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Hauptstadt der Ukraine im KriegWir werden siegen

In Kiew verteidigt die Zivilbevölkerung gemeinsam mit der Armee die Stadt. Die Menschen bestärken und helfen sich gegenseitig.

Aus Irpin geflüchtet, versuchen Menschen in einem Bus Kiew zu erreichen Foto: Kutsenko Volodymyr

I ch beginne dieses Tagebuch in Kiew zu schreib­en, in den Vororten toben seit Tagen erbitterte Kämpfe. Russische Truppen, die am 24. Februar brutal in die Ukraine eingedrungen sind, versuchen die ukrainische Hauptstadt einzunehmen. Ich bin eine ukrainische Journalistin, seit zweieinhalb Jahren lebe ich in Berlin. Ich bin jetzt extra nach Kiew gefahren, um darüber zu berichten, wie der Kreml versucht, die Unabhängigkeit meines Landes zu zerstören.

Война и мир – дневник

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

Hunderttausende Menschen haben Kiew bereits verlassen. Die Situation ist sehr angespannt, doch noch immer unter Kontrolle. Jede/n, den oder die ich in Kiew getroffen habe, ist, unabhängig von Alter oder Geschlecht, zu allem entschlossen. Tausende Freiwillige haben sich den territorialen Verteidigungstruppen angeschlossen. Bis vor Kurzem waren sie noch Leh­re­r*in­nen oder Taxifahrer*innen. Heute bauen sie in der ganzen Stadt Barrikaden und sagen, dass sie bereit seien, sich den russischen Besatzern mit einer Waffe in der Hand entgegenzustellen.

Tagebuch zum Krieg

Wie wird der Krieg in den Ländern der ehemaligen UDSSR wahrgenommen? Die taz glaubt daran, dass je­de:r das Recht auf diese Informationen hat. Damit möglichst viele Menschen von den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine lesen können, veröffentlichen wir die Texte unserer Kolumne „Krieg und Frieden“ daher auf Deutsch und auch auf Russisch.

An allen wichtigen Straßen sind Checkpoints eingerichtet, die jedes vorbeifahrende Auto kontrollieren. An einigen Stellen wurden Barrikaden aus Betonblöcken errichtet, an anderen Sandsäcke aufgeschichtet oder Busse und Straßenbahnen umgeworfen.

Obwohl die Kämpfe sich mit jedem Tag immer weiter der Stadt nähern und Flugabwehrsysteme täglich russische Raketen abschießen, will sich kein Gefühl von Panik einstellen. Nur der ständige Fliegeralarm hat die urbanen Geräusche abgelöst. In den vergangenen Tagen wurden diese Geräusche durch ein dumpfes Echo von Granaten ergänzt, die irgendwo explodierten. An diesem Morgen habe ich gesehen, wie die Luftabwehr zwei Raketen zerstört hat, die direkt über mein Haus geflogen sind.

Unter solchen Bedingungen versuchen alle einander zu helfen. Sie teilen Lebensmittel, die immer weniger werden, und wichtige Informationen. Jede Unterstützung, und sei sie auch nur moralisch, ist jetzt sehr wichtig. „Wir werden siegen“, versichern wir uns am Ende eines jeden Gesprächs.

Vor Kurzem trafen russische Raketen bei einem Luftangriff auf Kiew den Fernsehturm. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Der Fernsehturm hielt stand, Radio- und Fernsehempfang wurden innerhalb weniger Stunden wiederhergestellt. Bei diesem Beschuss am helllichten Tag wurden fünf Zivilisten getötet. Dies war kein weiterer Angriff auf eine militärische Einrichtung, wie die russische Propaganda behauptet. Das war ein Angriff auf die Freiheit des Wortes und das Recht auf Wahrheit – die Grundwerte eines demokratischen Staates.

Aus diesem Grund werden wir, meine Kol­le­g*in­nen und ich, in diesem Tagebuch über die Geschehnisse von vor Ort berichten. Damit Lügen und Desinformation über den russisch-ukrainischen Krieg nicht den Hauch einer Chance bekommen.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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Anastasia Magasowa
Anastasia Rodi (Magazova) ist 1989 auf der Krim (Ukraine) geboren. Studium der ukrainischen Philologie sowie Journalismus in Simferopol (Ukraine). Seit 2013 freie Autorin für die taz. Von 2015 bis 2018 war sie Korrespondentin der Deutschen Welle (DW). Absolventin des Ostkurses 2014 und des Ostkurses plus 2018 des ifp in München. Als Marion-Gräfin-Dönhoff-Stipendiatin 2016 Praktikum beim Flensburger Tageblatt. Stipendiatin des Europäischen Journalisten-Fellowships der FU Berlin (2019-2020) in Berlin. 2023 schloss sie ihr Studium am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin ab. Sie hat einen Master of Arts (Politikwissenschaft). Als Journalistin interessiert sie sich besonders für die Politik in Osteuropa sowie die deutsch-ukrainischen Beziehungen. Von den ersten Tagen der Annexion der Krim bis heute hat sie mehrere hundert Reportagen über den Krieg Russlands gegen die Ukraine geschrieben.
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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich verstehe nicht, warum keine Flugverbotszone wenigstens für einen Teil des Landes errichtet werden kann. Zum Schutz der ukrainischen Bevölkerung, der EU (die Flucht hunderttausender Menschen in die Nachbarstaaten ist ein Aspekt der inneren Sicherheit!), von AKWs etc.

  • Warum gibt es in der TAZ keine Artikel zum Thema, wie kann die Infrastruktur in der Ukraine trotz kriegt erhalten werden? Mehr Waffen, mehr militärische Verteidigung bedeutet auch mehr Zerstörung. Es gibt andere Lösungen, die ein Weiterleben in einem zivilisierten Land ermöglichen. Geht die Verteidigung so weiter, wird die Ukraine wie der Irak, der Jemen, Syrien oder Libyan, nur so als Beispiel, nicht mehr lebenswert sein.



    www.sicherheitneudenken.de/

    • @Reinhard Muth:

      Das ist doch immer die russische Taktik. Schon in Aleppo hiess es: Zivilbevölkerung raus und dann alles dem Erdboden gleichmachen. Die Betroffenen hiessen damals 'Flüchtlinge', die Opfer aus der Ukraine werden jetzt von der CDU etc. als 'Kriegsflüchtlinge' geadelt !

  • Welchen Preis ist jede Kriegspartei bereit zu zahlen?



    Und welchen sind wir bereit zu zahlen, um Kriegspartei zu werden?

    • @DariFahi:

      Ich kenne nur eine Angriffspartei, alle anderen Betroffenen -am liebsten würde ich unsere Abwehrkraft da einschliessen- nur Verteidiger dieses Putinschen Massakers.

  • das Recht zum Abhauen vor solchem Wahnsinn finde ich wichtig. Dass allen Männern im wehrfähigen Alter die Ausreise verboten ist, wird leider nicht groß thematisiert oder hinterfragt. Man sollte selbst entscheiden können, ob man bereit ist für bestimmte Werte oder gar nur aus patriotischen Gefühlen sein Leben zu geben ...



    Ich gestehe, ich wäre da inzwischen weit davon entfernt, viel zu feige, hänge am Leben ...

    • @ture:

      Sicher ne schwierige Entscheidung. Allerdings wird in vielen Nachrichten fälschlich behauptet, alle Männer müssten jetzt "an die Front" und aktiv kämpfen. Das stimmt so nicht, im Gegenteil hat die Ukraine (gestern glaub ich) nochmal betont, dass das allein militärisch gar keinen Sinn macht bei Leuten völlig ohne Erfahrung, und die Menschen stattdessen an anderer Stelle eingesetzt werden. Völlig außer Gefahr sind sie damit natürlich nicht, deshalb wie gesagt, schwierige Entscheidung, die ich angesichts der existenziellen Bedrohung aber auch ein bisschen nachvollziehen kann.

    • @ture:

      Schöner Kommentar, denke auch, dass das nicht kritisch genug hinterfragt wird.

    • @ture:

      Im Gegenteil wird häufig behauptet, es gebe kein Ausreiseverbot

  • "An allen wichtigen Straßen sind Checkpoints eingerichtet, die jedes vorbeifahrende Auto kontrollieren."

    Wird gegen Panzer helfen?



    Halt! Ihre Papiere bitte, wo wollen sie hin, wo kommen sie her?



    Aha, Russe, die Ukraine entnazifizieren. Gut - weiterfahren,...

    • @danny schneider:

      Wie respektlos. Und taktlos.



      Außerdem noch falsch.



      Es kommen keine Panzer.



      Die sind nutzlos im Häuserkampf



      Ein Molli gut gezielt und 100 Mille Schrott.

    • @danny schneider:

      Sorry, aber das ist völlig daneben. Natürlich ist das im wahrsten Sinne des Wortes der Mut der Verzweiflung. Angesichts einer miliätrischen Übermacht, die grad das Land zerbombt ist das der letzte Strohhalm, an den sich die Ukrainer klammern.

      Fällt mir grad echt schwer zu verstehen, was einen reitet, sich da aus dem gemütlichen Sessel heraus drüber lustig zu machen.

    • @danny schneider:

      Wie geschmackvoll.

      Einer ukrainischen Journalistin, die unter Lebensgefahr aus Kiew berichtet, mit Ironie zu kommen.

    • @danny schneider:

      Nein, hilft nicht gegen Panzer. Aber gegen das Einsickern von Sabotagetrupps und Terrorkommandos, die dann Leute aus dem Hinterhalt erschiessen können.



      Vielleicht doch eine ganz sinnvolle Massnahme.

    • @danny schneider:

      Keine Zeit für dumme Sprüche.