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Hausdurchsuchungen bei jungen NeonazisVon TikTok ins Visier der Staatsanwaltschaft

Mit einer großen Razzia ist die Polizei gegen neun Anhänger neuer Neonazi-Gruppen vorgegangen. Gefunden wurde so einiges, Festnahmen gab es keine.

Erst am Samstag war der Neonazi-Nachwuchs in Marzahn in Erscheinung getreten Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Vor ein paar Monaten waren sie noch ein Internetphänomen, jetzt stehen sie im Visier der Sicherheitsbehörden: Die Polizei ist am Mittwochmorgen mit einer umfassenden Razzia ­gegen mutmaßliche junge Neo­nazis in Berlin und Brandenburg vorgegangen. Der Einsatz richtete sich unter anderem gegen Anhänger der rechtsextremen Gruppierungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung und Stark“ (JS).

Seit dem Sommer treten die beiden Gruppen verstärkt in Erscheinung und versuchen in den sozialen Netzwerken Jugendliche für die rechtsextreme Szene zu rekrutieren. Sie hetzen gegen CSD-Paraden – auch in Berlin – und nahmen an Neonaziaufmärschen gegen Pride-Märsche in Sachsen teil. Und erst vor Kurzem mobilisierten die „DJV“ sowie die „JS“ gemeinsam mit der neonazistischen Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ gegen eine feministisch-antifaschistische Demonstration, die am Samstag in Marzahn stattfand. Dort zeigte sich erneut, was sich schon auf Instagram, TikTok und am Rande der CSDs beobachten ließ: Der neue Rechtsextremismus sieht mit Glatzen, Scheitel und „Lonsdale“-Shirt wieder aus wie der alte der 1990er Jahre.

Bei den Hausdurchsuchungen seien zehn Aufenthaltsorte von neun Tatverdächtigen durchsucht worden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Insgesamt hatte die Staatsanwaltschaft zwölf Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt. Neben der „DJV“ und „JS“ befanden sich unter den Durchsuchten auch Personen aus dem Umfeld der „Nationalrevolutionären Jugend“ (NRJ), der Nachwuchsorganisation des „Dritten Wegs“.

In Berlin fanden die Hausdurchsuchungen in Hellersdorf, Köpenick, Marzahn und Neu-Hohenschönhausen statt. In Brandenburg war die Polizei in Letschin im Landkreis Märkisch-Oderland sowie Wandlitz (Landkreis Barnim) im Einsatz. Beschlagnahmt wurden laut Staatsanwaltschaft mögliche Tatkleidung, Handys, Schlagwerkzeug, Waffenteile, Pyrotechnik, Schreckschusswaffen und Gaspistolen – sowie mutmaßliche Beute aus Straftaten. Zudem soll man Hinweise auf eine weitere Gewalttat erhalten haben. Sieben Verdächtige trafen die Be­am­t*in­nen vor Ort an. Festgenommen wurde niemand.

Körperliche Angriffe

Die Beschuldigten sind allesamt Männer und allesamt jung: zwischen 16 und 23 Jahre alt. Ihnen wird räuberische Erpressung, Diebstahl mit Waffen und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Konkret geht es um drei separate Fälle. Bei zwei davon handelt es sich um körperliche Angriffe aus dem September.

Sieben der Beschuldigten sollen am 13. September in Marzahn einen Mann mit Antifa-Shirt verfolgt und überfallen haben. Es folgten Schläge auf den Kopf des Mannes, der unter Androhung weiterer Gewalt den Angreifern das T-Shirt gegeben haben soll.

Ein weiterer Übergriff ereignete sich nur ein paar Tage später am 20. September in Hellersdorf. Dort schlugen und traten teils vermummte Angreifer, die durch Überwachungskamera-Videos teilweise identifiziert werden konnten und der „JS“ und „DJV“ zugeordnet wurden, auf einen Mann ein. Dieser flüchtete in einen BVG-Bus; der Betroffene konnte jedoch bislang nicht von der Polizei ausfindig gemacht werden.

Ein drittes Verfahren hat einen Social-Media-Beitrag aus dem vergangenen Jahr zum Gegenstand: Ein Mann posiert auf einem Foto mit Pistole und Gewehr sowie einer Schutzweste der Polizei. Für die Behörde ein Problem, denn der 20-Jährige arbeitete von April bis Dezember 2023 in einer Liegenschaft der Polizei. Deswegen hatte er eine Zugangsberechtigung zum Sicherheitsbereich. Es wird vermutet, dass er in dieser Zeit Waffe und Weste gestohlen hat.

Zwei Führungsfiguren der „DJV“ unter den Beschuldigten

Unter den neun Beschuldigten soll laut Berichten des Tagesspiegels auch der 23-jährige Julian M. aus Wandlitz sein. Am Samstag hatte der mutmaßliche Kopf der Gruppe „Deutschen Jugend Voran“ noch in Berlin mit dem Megafon den Neonazi-Protest gegen die feministische Demo in Marzahn aufgewiegelt. Zudem soll M. bei den Neonazi-Aufmärschen in Oranienburg, Leipzig und Bautzen mitgemischt haben. Auch Christopher W. ist demnach unter den ins Visier geratenen Nachwuchsnazis. Recherchen der Plattform Antifaschistischer Monitor zufolge nimmt Christopher W. wie Julian M. eine führende Rolle bei der „DJV“ ein.

Ob die Verdächtigen bereits vor den ihnen nun vorgeworfenen Taten durch Verbindungen zur rechtsextremen Szene polizeilich in Erscheinung getreten sind, ist laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft nun Gegenstand der Ermittlungen.

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1 Kommentar

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  • Warum sollte man da auch jemanden festnehmen?



    Die Schlimmsten sind doch höchstwahrscheinlich schon mit dem Prädikat "polizeibekannt" entschuldigt.