Heinz Bude leitet Documenta-Institut: Rätsel der Zeitgenossenschaft
Der Soziologe Heinz Bude wurde als Gründungsdirektor des Kasseler Documenta-Instituts vorgestellt – und präsentierte schwungvolle Visionen.
Insider wussten es schon länger, aber erst vergangene Woche gaben die documenta und die Universität Kassel bekannt, dass der 1954 geborene Heinz Bude, dort seit 2000 Professor für Makrosoziologie, „Gründungsdirektor“ des neuen documenta-Instituts werden soll. Spätestens durch sein Essay zur „Generation Berlin“ ist der Wissenschaftler zu einem der markantesten Intellektuellen Deutschlands geworden.
Insofern kann sich die Universität glücklich schätzen, in Bude solch ein Aushängeschild für die neue Institution gewonnen zu haben. Als frisch emeritierter Professor hat Bude nun auch die nötige Zeit, kennt das Machtsystem von Politik und Wissenschaft in der Stadt. Wenn die Berufung nicht den Beigeschmack hätte, dass – ähnlich wie bei Berlins Humboldt Forum – einmal mehr ein älterer Herr die Führung einer innovativ gedachten, neuen Institution übernehmen soll.
Um schwungvolle Analysen und Visionen war Bude bei seiner Vorstellung nicht verlegen. Die „einmalige Chance“ des Instituts mit seinen drei in Kürze zu besetzenden Professuren sieht er darin, „dass es die documenta als ein Modell der Ausstellung von Gegenwartskunst versteht und damit das weltgesellschaftliche Phänomen der Biennalisierung des Kunstfelds in den Griff bekommt“.
Künstlerische Forschung
Einen weiteren Lichtblick für die im Vorfeld umstrittene Struktur des Instituts, eröffnete Ministerin Dorn. Neben den je 6 Millionen Euro, mit der die Stadt Kassel und das Land Hessen und den 12 Millionen, mit denen der Bund die Errichtung des Institut finanzieren, stellt Dorn zusätzlich 200.000 Euro für „künstlerische Forschung“ zur Verfügung. Für diesen Ansatz hatte sich die scheidende documenta-Professorin Nora Sternfeld in einer Denkschrift starkgemacht.
An einen Skandal grenzte es freilich, dass bei dem Pressetermin am Mittwoch in Kassel die Frage nach der NS-Belastung der documenta-Gründerväter, die im letzten Jahr bekannt wurde und kontrovers diskutiert worden war, nicht einmal erwähnt wurde. Als Wissenschaftler, der 1986 mit einer Arbeit zur Wirkungsgeschichte der Flakhelfergeneration an der FU Berlin habilitiert worden war, dürfte Bude einen Blick für die Verstrickungen dieser Gründergeneration haben.
Unerklärlich deshalb, dass er die Frage, was die NS-Belastung von Männern wie Werner Haftmann für die Forschungsagenda des Instituts bedeuten könnte, nicht einmal anschnitt. Die Lösung des „Rätsels der Zeitgenossenschaft“ ist ihm vordringlicher. Dazu soll das Institut auch Gegenwartskunst präsentieren.
Sind Kuratoren „Meta-Künstler“?
Mit „Herkulesaufgabe“ (Kassels Universitätspräsident Reiner Finkeldey) ist Budes künftige Arbeit nicht nur von diesem neuralgischen Punkt her zutreffend beschrieben. In einem frühen Aufsatz hatte der am Beispiel von Hans Ulrich Obrists berühmten Gesprächen mit den verrücktesten Initiativen und Akteuren aus Kunst, Wissenschaft, Mode und Politik den „Kurator als Meta-Künstler“ beschrieben, dem es nicht mehr um die Position des Museums, sondern die „Tätigkeit des Versammelns“ gehe. Als „Allesfresser“ jeden verfügbaren Wissens sei er der „Inszenierer einer heterogenen Welt“.
Fast scheint es, als habe Bude damit seinen neuen Job beschrieben. So wie er in dem neuen documenta-Institut eine explosive Mischung aus (kunst-)historischen, kultur- und standortpolitischen sowie wissenschaftlichen Interessen austarieren soll. Würde ihm das gelingen, könnte der „Gründungsdirektor“ nach dessen projektierten zwei, drei Jahren womöglich einer Frau den Weg an die Spitze des Instituts ebnen. Vielleicht sogar einer außerhalb von Europa. So viel Liebe zur Weltkunst sollte die documenta in Kassel doch langsam entwickelt haben.
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