Hetzkampagne in Polen wegen Arte-Film: Im Fernsehen nach Feinden suchen
Die polnische Rechte stößt sich an einem Arte-Film über Róża Thun. Die Politikerin wird mit Nazi-Kollaborateuren verglichen.
Für den Film „Polen vor der Zerreißprobe. Eine Frau kämpft um ihr Land“ in der Arte-Reihe „Re:“ hatten sie und ihr Team die polnische Europaparlamentarierin Róża Thun auf einigen ihrer Reisen durch den Wahlkreis Kleinpolen begleitet, in dem auch Thuns Heimatstadt Krakau liegt. Im Fokus stehen Begegnungen mit den Wählern: Welche Sorgen haben Polen fernab der Hauptstadt?
Als Reaktion wurden sowohl die Journalistin Dittert als auch die Protagonistin Thun auf Twitter bedroht. Doch nicht nur das, der Vizepräsident des Europaparlaments, Ryszard Czarnecki, verglich Dittert mit der Nazi-Regisseurin Leni Riefenstahl. Seine Parlaments-Kollegin Thun stellte Czarnecki mit polnischen Judenverrätern und Nazi-Kollaborateuren im Zweiten Weltkrieg auf eine Stufe. Kurz darauf startete auch Polens Staatsfernsehen TVP eine Hetzkampagne gegen die „Verräterin“. Thun – mit vollem Namen Róża Maria Barbara Gräfin von Thun und Hohenstein – habe an einem „antipolnischen Film“ mitgewirkt.
„Das ist unfassbar“, sagt Thun, die den langen Nachnamen ihres Mannes nie benutzt. „Ich habe in dem Arte-Film meine Meinung gesagt, so wie ich es auch in den polnischen Medien tue. Und plötzlich gelte ich als Verräterin und Nestbeschmutzerin, nur weil ich diese Meinung auch im europäischen Ausland vertrete?“, sagt die Politikerin, die Mitglied der liberalen Partei „Bürgerplattform“ ist.
Sie erwäge, gegen Czarnecki rechtlich vorzugehen – entweder in den EU-Gremien gegen ihn als Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments oder vor polnischen Gerichten. Diese haben allerdings durch die umstrittene Justizreform vor Kurzem ihre Unabhängigkeit verloren. Ob dort also ein fairer Umgang mit dem Fall zu erwarten wäre, ist fraglich.
Von Feinden umstellt
Der Vorwurf der Propaganda ist auch deswegen absurd, weil in der Reportage auch immer wieder Vertreter der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu Wort kommen, allen voran der Parteichef Jarosław Kaczyński, aber auch ein PiS-Bürgermeister und ein PiS-naher Priester in der Provinz, zudem Tomasz Sakiewicz, der Chefredakteur der nationalistischen Gazeta Polska.
Der Film dokumentiert wichtige politische Ereignisse wie den monatlichen Gedenkmarsch in Warschau, den die PiS für die 96 Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk am 10. April 2010 ausrichtet. Im Flieger saß Lech Kaczyński, der damalige Präsident Polens. Sein Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczyński, der Parteichef der heutigen Regierungspartei, pflegt seit diesem Ereignis Verschwörungstheorien: Polen sei von Feinden umstellt.
Betend laufen Polen mit Kerzen hinter Kaczyński her. „Niemand wird uns seinen Willen von außen aufzwingen“, poltert der PiS-Chef von einem Podest. „Selbst wenn wir in Europa am Ende vollkommen isoliert sind, dann wird das eben so sein. Unser Sieg ist nahe.“ Demonstranten hinter den Absperrungen, die Kaczyński vorwerfen, Polen in einen Polizeistaat verwandeln zu wollen, werden festgenommen und angezeigt, obwohl ihre Demonstration legal ist.
Methode der gesamten rechten Presse
Später im Film behauptet Gazeta-Polska-Chefredakteur Sakiewicz in seinem Büro: „Bis 1989 war Polen ein von der Sowjetunion besetztes Land. […] Ihre Nachfolgerin ist heute die EU, die nicht akzeptieren will, dass wir uns selbst regieren wollen.“ Czarnecki unterschlägt, dass auch diese Stimmen im Film vorkommen. Das hat, wie die Nazi-Vergleiche, Methode in der gesamten rechten Presse.
Mit Äußerungen wie „Einst hatten wir die Judenverräter, heute haben wir Róża Thun“ dürfte Czarniecki dieses Mal allerdings zu weit gegangen sein. Denn noch ist die polnische Kollaboration mit den Nazis beim Völkermord an den Juden ein Tabuthema. Ist ein kritisches Gespräch mit einer deutschen Journalistin in heutiger Zeit der Nazi-Kollaboration polnischer Judenmörder im Zweiten Weltkrieg gleichzusetzen? Darüber wird sich auch die polnische Gesellschaft zu verständigen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels