Hennig-Wellsow über das Thüringer Chaos: „Taktieren bis zum Rücktritt“
Rot-Rot-Grün will jetzt schnellstmöglich eine neue Regierung wählen, sagt die Thüringer Linkspartei- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow.
taz: Frau Hennig-Wellsow, haben Sie sich inzwischen von dem Schock vom Mittwoch erholt?
Susanne Hennig-Wellsow: Davon kann man sich nicht so schnell erholen. Auch wenn wir uns die größte Mühe gegeben haben, die Nerven zu behalten und handlungsfähig zu bleiben, war das doch ein tiefgehender Schock für uns als Demokraten und Parlamentarier. Dass die FDP und die CDU in Thüringen so skrupellos den Pakt mit dem Faschismus eingegangen sind, hätten wir nie erwartet.
Nach seiner Wahl haben Sie Thomas Kemmerich einen Blumenstrauß als „Gratulation“ vor die Füße geworfen, weil Sie die Einhaltung des Protokolls nach solch einem Tabubruch nicht für angemessen hielten. Hat sein Rücktritt Sie jetzt wieder etwas versöhnt?
Nein, überhaupt nicht. Er hat den Tabubruch vollzogen, das ist unverzeihlich. Wir wissen alle nicht, was das noch für Auswirkungen auf andere Bundesländer oder die Bundesrepublik als Ganzes hat.
Aber immerhin ist er ja jetzt wieder abgetreten.
Das war ein übles Taktieren bis zum sofortigen Rücktritt. Auch diesen Schritt unternahm er nur gezwungenermaßen. Nicht aus menschlicher Größe und als Frage der Moral, sondern nur weil der Druck von außen wiederum zu groß geworden ist.
Wie geht es jetzt weiter in Thüringen?
Wir wollen schnellstmöglich eine Regierung wählen, damit Thüringen keinem weiteren Stillstand ausgesetzt ist. Rot-Rot-Grün steht gemeinsam zu Bodo Ramelow als Kandidaten für die Ministerpräsidentenwahl. Er wird allerdings nur antreten, wenn wir wissen, dass wir eine demokratische Mehrheit im Parlament haben.
Jahrgang 1977, ist Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Thüringen. Die Diplompädagogin war in ihrer Jugend Leistungssportlerin (Eisschnelllauf). Seit 2004 gehört die gebürtige Demminerin dem Thüringer Landtag an.
Woher soll die kommen? Rot-Rot-Grün hat nach wie vor nur 42 Stimmen, zur absoluten Mehrheit fehlen also weiterhin vier Stimmen.
Wir haben die Gespräche mit der CDU wieder aufgenommen. Wenn wir uns aber nicht sicher sein können, dass Ramelow mindestens 46 Stimmen erhält, dann werden wir auf Neuwahlen orientieren.
Das Bundespräsidium der CDU hat am Freitag beschlossen, weil Ramelow offensichtlich keine Mehrheit im Landtag hätte, sollten Grüne und SPD einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt aufstellen. Was halten Sie davon?
Ich halte das für ein sehr durchsichtiges Ablenkungsmanöver von dem desaströsen Zustand der CDU auf Bundes- und Landesebene. Sowohl SPD als auch Grüne haben von Anfang klar gesagt, dass wir gemeinsam zu Bodo Ramelow stehen. Daran hat sich nichts geändert, denn wir sind uns mit unseren Koalitionspartnern einig, dass wir mit Bodo Ramelow eine Persönlichkeit haben, die äußerst beliebt in Thüringen ist. Deshalb sollte er auch so schnell wie möglich wieder Ministerpräsident werden.
Sie haben unmittelbar nach der Skandalwahl am Mittwoch vorgezogene Landtagsneuwahlen gefordert. Gilt das immer noch?
Wenn wir nicht die Regierung bilden können, die wir eigentlich schon am Mittwoch bilden wollten, dann dürfte es zügig Neuwahlen geben. Wir scheuen uns nicht davor.
Aber auch wenn es die von Ihnen angestrebte rot-rot-grüne Minderheitsregierung mit Verspätung bald geben sollte: Wollen Sie dann einfach weiterregieren, als sei nichts gewesen? Sollte den Thüringerinnen und Thüringern nicht die Chance gegeben werden, an der Wahlurne ihr eigenes Urteil über den Tabubruch der „bürgerlichen“ Parteien zu fällen?
In den aktuellen Umfragen sind wir deutlich im Aufwind. Da liegt Rot-Rot-Grün im Moment bei 53 Prozent. Also gäbe es für uns keinen Grund, da zögerlich zu sein. Trotzdem glaube ich, dass wir erst mal den Auftrag erfüllen müssen, eine stabile Regierung zu bilden. Aber es ist alles im Fluss. Man kann übrigens auch aus der Regierung heraus geordnet Neuwahlen angehen. Wenn es beim Haushalt oder in zentralen Sachfragen eine schwarz-gelb-braune Blockademehrheit geben sollte, würde es ohnehin keinen Sinn mehr machen, nicht auf Neuwahlen zu setzen.
In ihrem am vergangenen Dienstag unterzeichneten Regierungsvertrag haben SPD, Grüne und Ihre Partei die CDU und die FDP zur Zusammenarbeit eingeladen. Halten Sie das jetzt noch für möglich?
Nicht in einer institutionellen Art, dafür ist zu viel geschehen. Mit den gegenwärtigen Fraktionsführungen von CDU und FDP wird das nicht stattfinden. Wer mit Faschisten gemeinsame Sache macht, mit dem können wir nicht zusammenarbeiten. Dabei bleibt es. Es ist tatsächlich unverzeihlich, was da passiert ist. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht doch noch genug einzelne Abgeordnete aus beiden Parteien gibt, die die Vorgänge der vergangenen Tage zu einem grundsätzlichen Umdenken gebracht hat.
Wann wird Bodo Ramelow wieder Ministerpräsident von Thüringen sein?
Ich hoffe, noch in diesem Monat.
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