Harvey Weinstein und die US-Demokraten: „Jeder in Hollywood wusste es“
Es war ein offenes Geheimnis, dass Produzent Weinstein Frauen sexuell belästigt hat. Jetzt positionieren sich die Demokraten, die er einst unterstützte.
Am selben Tag berichteten auch die Filmstars Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie, von dem Produzenten begrabscht worden zu sein. Und die Gattin des Filmproduzenten gab ihre Trennung bekannt. Auch einige Hollywoodstars, die viel mit Weinstein zusammen gearbeitet haben, darunter Meryl Streep, George Clooney und Ben Affleck, gingen öffentlich auf Distanz.
Weinstein war jahrzehntelang einer der mächtigsten Männer in der Filmindustrie in New York und Hollywood. Er produzierte erfolgreiche Filme wie „Sex, Lies and Videotapes“, „Pulp Fiction“ und „The King’s Speech“, holte Dutzende von Oscar-Nominierungen ein und entschied über Aufstieg und Fall von Generationen von SchauspielerInnen. Zugleich hatte er einen direkten Draht zur Spitze der Demokratischen Partei.
Im zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf verteidigte er „Hillary“ in zahlreichen Talkshows. Geleakte E-Mails der Demokratischen Partei zeigen, dass Weinstein den Mitarbeitern von Clinton immer wieder Ratschläge für die Kampagne gegen Bernie Sanders schickte. Er spendete Clinton mehrere Hunderttausend Dollar. Und er organisierte „Fundraising-Events“ mit Hollywood-Stars für Clinton. Weinsteins Unterstützung für die Demokratin reicht weit zurück. Als Clinton im Jahr 2000 erstmals im Bundesstaat New York für den Senat kandidierte, stellte Weinstein seinen PR-Fachmann monatelang frei, damit er „die Stimmen der orthodoxen jüdischen Community“ für sie holte. Der Filmproduzent unterstützte auch Obamas Kampagnen großzügig. Im vergangenen Jahr machte die ältere Obama-Tochter Malia ein Praktikum bei ihm.
Als Clinton ihre letzte Präsidentschaftskampagne begann, waren die sexuellen Übergriffe des Filmproduzenten sowohl in Hollywood als auch in New York, wo die Weinstein Company ihren Sitz hat, ein offenes Geheimnis. „Jeder in Hollywood wusste es“, sagt die französische Schauspielerin Emma de Caunea. Mehrere Frauen, die Weinsteins Opfer waren, hatten finanzielle Abfindungen verbunden mit Schweigeverpflichtungen bekommen. Wenn Journalisten Enthüllungen über Weinstein planten, wurden sie mit lukrativen Buch- und Beraterverträgen ruhiggestellt. „Es war verblüffend, wie viele Schreiber auf den Miramax Gehaltslisten waren“, sagt die Journalistin Tina Brown, die in den 90er-Jahren für die Weinstein-Brüder Harvey und Bob das „Talk-Magazine“ gründete und betreute: „Viele haben versucht, darüber zu schreiben. Aber ihre Geschichten wurden immer gekillt“, sagt Brown.
Abfindungen, Drohungen, Schweigen
Clinton hat ihren Wahlkampf als Frauenrechtlerin bestritten. Sollte sie Zweifel an den Gerüchten über ihren Geldgeber gehabt haben, hätte sie zwei Informationen aus dem Vorjahr berücksichtigen können. In 2015 veröffentlichte die Weinstein-Mitarbeiterin Lauren O'Connor einen Bericht, in dem sie präzise den sexuellen Missbrauch durch ihn beschrieb und zugleich das Machtgefälle deutlich machte: „Ich bin eine 28-jährige Frau, die versucht, ihre Karriere zu organisieren. Harvey Weinstein ist ein 64-jähriger weltberühmter Mann. Die Machtbalance ist 0 für mich und 10 für ihn.“
Nach einer Abfindung zog O'Conner ihre Klage zurück. Im selben Jahr erstattete die Italienerin Ambra Battilana, ein Model, Anzeige wegen Weinsteins Grabschereien. Bevor Battilana zu einem neuen Treffen mit Weinstein ging, wurde sie von der Polizei mit Aufnahmegeräten verkabelt. Auf den Aufzeichnungen ist zu hören, wie Weinstein die 22-Jährige drängte, ihm beim Duschen zuzuschauen. „Ich bin ein berühmter Mann“, sagte er und drohte ihr, nie wieder etwas für sie zu tun, falls sie nicht mitmache.
Trotz der schockierenden Szene stellte die New Yorker Justiz das Verfahren ein. Es hätte einen Serien-Grabscher und Vergewaltiger stoppen können.
Jetzt rückte eine Recherche der New York Times Weinsteins Übergriffe in den Fokus der Aufmerksamkeit. Sie stützte sich unter anderem auf unveröffentlichte Berichte der Schauspielerinnen Ashley Judd und Rrose McGowan, die beide Opfer von Weinstein waren. Am Dienstag folgte der New Yorker. Das Magazin hatte in den zurückliegenden Jahren mehrfach vergeblich versucht, Weinstein-Opfer zu Interviews zu bewegen. Doch keines war bereit, dieses Risiko einzugehen. Schwierig war auch die Platzierung der Recherche. Der Filmemacher Ronan Farrow hatte sie ursprünglich dem TV-Sender NBC angeboten, für den er gewöhnlich arbeitet. Doch der lehnte ab. Erst danach schrieb Farrow seine Geschichte für den New Yorker auf.
Mehrere ähnliche Fälle
Zunächst reagierte Weinstein so großmäulig wie üblich. Er bestritt alles und drohte der New York Times mit einer ruinösen Verleumdungsklage. Die Entschädigung wollte er „Frauengruppen“ spenden. Seither ist er so schnell und tief gestürzt, dass sich viele beeilen, auf Distanz zu ihm zu gehen. Unter anderem verurteilte auch Disney-Chef Bob Iger das Verhalten von Weinstein. Doch in den Jahren, in denen Weinstein im Inneren der Disney-Company arbeitete, ging niemand den anhalten Gerüchten über sein Verhalten nach.
Der Demokrat Weinstein ist nicht der einzige Prominente aus dem Showbusiness, dessen Übergriffe jahrelang ungestört stattfinden konnten und der dann zu Fall kam. Erst vor wenigen Monaten ist der Entertainer Bill Cosby aufgrund von Enthüllungen über sexuelle Gewalt zu Fall gekommen. Der rechte TV-Sender Fox musste gleich mehrere Männer – u.a den langjährigen Geschäftsführer Roger Aisles und der Star-Moderator Bill O'Reilly – entlassen, die der Sender zuvor gegen ähnliche Vorwürfe geschützt hatte. Doch während sich im Showgeschäft das Klima allmählich ändert, gibt es in der Politik weiterhin falsche Toleranz gegenüber sexuellen Übergriffen. So brüstete sich Donald Trump mit „Pussy-Grabschereien“ und damit, dass er als Promi „jede“ haben könne. Bisher schadete ihm das nicht.
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