Herkunft von Tatverdächtigen: Presserat lockert Kodex
Der Presserat erlaubt, die Herkunft mutmaßlicher Straftäter*innen zu erwähnen. Die neue Regel gilt bei „begründetem öffentlichen Interesse“.
Der Deutsche Presserat gestattet Medien künftig, die Nationalität von Straftäter*innen zu nennen. Der Presserat ist eine Art Ethikkommission des deutschen Journalismus und rügt Medien, wenn sie gegen die Verhaltensregeln verstoßen, die im Pressekodex stehen.
Am Mittwoch änderten die Mitglieder des Presserats die Regeln für die Kriminalitätsberichterstattung. Bislang formulierte der Pressekodex, dass „für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug“ bestehen muss, damit Merkmale wie Nationalität oder Ethnie erwähnt werden dürfen. Laut der neuen Regel dürfen sie auch erwähnt werden, wenn Journalist*innen „ein begründetes öffentliches Interesse“ wahrnehmen.
Allerdings sollen Journalist*innen darauf achten, „dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt“. Geblieben ist außerdem der Satz „Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
Anlass für die Richtlinie war nicht Kriminalität
Nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2015 in Köln hatten einige Leser*innen und Fernsehzuschauer*innen kritisiert, dass Medien die Herkunft der Verdächtigen nicht genug thematisiert hätten. Im vergangenen Frühjahr hatte der Presserat entschieden, die alte Formulierung zunächst zu behalten, das Thema allerdings zu überprüfen. Trotzdem hatten viele Medien begonnen, punktuell Nationalität oder auch den Aufenthaltsstatus in die Berichterstattung einzuschließen.
Die Sächsische Zeitung hatte im Sommer öffentlich verkündet, ab jetzt immer die Nationalität von Verdächtigen und Täter*innen zu nennen. Die taz hat sich weiterhin an den Pressekodex gehalten.
„Die Formulierung „begründbarer Sachbezug“ ist eine sperrige, juristische Vokabel“, kommentierte Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb halte er die Präzisierung, wie der Presserat sie vorgenommen habe, für völlig richtig. Allerdings forderte der DJV-Vorsitzende vom Presserat eine „Sammlung von Leitsätzen“ aus der Praxis. „So etwas muss es auf jeden Fall noch geben“, sagte Überall. Die Materie sei kompliziert.
Die Richtlinie zur Diskriminierung stammt von Anfang der 1970er Jahre. Anlass war damals nicht Kriminalität: Medien hatten regelmäßig die Hautfarbe von US-Soldat*innen genannt, was diese als diskriminierend empfanden. Daraufhin wurde die Richtlinie eingeführt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist