Helga Trüpel über Europapolitik: „Die Debatten werden hysterischer“

15 Jahre lang saß Helga Trüpel im Europa­parlament – jetzt will sie keine Posten mehr. Ein Gespräch über den Kampf ums Urheber­recht und grüne Widersprüche.

Helga Trüpel sitzt auf einem weißen Sessel.

Fast im Lotussitz: Helga Trüpel in der Bremischen Bürgerschaft Foto: Nikolai Wolff

taz: Wenn Sie jetzt nach 15 Jahren aus dem EU-Parlament scheiden, bleiben Sie vor allem für Ihren Kampf um Uploadfilter im Gedächtnis. Ärgert Sie das, Frau Trüpel?

Helga Trüpel: Ich finde, es bleibt, dass es gelungen ist, die reichsten und mächtigsten neuen Konzerne dazu zu bringen, UrheberInnen angemessen zu bezahlen. Die Unterstellung, dass das notwendigerweise auf Uploadfilter hinausläuft, teile ich ja nicht. Wenn man das Gesetz genau liest, sieht man, dass es unser Ziel ist, das Internet fairer zu machen und die Wertschöpfungslücke zu bekämpfen. Das Wort „Uploadfilter“ ist dabei vor allem ein genialer Kampfbegriff, der in der Sache nicht angemessen ist.

Viele ExpertInnen sagen: Selbst ein Konzern wie Google wird nicht mit jedem Rechteinhaber Lizenzverträge schließen können. Wie soll es also ohne Filter gehen?

Das Gesetz ist eine Rahmenrichtlinie, die noch in nationales Recht umgesetzt werden muss. Da werden sich viele Möglichkeiten erschließen, wie man diese Frage lösen kann. Wir haben jetzt schon einen Deal zwischen Youtube und der Gema, der mit weltweiten Lizenzen arbeitet, auch die anderen deutschen Verwertungsgesellschaften werden so etwas entwickeln. Natürlich braucht die digitale Welt mehr kollektive Lizensierung – es wird dafür neue Möglichkeiten geben. Ich finde diesen Strukturkonservatismus der InternetaktivistInnen schwierig – gerade in der digitalen Welt gibt es so schnell Innovationen! Wieso soll es da keine anderen Lösungsmöglichkeiten geben als Uploadfilter?

Nutzt KünstlerInnen und Autoren automatisch, was Google schadet?

Sicher. Wenn die digitalen Konzerne eine Lizenz brauchen, müssen sie dafür bezahlen. Und sie müssen Menschen einstellen, die Konflikte im Einzelnen beurteilen können, das geht nicht nur mit Filtern und Algorithmen.

Viele UrheberInnen zweifeln, dass am Ende mehr Geld bei ihnen ankommt.

60, sitzt seit 2004 für die Grünen im Europaparlament, nachdem sie seit 1987 als Mitglied der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft und von 1991 bis 1995 als Kultursenatorin Bremens Landespolitik mitgeprägt hatte.

Die promovierte Literaturwissenschaftlerin ist seit 2004 stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses im Europaparlament, zudem war sie bis 2014 haushaltspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Auch Künstlerverbände aller Couleur waren für diese Reform. Alle UrheberInnen bekommen jetzt bessere Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber Verlagen und Verwertern. Und die müssen UrheberInnen nun angemessen beteiligen. Ich weiß, dass Google und die KritikerInnen sagen, dass das nie so kommen wird. Aber das überzeugt mich nicht, auch wenn ich jedes ihrer Argumente kenne. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir gute Regeln für die Monopole, die ein Stück weit aus dem Ruder gelaufen sind?

Ihre eigene Fraktion im Europaparlament ist gespalten und die netzpolitische Sprecherin, die Piratin Julia Reda, war die Anführerin des Protests in Deutschland. Haben die es alle nicht verstanden?

Die haben einfach andere Interessen. Die wollen sich mit den jungen Leute nicht anlegen und finden es toll, wenn das Netz so unreguliert ist. Das ist nicht nur ein Streit innerhalb der Grünen, es gibt ihn auch in der Linkspartei, der SPD, bei den Liberalen und den Konservativen. Es hat immer schon jene gegeben, die für die freie Fahrt auf der Datenautobahn gekämpft haben. Und natürlich haben alle NutzerInnen die Sachen gerne umsonst. Aber das ist kein nachhaltiges, faires Modell. Gerade die Grünen sind doch sonst immer für Marktregulierung. Bei den digitalen Konzernen soll das anders sein? Das ist doch ein Grundwiderspruch.

Aber in den eigenen Reihen haben Sie sich mit Ihrer Haltung zu Urheberrechtsgesetz in die Isolation begeben.

Ich bin in meiner Fraktion in der Minderheit gewesen – habe aber im Parlament gewonnen.

Zusammen mit den Konservativen!

Auch etwa zwei Drittel der Liberalen und Sozialdemokraten waren dafür. Das ist kein Links-Rechts-Streit, jedenfalls nicht im Europaparlament.

Herr Voss von der CDU wurde für seine Position im Urheberrechtsstreit außerhalb des Parlaments massiv bedroht. Sie auch?

„Ich höre nicht auf, eine politisch denkende Frau zu sein – doch ich will nochmal andere Sachen machen“

Morddrohungen habe ich nicht bekommen. Aber ich bin massiv angegriffen und gemobbt worden.

Wie gehen Sie damit um?

Es war eine sehr aufreibende und anstrengende Zeit. Das Klima in den sozialen Medien ist in den letzten Jahren aggressiver geworden, und das im EU-Parlament auch, gerade zwischen Rechten und Linken. Insgesamt aber ist das EU-Parlament höflicher, fairer und auch sachlicher als andere Parlamente – gerade weil es hier keine Regierungs- und Oppositionsfraktion gibt, sondern Mehrheiten gebildet werden müssen, um mit dem Rat zu verhandeln.

Haben Sie es mit Ihrer Position Henrike Müller, die nun für die Bremer Grünen Ihre Arbeit im EU-Parlament weiterführen soll, schwerer gemacht?

Ich glaube, dass das für sie nicht spielentscheidend ist.

Abgesehen von Ihrem Sieg im Streit um das Urheberrecht: Für was möchten Sie nach 15 Jahren als EU-Parlamentarierin im Gedächtnis bleiben?

Zum Beispiel für meine Arbeit für das neue Programm European Solidarity Corps für junge Leute zwischen 18 und 30, die jetzt Solidaritätsaktivitäten in der ganzen EU machen können. Und: Ich habe mich immer für Menschenrechte und die Pressefreiheit in China und anderswo eingesetzt. Außerdem war ich bis 2014 auch haushaltspolitische Sprecherin meiner Fraktion – da habe ich mich erfolgreich dafür stark gemacht, dass es mehr Geld etwa für das Erasmus-Programm gibt.

Auch Bremen hat finanziell sehr von der EU profitiert – besteht die Gefahr, dass es künftig weniger Geld gibt?

Die Auseinandersetzungen um den mehrjährigen Finanzrahmen laufen derzeit, die Verhandlungen werden noch sehr hart. Von ihnen hängt ab, wie viel Geld Bremen aus dem EU-Haushalt künftig bekommt.

Zugleich ist die Gefahr groß, dass Bremen bald nicht mehr im EU-Parlament vertreten ist, denn weder Henrike Müller noch Joachim Schuster (SPD) haben einen aussichtsreichen Listenplatz. Was bedeutet das für Bremen?

Das wäre sehr traurig und bedauerlich, weil es sehr wichtig ist, dass Bremen in Brüssel und Straßburg vertreten ist – um Bremer Interessen zu vertreten, aber auch, um klarzumachen, dass man die lokale, regionale, nationale und europäische Ebene immer zusammen denken und noch besser verzahnen muss. Das ist das Herzstück der europäischen Demokratie. Sowohl für Joachim Schuster als auch für mich war das all die Jahre mit sehr viel Arbeit und Reisen verbunden.

Zumal das Arbeitspensum im EU-Parlament höher ist als im Bundestag. Dabei müssen sich gerade Grüne heute für ihre Flugreisen rechtfertigen.

Das ist ein echter Zielkonflikt. Aber so, wie der Terminkalender aussieht, geht es ohne Fliegen oftmals nicht. Greta Thunberg verweist darauf, dass sie mit dem Zug aus Schweden kommt: Aber so kann man den Job als EU-Abgeordnete eben nicht machen. Doch die viele Arbeit und die zahlreichen Reisen sind auch ein Grund für mich, jetzt aufzuhören.

Wie viel Alltag bleibt da, wenn man so viel arbeitet?

Sehr wenig! Ich habe vor vier Jahren mit Yoga begonnen, weil irgendwann klar war, dass meine Gesundheit das Arbeits­pensum auf Dauer nicht aushält. Und durch die sozialen Medien haben der Zeitdruck und die Arbeitsverdichtung noch zugenommen.

Der grüne Parteichef Robert Habeck ist gerade erst bei Facebook und Twitter ausgestiegen.

Bei Instagram aber nicht. Wer als Politiker, der wieder gewählt werden will, diese Kanäle nicht bespielt, war in den letzten Jahren klar im Nachteil. Zugleich werden die Debatten hysterischer, kurzatmiger. Das geht auf Kosten einer angemessenen Reflexion, die man als Politikerin braucht. Das halte ich für gefährlich – da entsteht eine andere Art von Populismus.

Der auch die vielerorts zu findende EU-Skepsis immer wieder befeuert.

Der Grundgedanke etwa des Brexits – Take back control – spricht ja viele Menschen an, weil sie globale Welt des 21. Jahrhunderts bedrohlich finden. Deswegen muss man eine europäische Politik machen, die liefert und auch die digitale Revolution gestaltet. Man muss für die europäische Idee werben, um die liberale Idee gegen ihre Feinde in der ganzen Welt zu verteidigen.

Nicht nur Sie, auch Bremens Bürgermeisterin Karoline Linnert und andere hören jetzt auf. Steht da ein Generationswechsel bei den Bremer Grünen an?

Ja. Wir kennen die Grünen von Anfang an. Diese 40 Jahre sind zwei Drittel meines Lebens! Ich wollte immer selbstbestimmt aufhören – von daher bin ich mit meiner Entscheidung versöhnt, auch wenn mir das, was insgesamt in der Politik passiert, große Sorgen macht. Ich höre nicht auf, eine politisch denkenden Frau zu sein – doch ich will jetzt nochmal andere Sachen machen.

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