Harscher Polizeieinsatz in Hamburg: Schnelle Eskalation
Juri H. und seine Freund*innen beobachten eine Polizeikontrolle – und geraten selbst in den Fokus. Die Polizist*innen setzen Pfefferspray ein.
An der Ecke Thadenstraße/Bernstorffstraße beobachteten die drei eine Polizeikontrolle, schildert H. Etwa fünf Polizist*innen hätten eine Gruppe Jugendlicher umzingelt. „Wir wollten gucken, was da los ist“, sagt H. Auf der anderen Straßenseite ist ein Hostel. „Wir dachten, vielleicht sind es Hostelgäste, die kontrolliert werden und gar nicht wissen, was los ist.“ H. sagt, er und seine Freund*innen hätten sich explizit nicht zwischen die Polizist*innen und die Kontrollierten gestellt, sondern an den Rand.
Die Polizist*innen hätten sie aber sofort beschimpft, ihnen gedroht und sie mit den Worten „Verpisst euch!“ weggeschubst, sagt H. Daraufhin hätten die drei sich einige Meter entfernt. H. sei dann wieder näher an die Jugendlichen herangegangen, um sie zu fragen, ob sie Hostelgäste seien.
Ein Polizist sei auf ihn zugestürmt und habe ihn so heftig geschubst, dass er hingefallen sei. Seine Freund*innen seien ihm zu Hilfe gekommen und hätten die Polizist*innen angeschrien: „Ey, was soll das?“ Daraufhin hätte ein Polizist gerufen „Wollt ihr Pfeffer?“ und habe den dreien dann Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. „Die Polizisten waren wahnsinnig aggressiv“, sagt H.s Freundin Esther P.
Ausgeknockt vom Pfefferspray
P. bekam Reizgas in die Augen, in den Mund, ins Ohr. „Ich war völlig ausgeknockt und wusste gar nicht, wo ich war“, sagt sie. Besonders in den Augen habe das Pfefferspray geschmerzt, weil sie Kontaktlinsen getragen habe. Blind und mit dem Reizgas am Körper war sie unfähig, sich die Kontaktlinsen selbst zu entfernen. „Ich schrie, hatte Schmerzen und konnte schlecht atmen.“
Esther P.
H. habe sie auf die andere Straßenseite gezerrt, um sie nach Hause zu bringen. „Da hat uns ein Polizist abgefangen, mich auf den Boden gedrückt und mir Handschellen angelegt“, sagt H. Auch der dritte Freund habe den Ort des Geschehens verlassen wollen, sei aber von einem Polizisten zu Boden gebracht worden. Der Beamte habe ihm ein Knie ins Gesicht, das andere in den Rücken gedrückt, sodass er kaum habe atmen können.
Eine solche Situation kann lebensbedrohlich sein, wenn das Atemsystem durch das Pfefferspray gereizt ist und der Körper unter Stress steht. Wenn beispielsweise ein Herzfehler besteht oder die betroffene Person unter Drogen oder Psychopharmaka steht, kann das Kollabieren des Herz-Kreislauf-Systems die tödliche Folge sein.
Die beiden Männer wurden auf die Polizeiwache gebracht, wo sie sich bis auf die Unterhose hätten entkleiden müssen, schildert H. Esther P. sagt, sie habe noch etwa eine Dreiviertelstunde lang blind und unter starken Schmerzen am Boden gelegen und die Polizist*innen angefleht, ihr die Kontaktlinsen zu entfernen – was aber weder sie noch die hinzugerufenen Sanitäter*innen taten. Man habe ihr gesagt, sie solle sich nicht so anstellen. Dann hätten die Polizist*innen ihren Ausweis aus ihrer Bauchtasche geholt und sie nach Hause gefahren, wo P.s Mutter sie endlich von ihren Kontaktlinsen befreite.
Störungsfreier Einsatz nicht mehr möglich
Die Polizei bestätigt diesen Einsatz am Abend des 29. Dezember, schildert den Verlauf aber anders. Die drei Personen hätten polizeiliche Maßnahmen gestört, sagt Polizeisprecher Daniel Ritterskamp. Die Beamten hätten die drei mehrfach aufgefordert, Abstand zu halten. „Den Aufforderungen kamen die Personen jedoch nicht nach, stattdessen gingen sie immer wieder auf die Beamten zu“, sagt Ritterskamp.
Auch Platzverweisen seien die drei nicht nachgekommen. Als eine Person die Hand eines Polizisten wegschlug, „war eine störungsfreie Abarbeitung des Einsatzes nicht mehr möglich. Nach mehrfacher Androhung kam es zum Einsatz von Pfefferspray.“
Die drei Freund*innen überlegen nun, Rechtsmittel gegen die Polizist*innen einzulegen. Viel erhoffen sie sich davon nicht, trotzdem wollen sie das Geschehene nicht einfach so stehen lassen. „Vielleicht führt das dazu, dass die Polizist*innen beim nächsten mal drüber nachdenken, was sie tun, und nicht direkt Pfeffer einsetzen“, sagt H.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin