Hilfe für Aktivist*innen: Klima-Angst essen Seele auf
In Hannover haben die „Psychologists for future“ zum ersten Mal zum Klimacafé geladen. Sie bieten einen geschützten Raum für Wut, Angst und Trauer.
Nun ist – auch in der taz – schon viel darüber geschrieben worden, inwieweit die Klimakrise auch eine psychologische Krise ist: Angefangen bei der enormen Verdrängungsleistung, die es braucht, um den Ernst der Lage zu verkennen, über die „Klima-Angst“ der Jugendlichen, die mit den Folgen leben müssen, bis hin zu den Auswirkungen, die die sich zuspitzenden Konflikte in Folge des Klimawandels unweigerlich auf die mentale Gesundheit haben werden.
Beim Klimacafé geht es aber vor allem um diejenigen, die sich schon engagieren oder es gern würden. Am ersten Abend besteht die Gruppe ungefähr je zur Hälfte aus Aktivist*innen diverser Gruppen und aus Menschen, die sich Gedanken machen, aber keiner festen Gruppe angehören. Auch altersmäßig ist das Spektrum ziemlich groß und reicht von Jugendlichen bis hin zu „Grandparents for future“.
Sie alle sitzen in einem großen Stuhlkreis in dem ansonsten eher kargen Seminarraum. Die Initiatorinnen haben für Tee und Kekse gesorgt, Kerzen und Naturmaterialien wie Moos, Tannenzapfen und Rinde in die Mitte gelegt, um zumindest ein wenig anschaulich und fühlbar zu machen, worum es hier ja immerhin auch geht.
Raum für leisere Gefühle
Er sei nur hier, weil seine Frau ihn mitgeschleppt habe, sagt Hans-Olaf Zintz augenzwinkernd. Als Ingenieur würde er sich grundsätzlich als Kopfmenschen beschreiben. Aber wie die Meisten hier kennt er eben auch das frustrierende Gefühl, allein auf weiter Flur zu stehen – zum Beispiel auf der Arbeit. Die wenigsten können sich den Luxus leisten, sich ausschließlich unter Gleichgesinnten zu bewegen.
Frust, Ärger und Wut über die Ignoranz ihrer Umwelt hätten in der Sitzung erst einmal viel Raum eingenommen, berichtet eine andere Teilnehmerin. Wobei die beiden Initiatorinnen darauf achteten, dass nicht herumdiskutiert wurde. „Es geht hier nicht darum, Lösungen zu diskutieren, Ratschläge zu erteilen oder noch einen drauf zu setzen“, sagen Krimmer und Gerhardt. Deshalb gilt zum Beispiel ein striktes Unterbrechungsverbot.
Sowohl in den Zweiergesprächen zum Aufwärmen zu Beginn als auch im großen Stuhlkreis, in dem die weiteren Gespräche geführt werden, soll ein achtsamer Umgang miteinander gepflegt werden.
Es gehe darum, diese Gefühle einfach einmal zuzulassen, zu teilen, gemeinsam auszuhalten, auch wenn sie unangenehm sind, sagen die Psychologinnen. Das Wahrnehmen und Anerkennen verhindere, dass sie sich andere Ventile suchen, sich destruktiv auswirken, politische Diskussionen heillos vergiften.
Im Idealfall lege das Aussprechen und Teilen auch das frei, was dahinter liegt: Auf das Aufwallen von Wut und Frust folgten die leiseren Gefühle von Angst, Trauer und Erschöpfung, irgendwann aber auch so etwas wie Dankbarkeit, Verbundenheit und Stärkung.
Es habe sie erstaunt und berührt, wie sehr sich auch die männlichen Teilnehmer, die ja oft anders sozialisiert sind, geöffnet und verletzlich gezeigt hätten, sagt Viola Leisner, die ebenfalls am Gesprächskreis teilgenommen hat. Und das, obwohl sich die meisten untereinander vorher gar nicht kannten.
Ob sie sich wiedersehen, ist auch ungewiss. Das Klimacafé versteht sich als offenes, niedrigschwelliges Angebot, das man je nach Bedarf einmal im Monat aufsuchen kann, erklärt Monika Krimmer. Es diene dazu, die Widerstandsfähigkeit, die Resilienz zu stärken, wieder ins Handeln zu kommen, ergänzt Andrea Gerhardt.
Teil eines weltweiten Netzwerkes
Die beiden stützen sich dabei auch auf das Buch „Klimagefühle. Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln“, geschrieben von den Gründerinnen des deutschen Zweiges der „Psychologists for Future“, Lea Dohm und Mareike Schulze. Eine Gruppentherapie ist das Klimacafé allerdings nicht.
International gebe es solche Angebote schon seit 2015, promotet und vernetzt unter anderem vom ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, sagt Krimmer. Wobei der Veranstaltungstyp variiere – es gebe auch Klimacafés, die stärker mit Vorträgen arbeiten, dem sachlichen Input und der Vernetzung dienten. In Hannover möchten sie aber lieber weiter vor allem psychologische Rückendeckung anbieten.
Nächste Termine: 23. 5. und 22. 6., 19 Uhr, Pavillon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos