich – wenn der Eigentümer sein Grundstück für ein Projekt von öffentlichem Interesse nicht freiwillig verkaufen will. Auch darüber könnte der Senat nachdenken. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin