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Hilfe für Menschen in Af­gha­nistanVerantwortung oder Zynismus

Sven Hansen
Kommentar von Sven Hansen

Humanitäre Gründe sollten ausreichen, den notleidenden Menschen zu helfen. Der Westen ist mitverantwortlich für die Katastrophe in Afghanistan.

Straßenszene in Kabul, Oktober 2021: Das humanitäre Argument rechtfertigt allein die Nothilfe Foto: Zohra Bensemra/reuters

N icht nur die Machtübernahme der Taliban hat das Desaster der westlichen Interventionspolitik in Afghanistan offensichtlich gemacht. Auch die dort weiter eskalierende humanitäre Katastrophe zeigt, dass es trotz hochbezahlter internationaler Ex­per­t*in­nen mit Milliardensummen nicht gelungen ist, dort in zwei Jahrzehnten wirtschaftliche Perspektiven aufzubauen. Gestärkt wurde vor allem die lokale Korruption.

Deshalb möchten manche in Politik und Öffentlichkeit Afghanistan und ihre eigene Verantwortung jetzt am liebsten vergessen. Doch Wegschauen, die Af­gha­n*in­nen komplett den Taliban auszuliefern und die Menschen allein dafür verantwortlich zu machen, wenn viele jetzt verhungern, ist verlogen. Es geht nicht nur um die humanitäre Verantwortung, Menschen in Not zu helfen, sondern eben auch um die Mitverantwortung westlicher Staaten für die Katastrophe.

Es geht um das schlichte Überleben von Menschen, die zum Spielball nationaler wie internationaler Politik und deren Versagen wurden. Klar ist: Es wird wieder Milliarden kosten, weil es jetzt laut UN eben auch 27 Millionen Menschen betrifft. Die Taliban haben sogar zugestimmt, dass die Nothilfe im Gesundheitsbereich über NGOs erfolgt. Jetzt nicht zu helfen, wäre menschenverachtend und eine zusätzliche Bestrafung der Kinder, Frauen und Männer in dem Land, wo die Taliban die Macht erobert haben.

Das humanitäre Argument rechtfertigt allein die Nothilfe. Doch werden gern zwei Argumente hinzugefügt, die an das vermeintliche Eigeninteresse westlicher Bevölkerungen appellieren: Je erfolgreicher Afghanistan mittels Nothilfe stabilisiert wird, desto weniger Flüchtlinge werden „zu uns“ kommen und desto weniger wird der terroristische sogenannte Islamische Staat (IS) vom dortigem Elend profitieren und „auch uns“ gefährden. Beide Argumente sind nicht völlig von der Hand zu weisen.

Doch wer diese Krücken benötigt, um von der Notwendigkeit humanitärer Hilfe überzeugt zu werden, ist zynisch und eher Teil des Problems als seiner Lösung.

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Sven Hansen
Auslandsredakteur (Asien)
Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin
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11 Kommentare

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  • Der Westen ist MITverantwortlich?!



    Der Westen ist hauptverantwortlich.



    Nicht die Chinesen haben die Taliban gezüchtet. Nicht die Russen haben eine schwache und korrupte Regierung installiert. Und es waren und sind die Saudis, die die Ausbreitung des reaktionärsten Form des Islam weltweit gefördert haben. Also unsere lieben und engen Verbündeten.

    • @eremit:

      Wen meinen Sie mit " der Westen ist hauptverantwortlich"? Ich erinnere mich schwach, dass seinerzeit auch linke Medien die Terrorherrschaft der Taliban beklagt hatten, nachdem sie das erste Mal Afghanistan mit ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit beglückt haben. Die westlichen Invasoren haben sich wohl in ihrer 20 jährigen Anwesenheit bis auf die Knochen blamiert mit ihrem Versuch, eine zutiefst patriachalische und korrupte Gesellschaft zu modernisieren. Aber die Hauptverantwortlichen für das totale Desaster sind meiner Meinung die sogenannten afghanischen " Eliten", die Abermilliarden an Hilfsgeldern aus dem Westen lieber in den Metropolen der Welt investiert haben, als sie dem eigenen Volk zugute kommen zu lassen.

  • "Gestärkt wurde vor allem die lokale Korruption."

    Wird sie das nicht immer, war die lokale Korruption in Mali vor den Jihadisten nicht sogar viel besser?

    Ich stimme dem Autor aber zu: Afghanistan benötigt Hilfe und diese Hilfe muss bei den Menschen landen. Das wird das Regime stärken. Daran kann kein Zweifel bestehen und indirekt wird Pakistan dann auch profitieren. Aber es sollte passieren. Trotzdem, aber nicht ohne jede Bedingung. Und Hilfe wird nicht dazu führen, dass weniger Menschen flüchten. Vielleicht wird sie die Flucht sogar erst wieder ermöglichen. Auch darüber sollte man sich im Klaren sein.

    Widersprechen will ich der These, dass es genug Expertise zu Afghanistan gegeben hat. Das glaube ich nicht. Wissenschaftlich wird dieses Land von Islamwissenschaftlern, Iranisten, Historikern, Politologen, Entwicklungsökonomen und -politologen bearbeitet, teilweise gehört es zur Zentralasienkunde. Ob diese Disziplinen gut miteinander arbeiten und ob es wirklich in Deutschland viele Afghanistan-Experten gibt? Bei der Stiftung Wissenschaft Politik kann ich keinen finden, vielleicht gibt es trotzdem jemanden, aber ich glaube nicht, dass es auf dieser Welt wirklich viele Experten für dieses Land gibt.

    Und damit liegen m.M. gar nicht so viele Forschungsarbeiten und Ergebnisse vor, die sich verwerten lassen.

    Bis jetzt geht es wohl nur um eins: Die strategische Tiefe von Pakistan, einer Atom-Macht, die unter mächtigem außenpolitischen Druck steht und die Afghanistan von Indien los und es selber als Rückzugsgebiet und befreundetes, islamistisches Land haben will. Das ist einer der Hauptfaktoren, warum Afghanistan wieder gekippt ist. Die Taliban kommen aus Pakistan, dort formieren sie sich und sie bringen keine Entwicklungsidee für Afghanistan mit, nur den Islam und eine harte Herrschaft.



    Wer Schiit oder Hazara oder beides oder Zentralasiate ist, der hat keine guten Karten bei diesen Machthabern. Deswegen muss Hilfe schon überlegt gegeben werden.

  • Es gibt keine eigene Verantwortung des Westens den ohne das Eingreifen wären die Strukturen vor Ort auch nicht besser. Möglicherweise hat der Einsatz die Situation vor Ort nicht verbessert, er hat ihn jedoch auch nicht verschlimmert. Alles was es gab war ein Traum, der halt geplatzt ist.

    Insoweit sollte humanitäre Hilfe nicht mit irgendeiner Verantwortung verknüpft werden.

    • @DiMa:

      Ich finde auch heute nicht die richtigen Worte, um meine tief empfundene Verachtung, Schande und Trauer für diesen mörderischen, menschenverachtenden Angriffskrieg auszudrücken.

      Den Sieg trägt letztlich Bin-Laden davon, der ganz bewusst in ein bis an die Zähne bewaffnetes Wespennest stach, um mit einer Klappe die Destabilisierung der gesamten Region, das Aufblühen diverser Terrorgruppen und die Überdehnung des US-Imperiums zu initiieren – auch wenn er nachher Fischfutter wurde. Das alles war exakt die Absicht.

      Das ist die schmerzhafte Wahrheit dieses Krieges der Dummheit gegen die Menschlichkeit. Namentlich die Menschlichkeit der ungezählten zivilen Opfer. Aber auch unsere eigene.

      Ich kann deshalb nachvollziehen, weshalb die USA in Teilen der Welt bis heute als "der Teufel" gilt. Und auch der deutschen Politik kann vieles vorgeworfen werden. Etwa dass – statt Ortskräfte zu evakuieren – bis zuletzt noch dorthin abgeschoben wurde. So etwas ist nicht einfach nur ein "Fehler".

    • @DiMa:

      Ich möchte Sie fragen, wo bleibt das Eingeständnis für die sogenannten westlichen Werte? Und was wird aus den Menschen, die man befreien und denen man Demokratie und Sicherheit bringen wollte? Nun haben die radikal-fundamentalistischen Taliban wieder das Heft des Handelns in die Hand genommen. Und hier stehen unfähige Politiker*innen bei Fuß für die Vasallendienste der USA gegnüber. Afghanistan war eine völkerrechtswidrige Besetzung. Um Humanität ging es nie! Unvergessen bleibt der Satz des ehemaligen Verteidigungsminsiters Peter Struck... "Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt." Unsere Sicherheit, unser Wohlergehen...In diesem Sinne: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ (Molière)

      • @Struppo:

        Mit "Eingeständnis für sogenannte westliche Werte" sind Sie bei mir falsch. Da müsste ich erst googlen. Das ist leeres Politikersprech.

        Und nur weil man jemandem etwas gutes tun wollte, was dann aber nicht geklappt hat, hat man doch keine wie auch immer geartete Verantwortung.

        Und was Molière übersieht ist, dass so eine Verantwortlichkeit für das "nicht tun" nur gegeben sein kann, wenn eine sogenannte Garantenstellung besteht. Da ist die moderne Rechtswissenschaft zum Glück etwas weiter. Ansonsten wären wir im Ergebnis für alles verantwortlich.

        • @DiMa:

          "Eingeständnis für sogenannte westliche Werte"...war zynisch von mir gemeint. Und es ging doch nie um "Und nur weil man jemandem etwas gutes tun wollte"...Sie haben meinen kritischen Kommentar nicht verstanden.

          • @Struppo:

            Bitte entschuldigen Sie. Für Zynismus bin ich angesichts andauernd revolvierender Quarantänen meiner Kinder momentan viel zu müde.

  • Ein logischer Fehler. Je mehr Nothilfe für Afghanistan mobilisiert wird, desto mehr wird der Islamische Staat (IS) daran verdienen. Ändern im für uns gewünschten Sinn wird sich nichts. Würde das Procedere 'unvoreingenommene Hilfsmittelzuweisung' greifen, haben wir 20 Jahre effektives Zeitfenster dazu sinnlos vergeudet. Die Kosten für 20 Jahre Afghanistan Fehlschlag sind zur Hilfsmittel Vergeudung demnach hinzuzurechen.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    "Gestärkt wurde vor allem die lokale Korruption."



    Und der Drogenhandel.

    Wie man politisch so einen kompletten Unsinn im Gefolge der US-Ameriakaner anrichten kann, ist schon bemerkenswert.



    Uneingeschränkte Solidarität (Schröder) - nie wieder!