piwik no script img

Heino-Jaeger-Ausstellung in StadeEiner, der herumpult

Doch, der konnte was: Enorm materialreich würdigt das Kunsthaus Stade den Meta-Komiker Heino Jaeger als bildenden Künstler.

Könnte ganze Geschichten erzählen: unbetiteltes und -datiertes Bild von Heino Jaeger Foto: Carsten Dammann/Museen Stade, © Sammlung Ch. Hofmann

Hamburg taz | Geschenk der Komik-Götter, verschwendet an seine verständnislosen Landsleute? Ewiger Geheimtipp in Kollegenkreisen, ja: Deutschlands Comedians’ Comedian? Genialer Außenseiter-Dilettant mit Nazi-Fimmel – oder einer, der einfach immer wieder herumgepult hat in den allerdeutschesten Wunden, auf dass sie nicht diskret verheilen mögen?

Es ist gar nicht so wenig nachgedacht und gesagt und geschrieben worden über Heino Jaeger. Seit den Nullerjahren ungefähr hat eine Handvoll teils prominenter Freunde und Verehrer immer wieder erinnert an diesen Typen, geboren 1938 im wenig später Hamburg eingemeindeten Harburg, gestorben 1997 als Psychiatrie-Patient in Bad Oldesloe. Befeuert haben die kleine Rückbesinnung auf den schrägen Vogel Leute wie Olli Dittrich und Rocko Schamoni; weniger, weil sie die eigentliche Arbeit geleistet hätten, umso mehr durch ihre relative Prominenz und Reichweite.

Durch – mutmaßlich – staubige Hörfunkarchive gruben sich aber zuerst andere: Der Hohenlockstedter Rätselerfinder (und gelegentliche taz-Autor) Christian Meurer machte etliche manchmal nur noch matt, aber doch glänzende Perlen des Jaeger’schen Radioschaffens aus den 1970er-Jahren wieder verfügbar.

Nicht nur Hörfunker

Für eine Weile jedenfalls: Von mehreren CD-Zusammenstellungen mit Jaegers pointenfreien Kleinstgrotesken ist manche schon wieder nur antiquarisch zu haben (oder als Stream). Quasi vergriffen ist auch das lange Zeit einzige Buch über und mit Jaeger, eine Mischung aus Biografie, Würdigung und Werkauswahl. Auch daran war Meurer beteiligt, aber vor allem Joska Pintschovius, lange Jahre Freund und Unterstützer und Vormund Jaegers.

Die Ausstellung

„Heino Jaeger, Retroperspektive oder wie man das nennt“: bis 6. 6., Kunsthaus Stade. Der Katalog ist erschienen im Verlag Kettler, 272 S., 39,90 Euro

Am Sa, 30. 4., hält Thomas Röske, Leiter der Sammlung Prinzhorn an der Uniklinik Heidelberg, den Vortrag „Diagnose Kunst“ (19 Uhr, Kunsthaus).

Und am 5. 5. liest Rocko Schamoni aus dem erwähnten Roman „Der Jaeger und sein Meister“(20 Uhr, Alter Schlachthof, Freiburger Straße 4)

Jaeger aber war ja nicht nur Hörfunker und darin zeitweise Protegé Hanns-Dieter Hüschs sowie später eine Art Über-Vorbild der Hamburger Hörspiel-Humoristen Studio Braun. Viel länger hat er gezeichnet und gemalt, hatte das sogar richtig studiert, am Hamburger Lerchenfeld. An diesen Jaeger erinnert noch bis Anfang Juni eine gelungene, materialreiche Ausstellung im Stader Kunsthaus: Mehr als 300 Arbeiten sind dort nun zu sehen, und die lesenswerte Begleitpublikation berücksichtigt davon sogar noch mehr.

Was da nun hängt, reicht von Kinderzeichnungen und Musterübungen über stilistisch irrlichternde, aber handwerklich bemerkenswerte Arbeiten, die während des Studiums entstanden; die so bestechend altmodischen Ansichtskarten nachempfundenen Zeichnungen von architektonischen Objekten, von denen nicht alle auch existiert haben; auch die merkwürdigen „Asiatika“ oder seine wachsende Faszination an – männlichen – Geschlechtsteilen sind berücksichtigt.

Dass so viel zusammenkam, ist für sich genommen schon bemerkenswert. Denn lange war davon ausgegangen worden, dass Jaegers Bilder bei einem – selbst verursachten – Wohnungsbrand zerstört wurden. Dem Feuer fielen wohl auch zahlreiche Arbeiten zum Opfer. Wenn heute aber eine vierstellige Zahl von existierenden bekannt ist, muss der „manische Zeichner“ noch viel produktiver gewesen sein als gedacht.

Im Katalog erzählt das Ku­ra­to­r*innen­team Sebastian Möllers, Veronika Schöne und Regina Wetjen davon, wie das Haus erstmals Jaeger zeigte: 2018 war das, im Rahmen der Ausstellung „Der naive Krieg“. Der Krieg und seine Darstellung, auch seine Hinterlassenschaften: Das alles ist nun wirklich ein Sujet Jaegers. Was sich ganz banal biografisch erklären lässt: Im Jahr 1943 ging die Familie ausgerechnet nach Dresden.

Dort lebten die Jaegers auch im Februar 1945 noch, während des Höhepunkts der Bombardierung. Später gefiel er sich dann mit Aussagen wie der, dass er keine Landschaft genießen könne, in der man gleich den nächsten Supermarkt sehen könne – da wäre „eine Flugabwehrkanone oder so was“ doch viel schöner. Eine Ausstellung in Berlin betitelte er 1972: „Ein Maler des Deutschen Reiches stellt in der ehemaligen Reichshauptstadt aus!“

Eine Linie führt zum Punk

Auf dem Höhepunkt seines Schaffens: Jaeger in den frühen 1970er-Jahren Foto: Harold Müller

Nun waren Jaeger und seine überschaubare Entourage dem Zeitgenössischen demonstrativ abgeneigt, kokettierten mit lang zurückliegenden, vermeintlich besseren Zeiten, aber viel mehr ästhetisch-kulturell als explizit politisch. Und doch: Jaegers nicht erkennbar theoretisch unterfüttertes Kitzeln an der damals noch viel jüngeren deutschen Geschichte, seine Weigerung, den Blick stur nach vorn zu richten, weil er nach hinten auf verkohlte Leichenberge fallen würde: Das hatte auf eine verschraubte Weise etwas vom Umgang mit Scham und Verdrängung, die auch der Punk aufgriff.

Damit noch mal zurück zu Rocko Schamoni: Der hat sein Interesse an Jaeger zuletzt doch in sehr konkrete Arbeit übersetzt. Sein jüngster Roman „Der Jaeger und sein Meister“, 2021 erschienen, handelt von Jaeger und seinem Freund Pintschovius (und irgendwie auch von Schamonis Vater).

Und es kommt noch mehr: Dass er an einem Spielfilm über Jaeger arbeite, hat Schamoni schon vor Jahren erzählt. Ob der Anfang Juli anstehende 25. Todestag so ein Projekt befördern kann? Terminlich darauf abgestimmt ist, was dieser Tage der Presse vorgestellt wurde: ein Jaeger gewidmetes Festival – künstlerische Leitung: Rocko Schamoni – sowie eine weitere Ausstellung; in Harburg, im ehemaligen Helms-Museum. Da also, wo Jaeger jahrelang im Keller saß und Fundstücke zeichnete. Der Vorverkauf beginnt am 3. Mai.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!